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Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band.

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lich dem Ministerium verdankten. Die Folgen blieben nicht aus. Gerade in
dem Augenblick, wo die nationale Partei nach den Ereignissen des Jahres 1870
berufen war, eine hervorragendere politische Stellung im Lande einzunehmen,
als je zuvor, waren ihre Führer -- s. v. v. -- auf den Leim gekrochen. Herr
v. Mittnacht triumphirte, und mit Recht.--Es kamen die Wahlen zum
Reichstag. Bei der Teilnahmlosigkeit der Gegner disponirte die Partei that¬
sächlich über beinahe sämmtliche Mandate. Anstatt nun aber für eine ange¬
messene Vertretung der nationalen Partei in Berlin zu sorgen, welche der
immerhin hervorragenden Stellung der 17 Schwaben des Zollparlaments ent¬
sprach, glaubte eine kurzsichtige Stuttgarter Koterie das Land mit einer An¬
zahl von Abgeordneten versehen zu müssen, denen es größtentheils an jedem Beruf
zur politischen Laufbahn fehlte, und deren Aufstellung von Seiten der Gegner Spott,
in den Kreisen der Partei aber Staunen erregte. -- Die eigentliche Zersetzung
aber datirt von der Bildung der jetzigen Fraction der nationalen Partei in
der Abgeordnetenkammer. Welcher Gegensatz zwischen einst und jetzt! So
richtig auch der Satz sein mag, daß heutzutage jeder dauernde Fortschritt
im politischen Leben auf Compromissen zwischen den entgegengesetzten Partei¬
standpunkten beruht: so hat derselbe doch nur Bedeutung gegenüber solchen
Parteien, welche ein bestimmtes Programm haben, welche wissen, was sie
wollen und für ihre Grundsätze nötigenfalls einzutreten bereit sind. In
Stuttgart dagegen hat man das Compromiß in die nationale Partei selbst
hineingetragen: und diese damit fernerhin zu jeder ernstlichen Action unfähig
gemacht. Zum Dank dafür verhilft ihr das Ministerium von Zeit zu Zeit
zu irgend einem unschädlichen Erfolg. So neulich, als die deutsche Partei
die so dringende Reform der ständischen Geschäftsordnung nach dem Muster
des Reichstags in die Hand genommen hatte. Die Disciplinlosigkeit der
eigenen Parteigenossen und die weit verbreitete Sorge wegen verminderten
Diätenbezugs bei rascherem Tempo der ständischen Verhandlungen bedrohten
diesen Antrag mit einem gänzlichen Fiasko, hätte nicht Herr v. Mittnacht
schließlich mit einer durchschlagenden Rede den nationalen noch so viel Erfolg
verschafft, daß sie wenigstens nicht gänzlich geschlagen das Schlachtfeld ver¬
ließen. Die schwerfälligen Commissionsberichte, für Viele die Quelle einer
Nebeneinnahme während der Vertagung der Ständekammer, die jahrelange
Verschleppung der Gesetzesvorlagen im Schooß der Commissionen, mit dem ganzen
corrumpirenden Einfluß der Commissionsberathungen auf die Beschlußfassung
des Plenums wird auch fernerhin fortbestehen und wesentlich dazu beitragen,
die Verhandlungen im Stuttgarter Halbmondsaal mehr und mehr zu discredi-
tiren. Doch kehren wir zurück. Man hatte in der letzten Zeit sich bei den
Wahlen, anstatt, wenn man Compromisse wollte, mit der Regierungspartei
die einzelnen Wahlbezirke gleichsam auszutheilen, die Verständigung so aufge-


