Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.Ring des Nibelungen". Die finstere Wälsungensage knüpft Siegurd - Sieg¬ Jetzt können wir antworten auf die Frage, was dieser märchenhafte Ring des Nibelungen". Die finstere Wälsungensage knüpft Siegurd - Sieg¬ Jetzt können wir antworten auf die Frage, was dieser märchenhafte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193282"/> <p xml:id="ID_1588" prev="#ID_1587"> Ring des Nibelungen". Die finstere Wälsungensage knüpft Siegurd - Sieg¬<lb/> fried an Wotan, aber sie läßt den Gott und den Helden ihre Geschicke ohne<lb/> Zusammenhang erfüllen. Indem Wagner diesen Zusammenhang dichtete,<lb/> entstand ihm das Doppeldrama von den Göttern und den Helden, von Wo¬<lb/> tan mit den Seinen und dem Wälsungenpaar und seinem Sprossen. Zwi¬<lb/> schen dem Gott und den Wälsungen steht die Walküre, das Götterkind.<lb/> Der Herrscher der Nibelungen ist der Gegenspieler des Herrschers der Asen-<lb/> götter. Der Rückschlag gegen Wotans Willkühr unter den Asengöttern selbst<lb/> nöthigt ihn, das Wälsungenpaar zu verderben. Der leuchtende Sproß dieses<lb/> Paares aber geht eigentlich zu Grunde an der unerschütterlichen Jugendfroheit<lb/> seiner Heldenkraft, an der Unbekümmertheit und Rücksichtslosigkeit, mit der<lb/> sich der Lebensbrunnen aus seinem Innern ergießt. Die Schönheit und<lb/> Güte seiner Natur bewahrt seine Stärke zwar vor Mißbrauch, aber dieselbe<lb/> nöthigt ihn zum Unbedacht. Darum kann der Drachensieger und Herr des<lb/> Nibelungenringes nicht der Retter und nicht der Nachfolger Wotans und der<lb/> Lichtgötter werden. Das Götterkind, das er sich in Liebe gewonnen, Wo¬<lb/> tans wissende Tochter, zieht er in seine Einseitigkeit, in den Unbedacht seiner<lb/> Schönheit und Kraft und so in seinen Tod.</p><lb/> <p xml:id="ID_1589" next="#ID_1590"> Jetzt können wir antworten auf die Frage, was dieser märchenhafte<lb/> mythische Stoff unsern Tagen soll. In der erwähnten Mittheilung hat sich<lb/> Wagner darüber sehr schön und deutlich ausgesprochen. Jeder historisch-sociale<lb/> Zustand als Grundlage einer Dichtung zeigt den Menschen tausendfach ein¬<lb/> geengt von äußerer und innerer Zufälligkeit, von mangelhafter Technik, von<lb/> barbarischer Convenienz und Willkühr. Das Märchen allein oder der My¬<lb/> thus, das echte Märchen ist ja das Ueberbleibsel des Mythus, zeigt uns die<lb/> Menschenseele frei. Frei, aber keineswegs schrankenlos, was so viel als<lb/> nichtig wäre. Nur daß die äußere Schranke von der waltenden Phantasie<lb/> hier ganz in den Dienst der inneren Schranke gestellt, deren bloßer Ausdruck<lb/> ist. Das Wunderbare hat im Mythus die doppelte Function der Freiheit und der<lb/> Schranke. Der Zauber trägt über die Naturhindernisse hinweg und er thürmt un¬<lb/> überwindliche Hindernisse auf, wo keine natürlichen sind, beides im Dienst der<lb/> ethischen Bedeutung. Bon Zeit zu Zeit wird die Poesie, um uns das rein<lb/> Menschliche zu zeigen, den Boden des Mythus oder wenigstens elementar<lb/> einfacher Zustände aufsuchen müssen. Von diesem Recht hat der Dichter des<lb/> Nibelungenringes Gebrauch gemacht, nach unserer Ansicht mit Erfolg. Was<lb/> die dramatische Composition betrifft, welche den großartigen Versuch unternimmt,<lb/> zwei Tragödien, die jede unter eigenen Nothwendigkeiten stehen, durch vier Dramen<lb/> hindurch parallel schreiten zu lassen, so ist die gestellte Aufgabe jedenfalls annähernd<lb/> gelöst, weit genug, die Intention deutlich empfinden zu lassen und beim Le¬<lb/> sen der Dichtung einen befriedigenden Eindruck des Ganzen hervorzurufen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0479]
Ring des Nibelungen". Die finstere Wälsungensage knüpft Siegurd - Sieg¬
fried an Wotan, aber sie läßt den Gott und den Helden ihre Geschicke ohne
Zusammenhang erfüllen. Indem Wagner diesen Zusammenhang dichtete,
entstand ihm das Doppeldrama von den Göttern und den Helden, von Wo¬
tan mit den Seinen und dem Wälsungenpaar und seinem Sprossen. Zwi¬
schen dem Gott und den Wälsungen steht die Walküre, das Götterkind.
