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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Ob auch bei der scenischen Anschauung möchten wir noch nicht bejahen. Wo¬
tan, eigentlich doch der vornehmste Held der Tetralogie, verschwindet im vier¬
ten Drama von der Scene. Sein Geschick entwickelt sich in den Berichten
der Nornen, Waltrautens und Brünnhildens. Die bei den Höhepunkten der
Handlung aufliegenden Raben, Wotans Kundschaftbringer, mahnen den Zu¬
schauer daran, daß in der sichtbaren Handlung die Hebel einer zweiten,
unsichtbaren liegen. Wir dürfen annehmen, daß Wagner nicht aus Ökono¬
mie, etwa um die in der Götterdämmerung reich genug bewegte sichtbare
Handlung nicht zu überfüllen, Wotan von der Scene verbannt hat. Viel¬
mehr hat ihn das richtige Gefühl geleitet, daß ein nur noch passiver Held
die Phantasie unsichtbar am stärksten erregt. Das äußerst künstlich gehand-
habte Mittel erreicht im Lesen ganz seinen Zweck. Ob es für die Bühne
nicht zu weit ausgedehnt worden, wird erst zu erproben sein. Einige Un¬
deutlichkeiten in der Bezeichnung der letzten Motive Wotans treten ebenfalls der
dramatischen Wirkung hinderlich entgegen. Es gibt allerdings Fälle, wo
die volle Deutlichkeit der poetischen Wirkung schadet, das Halbdunkel ergrei¬
fender wirkt. Ob es hier nur mit Absicht und ganz dem Zweck entsprechend
Felix Cain. angewendet, möchten wir bezweifeln.




Der DolKswirthschastliche Kongreß.

Es war eine Art Experiment, den Volkswirtschaftlichen Congreß wäh¬
rend der Weltausstellung in Wien abzuhalten, und ihm selbst scheint es vor¬
läufig denn auch nicht gerade zum besten bekommen zu sein. Die Verhand¬
lungen litten einerseits unter der Abwesenheit einer starken Zahl der bekannten
alten Träger des Congresses, darunter so eifriger Sprecher wie Böhmert,
Oppenheim und Wolfs; andererseits unter dem ebenso starken plötzlichen Zu¬
tritt von früher nicht gesehenen deutsch-österreichischen Volkswirthen, die in
vieler Hinsicht abweichende Voraussetzungen in die Debatte mitbrachten. Mit
Rücksicht auf die Oertlichkeit hatte auch die Tagesordnung des Congresses nicht
so reich an Fragen, welche innerhalb des Deutschen Reichs augenblicklich
interessiren, ausfallen können, während man für Oesterreich doch ebenfalls
nur den Rath eines einzelnen älteren Congreß - Genossen von dort benutzen
konnte. Gleichwohl war das Wagniß nicht zu verwerfen. Je entschiedener
die beiden Reiche staatlich getrennt sind und bleiben wollen, desto unbesorgter
können wir, desto fleißiger müssen wir alles pflegen, was die Culturge-


Ob auch bei der scenischen Anschauung möchten wir noch nicht bejahen. Wo¬
tan, eigentlich doch der vornehmste Held der Tetralogie, verschwindet im vier¬
ten Drama von der Scene. Sein Geschick entwickelt sich in den Berichten
der Nornen, Waltrautens und Brünnhildens. Die bei den Höhepunkten der
Handlung aufliegenden Raben, Wotans Kundschaftbringer, mahnen den Zu¬
schauer daran, daß in der sichtbaren Handlung die Hebel einer zweiten,
unsichtbaren liegen. Wir dürfen annehmen, daß Wagner nicht aus Ökono¬
mie, etwa um die in der Götterdämmerung reich genug bewegte sichtbare
Handlung nicht zu überfüllen, Wotan von der Scene verbannt hat. Viel¬
mehr hat ihn das richtige Gefühl geleitet, daß ein nur noch passiver Held
die Phantasie unsichtbar am stärksten erregt. Das äußerst künstlich gehand-
habte Mittel erreicht im Lesen ganz seinen Zweck. Ob es für die Bühne
nicht zu weit ausgedehnt worden, wird erst zu erproben sein. Einige Un¬
deutlichkeiten in der Bezeichnung der letzten Motive Wotans treten ebenfalls der
dramatischen Wirkung hinderlich entgegen. Es gibt allerdings Fälle, wo
die volle Deutlichkeit der poetischen Wirkung schadet, das Halbdunkel ergrei¬
fender wirkt. Ob es hier nur mit Absicht und ganz dem Zweck entsprechend
Felix Cain. angewendet, möchten wir bezweifeln.




