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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Lngtische Literaten.

Unter allen fremden Literaturen ist die englische diejenige, welche wir uns
am meisten zu eigen gemacht haben. Während aus den andern immer nur
einzelne Schriftsteller, selbst nur einzelne Bücher in Deutschland populär ge¬
worden sind, hat sie von Anfang an bis jetzt Heimathsrecht bei uns
gehabt. Ein Mal nur, während der achtzehn Jahre nach'der Julirevolution,
wurde sie von der französischen etwas bei Seite gedrängt, aber auch nur
während dieser kurzen Epoche. Die Reaction gegen die französische Literatur
datirt keineswegs erst vom letzten Kriege. Sie begann mit der Februarrevo¬
lution, sie gewann unter dem zweiten Kaiserreich mehr und mehr an Aus¬
dehnung und Kraft. Jetzt ist die französische Literatur, außer auf der Bühne,
wo sie sich noch als Gewohnheit behauptet, so gut wie verschwunden, und
den Platz, welchen sie freigelassen, hat die englische triumphirend ausgefüllt.

Eine zweite Sammlung brittischer und amerikanischer Schriftsteller ist
daher für Deutschland keineswegs zu viel; im Gegentheil, sie kann als ein
dankenswerthes Unternehmen bezeichnet werden. Im Januar 1872 begonnen,
hat sie noch vor Ablauf des Jahres bereits über dreißig Bände und meistens
wirklich gediegene Werke gebracht. Daß die weiblichen Namen vorherrschen,
ist kein Vorwurf für die Verlagshandlung, selbst keine Eigenthümlichkeit der
Sammlung; seit Dickens, Thackeray und Lever todt sind und Bulwer fast
gänzlich verstummt ist. behaupten die Frauen in England das Feld der Bel¬
letristik, auf welchem nur Anthony Trollope und Wilkie Collins ihnen noch
erfolgreich Concurrenz machen dürften.

Das bedeutendste Frauenwerk der Sammlung, "Niäälewareli, a LWÄ^
ok?tovineiul Jude do LreorZs Lliot", liegt uns in diesem Augenblick noch
nicht vollständig vor und bleibt daher für eine spätere, besondere Besprechung
aufgespart. Von "liodert ^.iusleigli do N. Lraääou" (vol. 11 bis 13)
läßt sich nur im Ganzen sagen, daß wir von der Verfasserin noch kein so ge¬
mäßigt gehaltenes und sorgfältig gearbeitetes Buch gelesen haben. Der Stoff
ist zu reichhaltig, um in Einzelheiten eingehen zu können; eines Characters
nur sei erwähnt: Margery's der gefeierten Schauspielerin, welche trotz ihrer
wahrhaften Leidenschaft für den Helden edelmüthig zurücktritt, um ihn einer
länger Liebenden zu überlassen. Da wir hier zum dritten Male dieser Ge¬
stalt in neuen Productionen begegnen, scheint sie bestimmt, ein Heldinnentypus
mehr zu werden.

"I'Komasing, do tuo ^utlior ok voiotkv" (vol. 24) ist kein Typus,
sondern nur sie selbst. Eigentlich sollte sie nicht Thomasina heißen, ihre
Mutter findet, gestehen wir es, nicht mit Unrecht, den Namen ganz abscheulich-



*) ^"Iier's Oollsetlo" ok DllZlisK/.>Mor8. IZritisIi ima ä.mel'lo!M. Berlin. Vol> I-XXXVIl-
Lngtische Literaten.

Unter allen fremden Literaturen ist die englische diejenige, welche wir uns
am meisten zu eigen gemacht haben. Während aus den andern immer nur
einzelne Schriftsteller, selbst nur einzelne Bücher in Deutschland populär ge¬
worden sind, hat sie von Anfang an bis jetzt Heimathsrecht bei uns
gehabt. Ein Mal nur, während der achtzehn Jahre nach'der Julirevolution,
wurde sie von der französischen etwas bei Seite gedrängt, aber auch nur
während dieser kurzen Epoche. Die Reaction gegen die französische Literatur
datirt keineswegs erst vom letzten Kriege. Sie begann mit der Februarrevo¬
lution, sie gewann unter dem zweiten Kaiserreich mehr und mehr an Aus¬
dehnung und Kraft. Jetzt ist die französische Literatur, außer auf der Bühne,
wo sie sich noch als Gewohnheit behauptet, so gut wie verschwunden, und
den Platz, welchen sie freigelassen, hat die englische triumphirend ausgefüllt.

Eine zweite Sammlung brittischer und amerikanischer Schriftsteller ist
daher für Deutschland keineswegs zu viel; im Gegentheil, sie kann als ein
dankenswerthes Unternehmen bezeichnet werden. Im Januar 1872 begonnen,
hat sie noch vor Ablauf des Jahres bereits über dreißig Bände und meistens
wirklich gediegene Werke gebracht. Daß die weiblichen Namen vorherrschen,
ist kein Vorwurf für die Verlagshandlung, selbst keine Eigenthümlichkeit der
Sammlung; seit Dickens, Thackeray und Lever todt sind und Bulwer fast
gänzlich verstummt ist. behaupten die Frauen in England das Feld der Bel¬
letristik, auf welchem nur Anthony Trollope und Wilkie Collins ihnen noch
erfolgreich Concurrenz machen dürften.

Das bedeutendste Frauenwerk der Sammlung, „Niäälewareli, a LWÄ^
ok?tovineiul Jude do LreorZs Lliot", liegt uns in diesem Augenblick noch
nicht vollständig vor und bleibt daher für eine spätere, besondere Besprechung
aufgespart. Von „liodert ^.iusleigli do N. Lraääou" (vol. 11 bis 13)
läßt sich nur im Ganzen sagen, daß wir von der Verfasserin noch kein so ge¬
mäßigt gehaltenes und sorgfältig gearbeitetes Buch gelesen haben. Der Stoff
ist zu reichhaltig, um in Einzelheiten eingehen zu können; eines Characters
nur sei erwähnt: Margery's der gefeierten Schauspielerin, welche trotz ihrer
wahrhaften Leidenschaft für den Helden edelmüthig zurücktritt, um ihn einer
länger Liebenden zu überlassen. Da wir hier zum dritten Male dieser Ge¬
stalt in neuen Productionen begegnen, scheint sie bestimmt, ein Heldinnentypus
mehr zu werden.

„I'Komasing, do tuo ^utlior ok voiotkv" (vol. 24) ist kein Typus,
sondern nur sie selbst. Eigentlich sollte sie nicht Thomasina heißen, ihre
Mutter findet, gestehen wir es, nicht mit Unrecht, den Namen ganz abscheulich-



*) ^«Iier's Oollsetlo» ok DllZlisK/.>Mor8. IZritisIi ima ä.mel'lo!M. Berlin. Vol> I-XXXVIl-
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[0388] Lngtische Literaten. Unter allen fremden Literaturen ist die englische diejenige, welche wir uns am meisten zu eigen gemacht haben. Während aus den andern immer nur einzelne Schriftsteller, selbst nur einzelne Bücher in Deutschland populär ge¬ worden sind, hat sie von Anfang an bis jetzt Heimathsrecht bei uns gehabt. Ein Mal nur, während der achtzehn Jahre nach'der Julirevolution, wurde sie von der französischen etwas bei Seite gedrängt, aber auch nur während dieser kurzen Epoche. Die Reaction gegen die französische Literatur datirt keineswegs erst vom letzten Kriege. Sie begann mit der Februarrevo¬ lution, sie gewann unter dem zweiten Kaiserreich mehr und mehr an Aus¬ dehnung und Kraft. Jetzt ist die französische Literatur, außer auf der Bühne, wo sie sich noch als Gewohnheit behauptet, so gut wie verschwunden, und den Platz, welchen sie freigelassen, hat die englische triumphirend ausgefüllt. Eine zweite Sammlung brittischer und amerikanischer Schriftsteller ist daher für Deutschland keineswegs zu viel; im Gegentheil, sie kann als ein dankenswerthes Unternehmen bezeichnet werden. Im Januar 1872 begonnen, hat sie noch vor Ablauf des Jahres bereits über dreißig Bände und meistens wirklich gediegene Werke gebracht. Daß die weiblichen Namen vorherrschen, ist kein Vorwurf für die Verlagshandlung, selbst keine Eigenthümlichkeit der Sammlung; seit Dickens, Thackeray und Lever todt sind und Bulwer fast gänzlich verstummt ist. behaupten die Frauen in England das Feld der Bel¬ letristik, auf welchem nur Anthony Trollope und Wilkie Collins ihnen noch erfolgreich Concurrenz machen dürften. Das bedeutendste Frauenwerk der Sammlung, „Niäälewareli, a LWