Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
?om preußischen Landtag.

Die Sitzungen dieser Woche, welche nur das Abgeordnetenhaus gehalten
hat, sind vorzugsweise der ersten und zweiten Lesung der neuen Kreisord¬
nungsvorlage gewidmet gewesen. Den Unterschied dieser Vorlage von dem in
der vorjährigen bis in dieses Frühjahr sich erstreckenden Session vereinbarten
Entwurf habe ich im vorigen Brief angegeben. Das Resultat der dies-
wöchentlichen beiden Lesungen ist die unveränderte Annahme der neuen Vor¬
lage durch das Abgeordnetenhaus. An der letzten Bestätigung dieser Annahme
bei der dritten Lesung besteht kein Zweifel.*) So ist denn die Regierung in
der Lage, mit dem nothwendigen Pairsschub vorzugehen, dessen Veröffent¬
lichung in den nächsten Tagen erwartet wird. Es besteht sogar eine gewisse
Nothwendigkeit, mit den neuen Pairsernennungen nicht länger zurückzuhalten.
Wollte nämlich die Regierung mit diesen Ernennungen etwa warten, bis die
Kreisordnung bei den Abgeordneten endgültig genehmigt und von dort zu
den Herren gelangt ist, so könnte die bisherige Majorität hier eine Commis¬
sion ihrer Parteigenossen wählen, welche möglicherweise mit der Berichterstat¬
tung über die Vorlage niemals zu Stande käme. Die Befürchtung entspricht
der kleinlichen Taktik der Majorität des Herrenhauses, welche der Kreisord¬
nungsvorlage gegenüber einmal versucht wurde.

Man spricht davon, daß die neuen Herren überwiegend höhere Staats¬
beamte sein werden, wie es vollkommen der Sachlage entspricht. Denn noch
mehr als die Annahme der Kreisordnung ist die Aufgabe der neuen Herren,
wie schon mehrmals hervorgehoben wurde, die Reformen der Staatskörper¬
schaften, insonderheit des Herrenhauses selbst, auf Grund einer von der Re¬
gierung zu ergreifenden Initiative, Zu dieser Reform bedarf die Regierung
Männer, auf die sie als Mitarbeiter schon länger zu zählen gewohnt ist, welche
die Resignation besitzen, einer vorübergehenden aber darum nicht minder verant¬
wortlichen Aufgabe sich zu unterziehen, welche endlich den Standpunkt der Staats¬
aufgabe einzunehmen wissen ohne Beirrung durch gesellschaftliche Interessen.

Es hat vielfach Aufmerksamkeit erregt, daß der Reichskanzler und Mi¬
nisterpräsident, dessen Abwesenheit bei der ersten voraussichtlich vergeblichen
Berathung der Kreisordnung im Herrenhause man nachträglich so klug ge¬
worden ist, erklärlich zu finden, nicht bei der jetzigen Berathung, wo es sich
um die Durchbringung des Gesetzes mit allen Mitteln der Verfassung handelt,
erschienen ist. Aber was sollte den leidenden Ministerpräsidenten hierzu be¬
wegen? Er hat oft genug bewiesen, daß er seine angegriffene Gesundheit den
Forderungen seines Amtes nur zu sehr nachsetzt. Aber im Augenblick liegt



") Die Kreisordnung ist seither in dritter Lesung gegen die Stimmen der Polen, Ultramon-
t D. Red. anen und einiger Feudalen angenommen worden.
?om preußischen Landtag.

Die Sitzungen dieser Woche, welche nur das Abgeordnetenhaus gehalten
hat, sind vorzugsweise der ersten und zweiten Lesung der neuen Kreisord¬
nungsvorlage gewidmet gewesen. Den Unterschied dieser Vorlage von dem in
der vorjährigen bis in dieses Frühjahr sich erstreckenden Session vereinbarten
Entwurf habe ich im vorigen Brief angegeben. Das Resultat der dies-
wöchentlichen beiden Lesungen ist die unveränderte Annahme der neuen Vor¬
lage durch das Abgeordnetenhaus. An der letzten Bestätigung dieser Annahme
bei der dritten Lesung besteht kein Zweifel.*) So ist denn die Regierung in
der Lage, mit dem nothwendigen Pairsschub vorzugehen, dessen Veröffent¬
lichung in den nächsten Tagen erwartet wird. Es besteht sogar eine gewisse
Nothwendigkeit, mit den neuen Pairsernennungen nicht länger zurückzuhalten.
Wollte nämlich die Regierung mit diesen Ernennungen etwa warten, bis die
Kreisordnung bei den Abgeordneten endgültig genehmigt und von dort zu
den Herren gelangt ist, so könnte die bisherige Majorität hier eine Commis¬
sion ihrer Parteigenossen wählen, welche möglicherweise mit der Berichterstat¬
tung über die Vorlage niemals zu Stande käme. Die Befürchtung entspricht
der kleinlichen Taktik der Majorität des Herrenhauses, welche der Kreisord¬
nungsvorlage gegenüber einmal versucht wurde.