Der Herrscher der Nibelungen ist der Gegenspieler des Herrschers der Asen-
götter. Der Rückschlag gegen Wotans Willkühr unter den Asengöttern selbst
nöthigt ihn, das Wälsungenpaar zu verderben. Der leuchtende Sproß dieses
Paares aber geht eigentlich zu Grunde an der unerschütterlichen Jugendfroheit
seiner Heldenkraft, an der Unbekümmertheit und Rücksichtslosigkeit, mit der
sich der Lebensbrunnen aus seinem Innern ergießt. Die Schönheit und
Güte seiner Natur bewahrt seine Stärke zwar vor Mißbrauch, aber dieselbe
nöthigt ihn zum Unbedacht. Darum kann der Drachensieger und Herr des
Nibelungenringes nicht der Retter und nicht der Nachfolger Wotans und der
Lichtgötter werden. Das Götterkind, das er sich in Liebe gewonnen, Wo¬
tans wissende Tochter, zieht er in seine Einseitigkeit, in den Unbedacht seiner
Schönheit und Kraft und so in seinen Tod.
Jetzt können wir antworten auf die Frage, was dieser märchenhafte
mythische Stoff unsern Tagen soll. In der erwähnten Mittheilung hat sich
Wagner darüber sehr schön und deutlich ausgesprochen. Jeder historisch-sociale
Zustand als Grundlage einer Dichtung zeigt den Menschen tausendfach ein¬
geengt von äußerer und innerer Zufälligkeit, von mangelhafter Technik, von
barbarischer Convenienz und Willkühr. Das Märchen allein oder der My¬
thus, das echte Märchen ist ja das Ueberbleibsel des Mythus, zeigt uns die
Menschenseele frei. Frei, aber keineswegs schrankenlos, was so viel als
nichtig wäre. Nur daß die äußere Schranke von der waltenden Phantasie
hier ganz in den Dienst der inneren Schranke gestellt, deren bloßer Ausdruck
ist. Das Wunderbare hat im Mythus die doppelte Function der Freiheit und der
Schranke. Der Zauber trägt über die Naturhindernisse hinweg und er thürmt un¬
überwindliche Hindernisse auf, wo keine natürlichen sind, beides im Dienst der
ethischen Bedeutung. Bon Zeit zu Zeit wird die Poesie, um uns das rein
Menschliche zu zeigen, den Boden des Mythus oder wenigstens elementar
einfacher Zustände aufsuchen müssen. Von diesem Recht hat der Dichter des
Nibelungenringes Gebrauch gemacht, nach unserer Ansicht mit Erfolg. Was
die dramatische Composition betrifft, welche den großartigen Versuch unternimmt,
zwei Tragödien, die jede unter eigenen Nothwendigkeiten stehen, durch vier Dramen
hindurch parallel schreiten zu lassen, so ist die gestellte Aufgabe jedenfalls annähernd
gelöst, weit genug, die Intention deutlich empfinden zu lassen und beim Le¬
sen der Dichtung einen befriedigenden Eindruck des Ganzen hervorzurufen.
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