Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

faßt, daß man überall möglichst farblose Abgeordnete wählte, welche beiden
Theilen genehm waren, und ebenso sehr als Vertreter der einen wie der an¬
deren Partei gelten konnten. Solche Männer, welche die nationale Idee nur
in ganz homöopathischer Abschwächung anerkennen --, sich von jeder praktischen
Programmfrage vorsichtig zurückziehen, und dafür stets die ebenso inhaltslose
als unhistorische Phrase im Munde führen, "man müsse dem Kaisers, geben,
was des Kaisers und dem König, was des Königs sei", mußten, indem sie
ohne jedes Mandat der Parteigenossen, blos in Folge ihrer Stellung in
der Ständekammer, die Leitung der Partei in die Hand nahmen, dieselbe von
innen heraus zerstören. Das Land zieht sich daher mehr und mehr von der
Residenz zurück, und namentlich ist es die zweite Stadt des Königreichs, Ulm,
in welcher die nationale Partei, gestützt auf ein unabhängiges Bürgerthum,
und unbeengt von den hemmenden Einflüssen der Stuttgarter Kreise, selbstän¬
dig in den Fragen der nationalen Politik vorwärts zu gehen beginnt. (Ulm's
Abgeordneter im Reichstag ist Römer, im Landtag Pfeifer.)

Daß ein nationales Organ für die Dauer nicht unter einer Leitung ge¬
deihen konnte, welche dasselbe jeden Augenblick den drohenden Blicken eines
Ministers gegenüber zu desavouiren bereit war, versteht sich von selbst und
war daher sein Eingehen in gewisser Richtung wünschenswerth. Dennoch
zweifeln wir nicht, daß das Bedürfniß in Bälde von selbst ein neues Organ
hervorrufen wird, wenn erst die Verhältnisse wieder sich geklärt haben.
Die Existenz einer wirklich actionsfähigen nationalen Partei in Schwaben ist
Angesichts der Sonderbestrebungen unserer Regierung im Bundesrath wie
gegenüber der stilleren Wirksamkeit ihrer untergeordneten Organe im Lande
für die Weiterentwickelung unserer dermaligen Zustände in Württemberg wie
im Reich unbedingt nothwendig.

(Schluß folgt).




Dom preußischen Landtag.

Die vier kirchlichen Vorlagen sind nach der ersten Lesung sämmtlich an
eine und dieselbe, eigens gebildete Commission zur Berichterstattung über¬
wiesen worden. Die Commission wird ihre Arbeit aufs Aeußerste beeilen und
wird die Aenderung der auf die Kirche bezüglichen Verfassungsartikel 15 und
18 vorschlagen. Wahrscheinlich wird über diese Verfassungsänderung zunächst
abgestimmt werden, weil sie, um einen gültigen Beschluß des Hauses darzu¬
stellen, nach 2l Tagen wiederholt werden muß. Man muß also mit der


faßt, daß man überall möglichst farblose Abgeordnete wählte, welche beiden
Theilen genehm waren, und ebenso sehr als Vertreter der einen wie der an¬
deren Partei gelten konnten. Solche Männer, welche die nationale Idee nur
in ganz homöopathischer Abschwächung anerkennen —, sich von jeder praktischen
Programmfrage vorsichtig zurückziehen, und dafür stets die ebenso inhaltslose
als unhistorische Phrase im Munde führen, „man müsse dem Kaisers, geben,
was des Kaisers und dem König, was des Königs sei", mußten, indem sie
ohne jedes Mandat der Parteigenossen, blos in Folge ihrer Stellung in
der Ständekammer, die Leitung der Partei in die Hand nahmen, dieselbe von
innen heraus zerstören. Das Land zieht sich daher mehr und mehr von der
Residenz zurück, und namentlich ist es die zweite Stadt des Königreichs, Ulm,
in welcher die nationale Partei, gestützt auf ein unabhängiges Bürgerthum,
und unbeengt von den hemmenden Einflüssen der Stuttgarter Kreise, selbstän¬
dig in den Fragen der nationalen Politik vorwärts zu gehen beginnt. (Ulm's
Abgeordneter im Reichstag ist Römer, im Landtag Pfeifer.)