Man spricht davon, daß die neuen Herren überwiegend höhere Staats¬
beamte sein werden, wie es vollkommen der Sachlage entspricht. Denn noch
mehr als die Annahme der Kreisordnung ist die Aufgabe der neuen Herren,
wie schon mehrmals hervorgehoben wurde, die Reformen der Staatskörper¬
schaften, insonderheit des Herrenhauses selbst, auf Grund einer von der Re¬
gierung zu ergreifenden Initiative, Zu dieser Reform bedarf die Regierung
Männer, auf die sie als Mitarbeiter schon länger zu zählen gewohnt ist, welche
die Resignation besitzen, einer vorübergehenden aber darum nicht minder verant¬
wortlichen Aufgabe sich zu unterziehen, welche endlich den Standpunkt der Staats¬
aufgabe einzunehmen wissen ohne Beirrung durch gesellschaftliche Interessen.

Es hat vielfach Aufmerksamkeit erregt, daß der Reichskanzler und Mi¬
nisterpräsident, dessen Abwesenheit bei der ersten voraussichtlich vergeblichen
Berathung der Kreisordnung im Herrenhause man nachträglich so klug ge¬
worden ist, erklärlich zu finden, nicht bei der jetzigen Berathung, wo es sich
um die Durchbringung des Gesetzes mit allen Mitteln der Verfassung handelt,
erschienen ist. Aber was sollte den leidenden Ministerpräsidenten hierzu be¬
wegen? Er hat oft genug bewiesen, daß er seine angegriffene Gesundheit den
Forderungen seines Amtes nur zu sehr nachsetzt. Aber im Augenblick liegt



