Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Keue Werke über ßentralasien.*)

Wenn Jemand das eewrum oeuseo in unseren Tagen ausgiebig ver¬
werthet, so ist es Prof. Vambery in Pest. Seit er vor nun zehn Jahren seine
große gefahrvolle Reise durch Turkestan unternahm und 'dort, wie keiner vor
ihm die centralasiatischen Dinge aus eigener Anschauung kennen lernte, ist jenes
Land so recht eigentlich seine gelehrte und schriftstellerische Domäne geblieben.
Alle Werke, die er aber seitdem, meist gleichzeitig in deutscher und englischer
Sprache veröffentlichte, seine "Reise in Mittelasien", seine "Skizzen aus Mittel¬
asien", und unzählige Aufsätze in den verschiedensten Zeitschriften Deutsch¬
lands, Englands, Ungarns gipfeln in der Warnung, die er den Engländern
zuruft, sich vor Nußland zu hüten und dessen Vordringen in Mittelasien ei¬
nen Riegel vorzuschieben, wolle es nicht selbst von seinem asiatisch-indischen
Throne herabgestoßen werden, und damit seine Weltstellung in politischer wie
commerzieller Beziehung einbüßen. Der Lauf der Dinge in Centralafien, wie
sie bisher sich vollzogen, ist allerdings so gewesen, wie Vambery -- nicht un¬
schwer -- voraussagte, und Rußlands Ausdehnungsgelüste in Asien mögen
auch heute noch nicht zu Ende sein. Daß es aber noch Afghanistan, Indien
und die Mongolei verschlucken werde, können wir nicht annehmen, da alsdann
das Platzen des Bovists ganz natürlich eintreten würde. Denn so groß auch
Rußlands Kraft ist und so sehr es die einmal unterworfenen Völker zu beherrschen
versteht, vor einer Assimilirung Indiens würde es doch zurückschrecken. Wir dür¬
fen bei allen Schriften Vambery's eines nicht übersehen: Es ist der Ungar,
der hier schreibt. Ein Franzose, ein Deutscher oder ein Italiener, der über
Centralafien und die dort einschlägigen politischen Fragen sich ausläßt, kann
dies weit unbefangener thun als ein Ungar, der in Rußland den Todfeind
seines Landes sieht und der die nicht unbegründete Furcht hegen mag,
daß der isolirte magyarische Stamm, der als eine kleine asiatische Sprachinsel



5) Geschichte Bocharas oder Transoxaniens von den frühesten Zeiten bis ans die Gegen¬
wart. Nach orientalischen benutzten und unbenützten handschriftlichen Geschichtsquellen zum
ersten Male bearbeit von Hermann Vambery. Deutsche Originalausgabe. 2 Bde. Stuttgart.
Cotta 1872. -- Ccntralastcn und die englisch-russische Grcnzsragc. Gesammelte politische Schrif¬
ten von Hermann Vambery. Leipzig. Brockhaus. 1873.
Grenzboten 1873. III. 61
Keue Werke über ßentralasien.*)