lich dem Ministerium verdankten. Die Folgen blieben nicht aus. Gerade in
dem Augenblick, wo die nationale Partei nach den Ereignissen des Jahres 1870
berufen war, eine hervorragendere politische Stellung im Lande einzunehmen,
als je zuvor, waren ihre Führer — s. v. v. — auf den Leim gekrochen. Herr
v. Mittnacht triumphirte, und mit Recht.--Es kamen die Wahlen zum
Reichstag. Bei der Teilnahmlosigkeit der Gegner disponirte die Partei that¬
sächlich über beinahe sämmtliche Mandate. Anstatt nun aber für eine ange¬
messene Vertretung der nationalen Partei in Berlin zu sorgen, welche der
immerhin hervorragenden Stellung der 17 Schwaben des Zollparlaments ent¬
sprach, glaubte eine kurzsichtige Stuttgarter Koterie das Land mit einer An¬
zahl von Abgeordneten versehen zu müssen, denen es größtentheils an jedem Beruf
zur politischen Laufbahn fehlte, und deren Aufstellung von Seiten der Gegner Spott,
in den Kreisen der Partei aber Staunen erregte. — Die eigentliche Zersetzung
aber datirt von der Bildung der jetzigen Fraction der nationalen Partei in
der Abgeordnetenkammer. Welcher Gegensatz zwischen einst und jetzt! So
richtig auch der Satz sein mag, daß heutzutage jeder dauernde Fortschritt
im politischen Leben auf Compromissen zwischen den entgegengesetzten Partei¬
standpunkten beruht: so hat derselbe doch nur Bedeutung gegenüber solchen
Parteien, welche ein bestimmtes Programm haben, welche wissen, was sie
wollen und für ihre Grundsätze nötigenfalls einzutreten bereit sind. In
Stuttgart dagegen hat man das Compromiß in die nationale Partei selbst
hineingetragen: und diese damit fernerhin zu jeder ernstlichen Action unfähig
gemacht. Zum Dank dafür verhilft ihr das Ministerium von Zeit zu Zeit
zu irgend einem unschädlichen Erfolg. So neulich, als die deutsche Partei
die so dringende Reform der ständischen Geschäftsordnung nach dem Muster
des Reichstags in die Hand genommen hatte. Die Disciplinlosigkeit der
eigenen Parteigenossen und die weit verbreitete Sorge wegen verminderten
Diätenbezugs bei rascherem Tempo der ständischen Verhandlungen bedrohten
diesen Antrag mit einem gänzlichen Fiasko, hätte nicht Herr v. Mittnacht
schließlich mit einer durchschlagenden Rede den nationalen noch so viel Erfolg
verschafft, daß sie wenigstens nicht gänzlich geschlagen das Schlachtfeld ver¬
ließen. Die schwerfälligen Commissionsberichte, für Viele die Quelle einer
Nebeneinnahme während der Vertagung der Ständekammer, die jahrelange
Verschleppung der Gesetzesvorlagen im Schooß der Commissionen, mit dem ganzen
corrumpirenden Einfluß der Commissionsberathungen auf die Beschlußfassung
des Plenums wird auch fernerhin fortbestehen und wesentlich dazu beitragen,
die Verhandlungen im Stuttgarter Halbmondsaal mehr und mehr zu discredi-
tiren. Doch kehren wir zurück. Man hatte in der letzten Zeit sich bei den
Wahlen, anstatt, wenn man Compromisse wollte, mit der Regierungspartei
die einzelnen Wahlbezirke gleichsam auszutheilen, die Verständigung so aufge-


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[0199] lich dem Ministerium verdankten. Die Folgen blieben nicht aus. Gerade in dem Augenblick, wo die nationale Partei nach den Ereignissen des Jahres 1870 berufen war, eine hervorragendere politische Stellung im Lande einzunehmen, als je zuvor, waren ihre Führer — s. v. v. — auf den Leim gekrochen. Herr v. Mittnacht triumphirte, und mit Recht.--Es kamen die Wahlen zum Reichstag. Bei der Teilnahmlosigkeit der Gegner disponirte die Partei that¬ sächlich über beinahe sämmtliche Mandate. Anstatt nun aber für eine ange¬ messene Vertretung der nationalen Partei in Berlin zu sorgen, welche der immerhin hervorragenden Stellung der 17 Schwaben des Zollparlaments ent¬ sprach, glaubte eine kurzsichtige Stuttgarter Koterie das Land mit einer An¬ zahl von Abgeordneten versehen zu müssen, denen es größtentheils an jedem Beruf zur politischen Laufbahn fehlte, und deren Aufstellung von Seiten der Gegner Spott, in den Kreisen der Partei aber Staunen erregte. — Die eigentliche Zersetzung aber datirt von der Bildung der jetzigen Fraction der nationalen Partei in der Abgeordnetenkammer. Welcher Gegensatz zwischen einst und jetzt! So richtig auch der Satz sein mag, daß heutzutage jeder dauernde Fortschritt im politischen Leben auf Compromissen zwischen den entgegengesetzten Partei¬ standpunkten beruht: so hat derselbe doch nur Bedeutung gegenüber solchen Parteien, welche ein bestimmtes Programm haben, welche wissen, was sie wollen und für ihre Grundsätze nötigenfalls einzutreten bereit sind. In Stuttgart dagegen hat man das Compromiß in die nationale Partei selbst hineingetragen: und diese damit fernerhin zu jeder ernstlichen Action unfähig gemacht. Zum Dank dafür verhilft ihr das Ministerium von Zeit zu Zeit zu irgend einem unschädlichen Erfolg. So neulich, als die deutsche Partei die so dringende Reform der ständischen Geschäftsordnung nach dem Muster des Reichstags in die Hand genommen hatte. Die Disciplinlosigkeit der eigenen Parteigenossen und die weit verbreitete Sorge wegen verminderten Diätenbezugs bei rascherem Tempo der ständischen Verhandlungen bedrohten diesen Antrag mit einem gänzlichen Fiasko, hätte nicht Herr v. Mittnacht schließlich mit einer durchschlagenden Rede den nationalen noch so viel Erfolg verschafft, daß sie wenigstens nicht gänzlich geschlagen das Schlachtfeld ver¬ ließen. Die schwerfälligen Commissionsberichte, für Viele die Quelle einer Nebeneinnahme während der Vertagung der Ständekammer, die jahrelange Verschleppung der Gesetzesvorlagen im Schooß der Commissionen, mit dem ganzen corrumpirenden Einfluß der Commissionsberathungen auf die Beschlußfassung des Plenums wird auch fernerhin fortbestehen und wesentlich dazu beitragen, die Verhandlungen im Stuttgarter Halbmondsaal mehr und mehr zu discredi- tiren. Doch kehren wir zurück. Man hatte in der letzten Zeit sich bei den Wahlen, anstatt, wenn man Compromisse wollte, mit der Regierungspartei die einzelnen Wahlbezirke gleichsam auszutheilen, die Verständigung so aufge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 32, 1873, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341817_128991/199>, abgerufen am 02.10.2024.