Der DolKswirthschastliche Kongreß.

Es war eine Art Experiment, den Volkswirtschaftlichen Congreß wäh¬
rend der Weltausstellung in Wien abzuhalten, und ihm selbst scheint es vor¬
läufig denn auch nicht gerade zum besten bekommen zu sein. Die Verhand¬
lungen litten einerseits unter der Abwesenheit einer starken Zahl der bekannten
alten Träger des Congresses, darunter so eifriger Sprecher wie Böhmert,
Oppenheim und Wolfs; andererseits unter dem ebenso starken plötzlichen Zu¬
tritt von früher nicht gesehenen deutsch-österreichischen Volkswirthen, die in
vieler Hinsicht abweichende Voraussetzungen in die Debatte mitbrachten. Mit
Rücksicht auf die Oertlichkeit hatte auch die Tagesordnung des Congresses nicht
so reich an Fragen, welche innerhalb des Deutschen Reichs augenblicklich
interessiren, ausfallen können, während man für Oesterreich doch ebenfalls
nur den Rath eines einzelnen älteren Congreß - Genossen von dort benutzen
konnte. Gleichwohl war das Wagniß nicht zu verwerfen. Je entschiedener
die beiden Reiche staatlich getrennt sind und bleiben wollen, desto unbesorgter
können wir, desto fleißiger müssen wir alles pflegen, was die Culturge-


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[0480] Ob auch bei der scenischen Anschauung möchten wir noch nicht bejahen. Wo¬ tan, eigentlich doch der vornehmste Held der Tetralogie, verschwindet im vier¬ ten Drama von der Scene. Sein Geschick entwickelt sich in den Berichten der Nornen, Waltrautens und Brünnhildens. Die bei den Höhepunkten der Handlung aufliegenden Raben, Wotans Kundschaftbringer, mahnen den Zu¬ schauer daran, daß in der sichtbaren Handlung die Hebel einer zweiten, unsichtbaren liegen. Wir dürfen annehmen, daß Wagner nicht aus Ökono¬ mie, etwa um die in der Götterdämmerung reich genug bewegte sichtbare Handlung nicht zu überfüllen, Wotan von der Scene verbannt hat. Viel¬ mehr hat ihn das richtige Gefühl geleitet, daß ein nur noch passiver Held die Phantasie unsichtbar am stärksten erregt. Das äußerst künstlich gehand- habte Mittel erreicht im Lesen ganz seinen Zweck. Ob es für die Bühne nicht zu weit ausgedehnt worden, wird erst zu erproben sein. Einige Un¬ deutlichkeiten in der Bezeichnung der letzten Motive Wotans treten ebenfalls der dramatischen Wirkung hinderlich entgegen. Es gibt allerdings Fälle, wo die volle Deutlichkeit der poetischen Wirkung schadet, das Halbdunkel ergrei¬ fender wirkt. Ob es hier nur mit Absicht und ganz dem Zweck entsprechend Felix Cain. angewendet, möchten wir bezweifeln. Der DolKswirthschastliche Kongreß. Es war eine Art Experiment, den Volkswirtschaftlichen Congreß wäh¬ rend der Weltausstellung in Wien abzuhalten, und ihm selbst scheint es vor¬ läufig denn auch nicht gerade zum besten bekommen zu sein. Die Verhand¬ lungen litten einerseits unter der Abwesenheit einer starken Zahl der bekannten alten Träger des Congresses, darunter so eifriger Sprecher wie Böhmert, Oppenheim und Wolfs; andererseits unter dem ebenso starken plötzlichen Zu¬ tritt von früher nicht gesehenen deutsch-österreichischen Volkswirthen, die in vieler Hinsicht abweichende Voraussetzungen in die Debatte mitbrachten. Mit Rücksicht auf die Oertlichkeit hatte auch die Tagesordnung des Congresses nicht so reich an Fragen, welche innerhalb des Deutschen Reichs augenblicklich interessiren, ausfallen können, während man für Oesterreich doch ebenfalls nur den Rath eines einzelnen älteren Congreß - Genossen von dort benutzen konnte. Gleichwohl war das Wagniß nicht zu verwerfen. Je entschiedener die beiden Reiche staatlich getrennt sind und bleiben wollen, desto unbesorgter können wir, desto fleißiger müssen wir alles pflegen, was die Culturge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/480>, abgerufen am 05.02.2025.