Daß ein nationales Organ für die Dauer nicht unter einer Leitung ge¬
deihen konnte, welche dasselbe jeden Augenblick den drohenden Blicken eines
Ministers gegenüber zu desavouiren bereit war, versteht sich von selbst und
war daher sein Eingehen in gewisser Richtung wünschenswerth. Dennoch
zweifeln wir nicht, daß das Bedürfniß in Bälde von selbst ein neues Organ
hervorrufen wird, wenn erst die Verhältnisse wieder sich geklärt haben.
Die Existenz einer wirklich actionsfähigen nationalen Partei in Schwaben ist
Angesichts der Sonderbestrebungen unserer Regierung im Bundesrath wie
gegenüber der stilleren Wirksamkeit ihrer untergeordneten Organe im Lande
für die Weiterentwickelung unserer dermaligen Zustände in Württemberg wie
im Reich unbedingt nothwendig.

(Schluß folgt).




Dom preußischen Landtag.

Die vier kirchlichen Vorlagen sind nach der ersten Lesung sämmtlich an
eine und dieselbe, eigens gebildete Commission zur Berichterstattung über¬
wiesen worden. Die Commission wird ihre Arbeit aufs Aeußerste beeilen und
wird die Aenderung der auf die Kirche bezüglichen Verfassungsartikel 15 und
18 vorschlagen. Wahrscheinlich wird über diese Verfassungsänderung zunächst
abgestimmt werden, weil sie, um einen gültigen Beschluß des Hauses darzu¬
stellen, nach 2l Tagen wiederholt werden muß. Man muß also mit der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0200" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/129192"/>
          <p xml:id="ID_646" prev="#ID_645"> faßt, daß man überall möglichst farblose Abgeordnete wählte, welche beiden<lb/>
Theilen genehm waren, und ebenso sehr als Vertreter der einen wie der an¬<lb/>
deren Partei gelten konnten. Solche Männer, welche die nationale Idee nur<lb/>
in ganz homöopathischer Abschwächung anerkennen &#x2014;, sich von jeder praktischen<lb/>
Programmfrage vorsichtig zurückziehen, und dafür stets die ebenso inhaltslose<lb/>
als unhistorische Phrase im Munde führen, &#x201E;man müsse dem Kaisers, geben,<lb/>
was des Kaisers und dem König, was des Königs sei", mußten, indem sie<lb/>
ohne jedes Mandat der Parteigenossen, blos in Folge ihrer Stellung in<lb/>
der Ständekammer, die Leitung der Partei in die Hand nahmen, dieselbe von<lb/>
innen heraus zerstören. Das Land zieht sich daher mehr und mehr von der<lb/>
Residenz zurück, und namentlich ist es die zweite Stadt des Königreichs, Ulm,<lb/>
in welcher die nationale Partei, gestützt auf ein unabhängiges Bürgerthum,<lb/>
und unbeengt von den hemmenden Einflüssen der Stuttgarter Kreise, selbstän¬<lb/>
dig in den Fragen der nationalen Politik vorwärts zu gehen beginnt. (Ulm's<lb/>
Abgeordneter im Reichstag ist Römer, im Landtag Pfeifer.)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_647"> Daß ein nationales Organ für die Dauer nicht unter einer Leitung ge¬<lb/>
deihen konnte, welche dasselbe jeden Augenblick den drohenden Blicken eines<lb/>
Ministers gegenüber zu desavouiren bereit war, versteht sich von selbst und<lb/>
war daher sein Eingehen in gewisser Richtung wünschenswerth. Dennoch<lb/>
zweifeln wir nicht, daß das Bedürfniß in Bälde von selbst ein neues Organ<lb/>
hervorrufen wird, wenn erst die Verhältnisse wieder sich geklärt haben.<lb/>
Die Existenz einer wirklich actionsfähigen nationalen Partei in Schwaben ist<lb/>
Angesichts der Sonderbestrebungen unserer Regierung im Bundesrath wie<lb/>
gegenüber der stilleren Wirksamkeit ihrer untergeordneten Organe im Lande<lb/>