") Die Kreisordnung ist seither in dritter Lesung gegen die Stimmen der Polen, Ultramon-
t D. Red. anen und einiger Feudalen angenommen worden.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0405" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/128859"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ?om preußischen Landtag.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1309"> Die Sitzungen dieser Woche, welche nur das Abgeordnetenhaus gehalten<lb/>
hat, sind vorzugsweise der ersten und zweiten Lesung der neuen Kreisord¬<lb/>
nungsvorlage gewidmet gewesen. Den Unterschied dieser Vorlage von dem in<lb/>
der vorjährigen bis in dieses Frühjahr sich erstreckenden Session vereinbarten<lb/>
Entwurf habe ich im vorigen Brief angegeben. Das Resultat der dies-<lb/>
wöchentlichen beiden Lesungen ist die unveränderte Annahme der neuen Vor¬<lb/>
lage durch das Abgeordnetenhaus. An der letzten Bestätigung dieser Annahme<lb/>
bei der dritten Lesung besteht kein Zweifel.*) So ist denn die Regierung in<lb/>
der Lage, mit dem nothwendigen Pairsschub vorzugehen, dessen Veröffent¬<lb/>
lichung in den nächsten Tagen erwartet wird. Es besteht sogar eine gewisse<lb/>
Nothwendigkeit, mit den neuen Pairsernennungen nicht länger zurückzuhalten.<lb/>
Wollte nämlich die Regierung mit diesen Ernennungen etwa warten, bis die<lb/>
Kreisordnung bei den Abgeordneten endgültig genehmigt und von dort zu<lb/>
den Herren gelangt ist, so könnte die bisherige Majorität hier eine Commis¬<lb/>
sion ihrer Parteigenossen wählen, welche möglicherweise mit der Berichterstat¬<lb/>
tung über die Vorlage niemals zu Stande käme. Die Befürchtung entspricht<lb/>
der kleinlichen Taktik der Majorität des Herrenhauses, welche der Kreisord¬<lb/>
nungsvorlage gegenüber einmal versucht wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1310"> Man spricht davon, daß die neuen Herren überwiegend höhere Staats¬<lb/>
beamte sein werden, wie es vollkommen der Sachlage entspricht. Denn noch<lb/>
mehr als die Annahme der Kreisordnung ist die Aufgabe der neuen Herren,<lb/>
wie schon mehrmals hervorgehoben wurde, die Reformen der Staatskörper¬<lb/>
schaften, insonderheit des Herrenhauses selbst, auf Grund einer von der Re¬<lb/>
gierung zu ergreifenden Initiative, Zu dieser Reform bedarf die Regierung<lb/>
Männer, auf die sie als Mitarbeiter schon länger zu zählen gewohnt ist, welche<lb/>
die Resignation besitzen, einer vorübergehenden aber darum nicht minder verant¬<lb/>
wortlichen Aufgabe sich zu unterziehen, welche endlich den Standpunkt der Staats¬<lb/>
aufgabe einzunehmen wissen ohne Beirrung durch gesellschaftliche Interessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1311" next="#ID_1312"> Es hat vielfach Aufmerksamkeit erregt, daß der Reichskanzler und Mi¬<lb/>
nisterpräsident, dessen Abwesenheit bei der ersten voraussichtlich vergeblichen<lb/>
Berathung der Kreisordnung im Herrenhause man nachträglich so klug ge¬<lb/>
worden ist, erklärlich zu finden, nicht bei der jetzigen Berathung, wo es sich<lb/>
um die Durchbringung des Gesetzes mit allen Mitteln der Verfassung handelt,<lb/>
erschienen ist. Aber was sollte den leidenden Ministerpräsidenten hierzu be¬<lb/>
wegen? Er hat oft genug bewiesen, daß er seine angegriffene Gesundheit den<lb/>
Forderungen seines Amtes nur zu sehr nachsetzt. Aber im Augenblick liegt</p><lb/>
          <note xml:id="FID_176" place="foot"> ") Die Kreisordnung ist seither in dritter Lesung gegen die Stimmen der Polen, Ultramon-<lb/>
t<note type="byline"> D. Red.</note> anen und einiger Feudalen angenommen worden. </note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0405] ?om preußischen Landtag. Die Sitzungen dieser Woche, welche nur das Abgeordnetenhaus gehalten hat, sind vorzugsweise der ersten und zweiten Lesung der neuen Kreisord¬ nungsvorlage gewidmet gewesen. Den Unterschied dieser Vorlage von dem in der vorjährigen bis in dieses Frühjahr sich erstreckenden Session vereinbarten Entwurf habe ich im vorigen Brief angegeben. Das Resultat der dies- wöchentlichen beiden Lesungen ist die unveränderte Annahme der neuen Vor¬ lage durch das Abgeordnetenhaus. An der letzten Bestätigung dieser Annahme bei der dritten Lesung besteht kein Zweifel.*) So ist denn die Regierung in der Lage, mit dem nothwendigen Pairsschub vorzugehen, dessen Veröffent¬ lichung in den nächsten Tagen erwartet wird. Es besteht sogar eine gewisse Nothwendigkeit, mit den neuen Pairsernennungen nicht länger zurückzuhalten. Wollte nämlich die Regierung mit diesen Ernennungen etwa warten, bis die Kreisordnung bei den Abgeordneten endgültig genehmigt und von dort zu den Herren gelangt ist, so könnte die bisherige Majorität hier eine Commis¬ sion ihrer Parteigenossen wählen, welche möglicherweise mit der Berichterstat¬ tung über die Vorlage niemals zu Stande käme. Die Befürchtung entspricht der kleinlichen Taktik der Majorität des Herrenhauses, welche der Kreisord¬ nungsvorlage gegenüber einmal versucht wurde. Man spricht davon, daß die neuen Herren überwiegend höhere Staats¬ beamte sein werden, wie es vollkommen der Sachlage entspricht. Denn noch mehr als die Annahme der Kreisordnung ist die Aufgabe der neuen Herren, wie schon mehrmals hervorgehoben wurde, die Reformen der Staatskörper¬ schaften, insonderheit des Herrenhauses selbst, auf Grund einer von der Re¬ gierung zu ergreifenden Initiative, Zu dieser Reform bedarf die Regierung Männer, auf die sie als Mitarbeiter schon länger zu zählen gewohnt ist, welche die Resignation besitzen, einer vorübergehenden aber darum nicht minder verant¬ wortlichen Aufgabe sich zu unterziehen, welche endlich den Standpunkt der Staats¬ aufgabe einzunehmen wissen ohne Beirrung durch gesellschaftliche Interessen. Es hat vielfach Aufmerksamkeit erregt, daß der Reichskanzler und Mi¬ nisterpräsident, dessen Abwesenheit bei der ersten voraussichtlich vergeblichen Berathung der Kreisordnung im Herrenhause man nachträglich so klug ge¬ worden ist, erklärlich zu finden, nicht bei der jetzigen Berathung, wo es sich um die Durchbringung des Gesetzes mit allen Mitteln der Verfassung handelt, erschienen ist. Aber was sollte den leidenden Ministerpräsidenten hierzu be¬ wegen? Er hat oft genug bewiesen, daß er seine angegriffene Gesundheit den Forderungen seines Amtes nur zu sehr nachsetzt. Aber im Augenblick liegt ") Die Kreisordnung ist seither in dritter Lesung gegen die Stimmen der Polen, Ultramon- t D. Red. anen und einiger Feudalen angenommen worden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/405
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/405>, abgerufen am 28.06.2024.