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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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aber in das Detail des Dienstes wesentlich eingreifen zu dürfen. Man wollte
durch dies System, außer der größeren Centralisation und Gleichförmigkeit in
der ganzen Armee, auch noch die Möglichkeit wahren, bei jedem ausbrechenden
Kriege die Zusammensetzung der Truppen zu Brigaden, Divisionen und Corps
und die Besetzung der höheren Stellen gerade so einzurichten, wie es für den
speciellen Fall am zweckmäßigsten schien. Der Kaiser aber hatte erkannt, daß
diese Vortheile untergeordnet seien gegenüber dem großen Vorzug des preußi¬
schen Systems, nach welchem ein General die Truppe, welche er im Felde
führt, schon im Frieden commandirt und ihre Ausbildung leitet, so daß sich
beide Theile kennen und die ganze Truppe ein Gefühl alter Zusammengehö-
r!gkeit durchdringt. Napoleon setzte jedoch dies Project seinen militärischen
Räthen gegenüber ebenso wenig durch, wie das Verlangen eines unabänder¬
lichen Jahrescontingents. Seltsames Schauspiel eines Monarchen, der sich den
Anschein politischer Allmacht gibt und nicht einmal im Stande ist, im eignen
Reiche das für gut Erkannte durchzuführen. Cin Beweis, daß die Einsicht ohne
den Charakter nutzlos ist. -- Welch' andere Frucht hat der ernste Ueberzeu¬
gungskampf getragen, den in ganz denselben Jahren König Wilhelm seiner
ebenfalls widerstrebenden Landesvertretung gegenüber siegreich, wenn auch schwe¬
ren Herzens durchfochten! -- Der Wille ist's, der macht den Mann!




Marseille's McKgang und seine Koncurrenten aus der
Ueberlandroute.

Es ist noch gar nicht lange her, daß Marseille unbedingt der blühendste
und wichtigste Hafen am ganzen Mittelmeer war. Das alte Massillia, dessen
freisinnige städtische Verfassung Aristoteles pries, hatte seinen Ruhm bewährt.
Würdig und großartig stand der Geburtsort der Marseillaise und -- des
Herrn Thiers in allen seinen Handelsbeziehungen da, eine wahre Königin des
mediterrannischen Meeres. Barcelona, Genua, Trieft, durch hohe Bergschranken
vom Binnenlande getrennt, schwer zugängig, konnten mit der leicht erreichbaren
Stadt unfern der Rhonemündungen nicht concurriren. Selbst das geschäftige
Livorno zeigte mehr locale Bedeutung. Von Neapel, das faul gleich seinen
Lazzaroni ist, konnte keine Rede sein -- denn Campanien war nie ein handel¬
treibendes Land; Palermo begnügte sich mit seinem Wein- und Orangehandel.
Brindisi nannte man gar nicht, Venedig stagnirte in seinen Lagunen, wie es
Jahrhunderte schon stagnirt. Was Konstantinopel, Smyrna, Alexandria betraf.


aber in das Detail des Dienstes wesentlich eingreifen zu dürfen. Man wollte
durch dies System, außer der größeren Centralisation und Gleichförmigkeit in
der ganzen Armee, auch noch die Möglichkeit wahren, bei jedem ausbrechenden
Kriege die Zusammensetzung der Truppen zu Brigaden, Divisionen und Corps
und die Besetzung der höheren Stellen gerade so einzurichten, wie es für den
speciellen Fall am zweckmäßigsten schien. Der Kaiser aber hatte erkannt, daß
diese Vortheile untergeordnet seien gegenüber dem großen Vorzug des preußi¬
schen Systems, nach welchem ein General die Truppe, welche er im Felde
führt, schon im Frieden commandirt und ihre Ausbildung leitet, so daß sich
beide Theile kennen und die ganze Truppe ein Gefühl alter Zusammengehö-
r!gkeit durchdringt. Napoleon setzte jedoch dies Project seinen militärischen
Räthen gegenüber ebenso wenig durch, wie das Verlangen eines unabänder¬
lichen Jahrescontingents. Seltsames Schauspiel eines Monarchen, der sich den
Anschein politischer Allmacht gibt und nicht einmal im Stande ist, im eignen
Reiche das für gut Erkannte durchzuführen. Cin Beweis, daß die Einsicht ohne
den Charakter nutzlos ist. — Welch' andere Frucht hat der ernste Ueberzeu¬
gungskampf getragen, den in ganz denselben Jahren König Wilhelm seiner
ebenfalls widerstrebenden Landesvertretung gegenüber siegreich, wenn auch schwe¬
ren Herzens durchfochten! — Der Wille ist's, der macht den Mann!




Marseille's McKgang und seine Koncurrenten aus der
Ueberlandroute.

Es ist noch gar nicht lange her, daß Marseille unbedingt der blühendste
und wichtigste Hafen am ganzen Mittelmeer war. Das alte Massillia, dessen
freisinnige städtische Verfassung Aristoteles pries, hatte seinen Ruhm bewährt.
Würdig und großartig stand der Geburtsort der Marseillaise und — des
Herrn Thiers in allen seinen Handelsbeziehungen da, eine wahre Königin des
mediterrannischen Meeres. Barcelona, Genua, Trieft, durch hohe Bergschranken
vom Binnenlande getrennt, schwer zugängig, konnten mit der leicht erreichbaren
Stadt unfern der Rhonemündungen nicht concurriren. Selbst das geschäftige
Livorno zeigte mehr locale Bedeutung. Von Neapel, das faul gleich seinen
Lazzaroni ist, konnte keine Rede sein — denn Campanien war nie ein handel¬
treibendes Land; Palermo begnügte sich mit seinem Wein- und Orangehandel.
Brindisi nannte man gar nicht, Venedig stagnirte in seinen Lagunen, wie es
Jahrhunderte schon stagnirt. Was Konstantinopel, Smyrna, Alexandria betraf.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/72>, abgerufen am 28.06.2024.