Wenn Jemand das eewrum oeuseo in unseren Tagen ausgiebig ver¬
werthet, so ist es Prof. Vambery in Pest. Seit er vor nun zehn Jahren seine
große gefahrvolle Reise durch Turkestan unternahm und 'dort, wie keiner vor
ihm die centralasiatischen Dinge aus eigener Anschauung kennen lernte, ist jenes
Land so recht eigentlich seine gelehrte und schriftstellerische Domäne geblieben.
Alle Werke, die er aber seitdem, meist gleichzeitig in deutscher und englischer
Sprache veröffentlichte, seine „Reise in Mittelasien", seine „Skizzen aus Mittel¬
asien", und unzählige Aufsätze in den verschiedensten Zeitschriften Deutsch¬
lands, Englands, Ungarns gipfeln in der Warnung, die er den Engländern
zuruft, sich vor Nußland zu hüten und dessen Vordringen in Mittelasien ei¬
nen Riegel vorzuschieben, wolle es nicht selbst von seinem asiatisch-indischen
Throne herabgestoßen werden, und damit seine Weltstellung in politischer wie
commerzieller Beziehung einbüßen. Der Lauf der Dinge in Centralafien, wie
sie bisher sich vollzogen, ist allerdings so gewesen, wie Vambery — nicht un¬
schwer — voraussagte, und Rußlands Ausdehnungsgelüste in Asien mögen
auch heute noch nicht zu Ende sein. Daß es aber noch Afghanistan, Indien
und die Mongolei verschlucken werde, können wir nicht annehmen, da alsdann
das Platzen des Bovists ganz natürlich eintreten würde. Denn so groß auch
Rußlands Kraft ist und so sehr es die einmal unterworfenen Völker zu beherrschen
versteht, vor einer Assimilirung Indiens würde es doch zurückschrecken. Wir dür¬
fen bei allen Schriften Vambery's eines nicht übersehen: Es ist der Ungar,
der hier schreibt. Ein Franzose, ein Deutscher oder ein Italiener, der über
Centralafien und die dort einschlägigen politischen Fragen sich ausläßt, kann
dies weit unbefangener thun als ein Ungar, der in Rußland den Todfeind
seines Landes sieht und der die nicht unbegründete Furcht hegen mag,
daß der isolirte magyarische Stamm, der als eine kleine asiatische Sprachinsel



5) Geschichte Bocharas oder Transoxaniens von den frühesten Zeiten bis ans die Gegen¬
wart. Nach orientalischen benutzten und unbenützten handschriftlichen Geschichtsquellen zum
ersten Male bearbeit von Hermann Vambery. Deutsche Originalausgabe. 2 Bde. Stuttgart.
Cotta 1872. — Ccntralastcn und die englisch-russische Grcnzsragc. Gesammelte politische Schrif¬
ten von Hermann Vambery. Leipzig. Brockhaus. 1873.
Grenzboten 1873. III. 61
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/193212"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Keue Werke über ßentralasien.*)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1394" next="#ID_1395"> Wenn Jemand das eewrum oeuseo in unseren Tagen ausgiebig ver¬<lb/>
werthet, so ist es Prof. Vambery in Pest. Seit er vor nun zehn Jahren seine<lb/>
große gefahrvolle Reise durch Turkestan unternahm und 'dort, wie keiner vor<lb/>
ihm die centralasiatischen Dinge aus eigener Anschauung kennen lernte, ist jenes<lb/>
Land so recht eigentlich seine gelehrte und schriftstellerische Domäne geblieben.<lb/>
Alle Werke, die er aber seitdem, meist gleichzeitig in deutscher und englischer<lb/>
Sprache veröffentlichte, seine &#x201E;Reise in Mittelasien", seine &#x201E;Skizzen aus Mittel¬<lb/>
asien", und unzählige Aufsätze in den verschiedensten Zeitschriften Deutsch¬<lb/>
lands, Englands, Ungarns gipfeln in der Warnung, die er den Engländern<lb/>
zuruft, sich vor Nußland zu hüten und dessen Vordringen in Mittelasien ei¬<lb/>
nen Riegel vorzuschieben, wolle es nicht selbst von seinem asiatisch-indischen<lb/>
Throne herabgestoßen werden, und damit seine Weltstellung in politischer wie<lb/>
commerzieller Beziehung einbüßen. Der Lauf der Dinge in Centralafien, wie<lb/>
sie bisher sich vollzogen, ist allerdings so gewesen, wie Vambery &#x2014; nicht un¬<lb/>
schwer &#x2014; voraussagte, und Rußlands Ausdehnungsgelüste in Asien mögen<lb/>
auch heute noch nicht zu Ende sein. Daß es aber noch Afghanistan, Indien<lb/>
und die Mongolei verschlucken werde, können wir nicht annehmen, da alsdann<lb/>
das Platzen des Bovists ganz natürlich eintreten würde. Denn so groß auch<lb/>
Rußlands Kraft ist und so sehr es die einmal unterworfenen Völker zu beherrschen<lb/>
versteht, vor einer Assimilirung Indiens würde es doch zurückschrecken. Wir dür¬<lb/>
fen bei allen Schriften Vambery's eines nicht übersehen: Es ist der Ungar,<lb/>
der hier schreibt. Ein Franzose, ein Deutscher oder ein Italiener, der über<lb/>
Centralafien und die dort einschlägigen politischen Fragen sich ausläßt, kann<lb/>
dies weit unbefangener thun als ein Ungar, der in Rußland den Todfeind<lb/>
seines Landes sieht und der die nicht unbegründete Furcht hegen mag,<lb/>
daß der isolirte magyarische Stamm, der als eine kleine asiatische Sprachinsel</p><lb/>
          <note xml:id="FID_138" place="foot"> 5) Geschichte Bocharas oder Transoxaniens von den frühesten Zeiten bis ans die Gegen¬<lb/>
wart. Nach orientalischen benutzten und unbenützten handschriftlichen Geschichtsquellen zum<lb/>
ersten Male bearbeit von Hermann Vambery. Deutsche Originalausgabe. 2 Bde. Stuttgart.<lb/>
Cotta 1872. &#x2014; Ccntralastcn und die englisch-russische Grcnzsragc. Gesammelte politische Schrif¬<lb/>
ten von Hermann Vambery. Leipzig. Brockhaus. 1873.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1873. III. 61</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] Keue Werke über ßentralasien.*) Wenn Jemand das eewrum oeuseo in unseren Tagen ausgiebig ver¬ werthet, so ist es Prof. Vambery in Pest. Seit er vor nun zehn Jahren seine große gefahrvolle Reise durch Turkestan unternahm und 'dort, wie keiner vor ihm die centralasiatischen Dinge aus eigener Anschauung kennen lernte, ist jenes Land so recht eigentlich seine gelehrte und schriftstellerische Domäne geblieben. Alle Werke, die er aber seitdem, meist gleichzeitig in deutscher und englischer Sprache veröffentlichte, seine „Reise in Mittelasien", seine „Skizzen aus Mittel¬ asien", und unzählige Aufsätze in den verschiedensten Zeitschriften Deutsch¬ lands, Englands, Ungarns gipfeln in der Warnung, die er den Engländern zuruft, sich vor Nußland zu hüten und dessen Vordringen in Mittelasien ei¬ nen Riegel vorzuschieben, wolle es nicht selbst von seinem asiatisch-indischen Throne herabgestoßen werden, und damit seine Weltstellung in politischer wie commerzieller Beziehung einbüßen. Der Lauf der Dinge in Centralafien, wie sie bisher sich vollzogen, ist allerdings so gewesen, wie Vambery — nicht un¬ schwer — voraussagte, und Rußlands Ausdehnungsgelüste in Asien mögen auch heute noch nicht zu Ende sein. Daß es aber noch Afghanistan, Indien und die Mongolei verschlucken werde, können wir nicht annehmen, da alsdann das Platzen des Bovists ganz natürlich eintreten würde. Denn so groß auch Rußlands Kraft ist und so sehr es die einmal unterworfenen Völker zu beherrschen versteht, vor einer Assimilirung Indiens würde es doch zurückschrecken. Wir dür¬ fen bei allen Schriften Vambery's eines nicht übersehen: Es ist der Ungar, der hier schreibt. Ein Franzose, ein Deutscher oder ein Italiener, der über Centralafien und die dort einschlägigen politischen Fragen sich ausläßt, kann dies weit unbefangener thun als ein Ungar, der in Rußland den Todfeind seines Landes sieht und der die nicht unbegründete Furcht hegen mag, daß der isolirte magyarische Stamm, der als eine kleine asiatische Sprachinsel 5) Geschichte Bocharas oder Transoxaniens von den frühesten Zeiten bis ans die Gegen¬ wart. Nach orientalischen benutzten und unbenützten handschriftlichen Geschichtsquellen zum ersten Male bearbeit von Hermann Vambery. Deutsche Originalausgabe. 2 Bde. Stuttgart. Cotta 1872. — Ccntralastcn und die englisch-russische Grcnzsragc. Gesammelte politische Schrif¬ ten von Hermann Vambery. Leipzig. Brockhaus. 1873. Grenzboten 1873. III. 61

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/409>, abgerufen am 05.02.2025.