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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band.

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Brutalität und Unflätherei, mit der sich "eine gewisse sehr vornehm thuende
Richtung der Musik" in Ton und Wort breit machen könne.

Ein wunderlicher Irrthum Bruno Meyer's ist es endlich noch, wenn er
wahrhaft sittliche Einwirkungen der Musik nur im Sinne der Milde und
Scinstigung erwartet. Kann sie denn nicht auch zur Belebung des Muthes
und der Thatkraft dienen? Man denke über die "Wacht am Rhein" und
ihren musikalischen Werth so niedrig wie man will, Milde und Sänftigung
sind doch gewiß das letzte, was sie hervorbringt.

Wir brechen hier ab. Eines nur sei am Schlüsse noch ausdrücklich her¬
vorgehoben. Die Meyer'schen Borträge sind von einer stilistischen Durchbil¬
dung, für welche die Leistungsfähigkeit und leider sogar die Genußfähig¬
keit heutzutage nur höchst selten anzutreffen ist. Es ist Race in diesem Stil.




Geschworenen- oder Schöffengerichte.
Dritter Artikel.

In Frankreich, dessen Strafproceß im vorigen Jahrhundert einen höchst
verwerflichen von Voltaire insbesondere gebrandmarkten Charakter trug,
war man schon vor der Revolution durch Montesquieu auf das englische
Geschworenengericht aufmerksam gemacht worden. Montesquieu brachte das¬
selbe in Verbindung mit der Freiheit und in der berühmten Schrift des Abbe'
Sieyös ,,Huc' <zst ce yuL is tiers 6we" finden wir die Behauptung, daß die Frei¬
heit des Volkes anders nicht als mit dem Geschworenengerichte zu behaupten
sei. Der damaligen Zeitströmung empfahl es sich in der That einerseits durch
die Trennung der Festsetzung der Schuld von der Festsetzung der Strafe, welche
der Lehre von der Theilung der Gewalten zu entsprechen schien, andererseits
durch dieJdee, daß nun auch die richtende Gewalt in gewissem Umfange unmittelbar
dem Volke anvertraut w erde. Sehr bald war man denn' auch darüber einig,
daß die Jury den künftig maßgebenden politischen Principien angemessen sei.
Es handelte sich nur noch um die Ausführung,*) und bei dieser beging man
allerdings sehr erhebliche Fehler.

Erstens wurde die Fähigkeit Geschworener zu sein, sowie die Auswahl
derselben in Verbindung gesetzt mit den politischen Wahlrechten und den po¬
litischen Wahlen. Jeder zur politischen Wahl Berechtigte war auch fähig,
Geschworener zu sein, und die Auswahl erfolgte durch die Administration,



*) Die Civiljury ließ man halten, weil die hier in Betracht kommenden Rechtsfragen
nicht wohl den Geschworenen überlassen werden könnten.

Brutalität und Unflätherei, mit der sich „eine gewisse sehr vornehm thuende
Richtung der Musik" in Ton und Wort breit machen könne.

Ein wunderlicher Irrthum Bruno Meyer's ist es endlich noch, wenn er
wahrhaft sittliche Einwirkungen der Musik nur im Sinne der Milde und
Scinstigung erwartet. Kann sie denn nicht auch zur Belebung des Muthes
und der Thatkraft dienen? Man denke über die „Wacht am Rhein" und
ihren musikalischen Werth so niedrig wie man will, Milde und Sänftigung
sind doch gewiß das letzte, was sie hervorbringt.

Wir brechen hier ab. Eines nur sei am Schlüsse noch ausdrücklich her¬
vorgehoben. Die Meyer'schen Borträge sind von einer stilistischen Durchbil¬
dung, für welche die Leistungsfähigkeit und leider sogar die Genußfähig¬
keit heutzutage nur höchst selten anzutreffen ist. Es ist Race in diesem Stil.




Geschworenen- oder Schöffengerichte.
Dritter Artikel.

In Frankreich, dessen Strafproceß im vorigen Jahrhundert einen höchst
verwerflichen von Voltaire insbesondere gebrandmarkten Charakter trug,
war man schon vor der Revolution durch Montesquieu auf das englische
Geschworenengericht aufmerksam gemacht worden. Montesquieu brachte das¬
selbe in Verbindung mit der Freiheit und in der berühmten Schrift des Abbe'
Sieyös ,,Huc' <zst ce yuL is tiers 6we" finden wir die Behauptung, daß die Frei¬
heit des Volkes anders nicht als mit dem Geschworenengerichte zu behaupten
sei. Der damaligen Zeitströmung empfahl es sich in der That einerseits durch
die Trennung der Festsetzung der Schuld von der Festsetzung der Strafe, welche
der Lehre von der Theilung der Gewalten zu entsprechen schien, andererseits
durch dieJdee, daß nun auch die richtende Gewalt in gewissem Umfange unmittelbar
dem Volke anvertraut w erde. Sehr bald war man denn' auch darüber einig,
daß die Jury den künftig maßgebenden politischen Principien angemessen sei.
Es handelte sich nur noch um die Ausführung,*) und bei dieser beging man
allerdings sehr erhebliche Fehler.

Erstens wurde die Fähigkeit Geschworener zu sein, sowie die Auswahl
derselben in Verbindung gesetzt mit den politischen Wahlrechten und den po¬
litischen Wahlen. Jeder zur politischen Wahl Berechtigte war auch fähig,
Geschworener zu sein, und die Auswahl erfolgte durch die Administration,



*) Die Civiljury ließ man halten, weil die hier in Betracht kommenden Rechtsfragen
nicht wohl den Geschworenen überlassen werden könnten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_192802/263>, abgerufen am 05.02.2025.