für die Weiterentwickelung unserer dermaligen Zustände in Württemberg wie<lb/>
im Reich unbedingt nothwendig.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_648"> (Schluß folgt).</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Dom preußischen Landtag.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_649" next="#ID_650"> Die vier kirchlichen Vorlagen sind nach der ersten Lesung sämmtlich an<lb/>
eine und dieselbe, eigens gebildete Commission zur Berichterstattung über¬<lb/>
wiesen worden. Die Commission wird ihre Arbeit aufs Aeußerste beeilen und<lb/>
wird die Aenderung der auf die Kirche bezüglichen Verfassungsartikel 15 und<lb/>
18 vorschlagen. Wahrscheinlich wird über diese Verfassungsänderung zunächst<lb/>
abgestimmt werden, weil sie, um einen gültigen Beschluß des Hauses darzu¬<lb/>
stellen, nach 2l Tagen wiederholt werden muß.  Man muß also mit der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0200] faßt, daß man überall möglichst farblose Abgeordnete wählte, welche beiden Theilen genehm waren, und ebenso sehr als Vertreter der einen wie der an¬ deren Partei gelten konnten. Solche Männer, welche die nationale Idee nur in ganz homöopathischer Abschwächung anerkennen —, sich von jeder praktischen Programmfrage vorsichtig zurückziehen, und dafür stets die ebenso inhaltslose als unhistorische Phrase im Munde führen, „man müsse dem Kaisers, geben, was des Kaisers und dem König, was des Königs sei", mußten, indem sie ohne jedes Mandat der Parteigenossen, blos in Folge ihrer Stellung in der Ständekammer, die Leitung der Partei in die Hand nahmen, dieselbe von innen heraus zerstören. Das Land zieht sich daher mehr und mehr von der Residenz zurück, und namentlich ist es die zweite Stadt des Königreichs, Ulm, in welcher die nationale Partei, gestützt auf ein unabhängiges Bürgerthum, und unbeengt von den hemmenden Einflüssen der Stuttgarter Kreise, selbstän¬ dig in den Fragen der nationalen Politik vorwärts zu gehen beginnt. (Ulm's Abgeordneter im Reichstag ist Römer, im Landtag Pfeifer.) Daß ein nationales Organ für die Dauer nicht unter einer Leitung ge¬ deihen konnte, welche dasselbe jeden Augenblick den drohenden Blicken eines Ministers gegenüber zu desavouiren bereit war, versteht sich von selbst und war daher sein Eingehen in gewisser Richtung wünschenswerth. Dennoch zweifeln wir nicht, daß das Bedürfniß in Bälde von selbst ein neues Organ hervorrufen wird, wenn erst die Verhältnisse wieder sich geklärt haben. Die Existenz einer wirklich actionsfähigen nationalen Partei in Schwaben ist Angesichts der Sonderbestrebungen unserer Regierung im Bundesrath wie gegenüber der stilleren Wirksamkeit ihrer untergeordneten Organe im Lande für die Weiterentwickelung unserer dermaligen Zustände in Württemberg wie im Reich unbedingt nothwendig. (Schluß folgt). Dom preußischen Landtag. Die vier kirchlichen Vorlagen sind nach der ersten Lesung sämmtlich an eine und dieselbe, eigens gebildete Commission zur Berichterstattung über¬ wiesen worden. Die Commission wird ihre Arbeit aufs Aeußerste beeilen und wird die Aenderung der auf die Kirche bezüglichen Verfassungsartikel 15 und 18 vorschlagen. Wahrscheinlich wird über diese Verfassungsänderung zunächst abgestimmt werden, weil sie, um einen gültigen Beschluß des Hauses darzu¬ stellen, nach 2l Tagen wiederholt werden muß. Man muß also mit der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/200
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/200>, abgerufen am 24.08.2024.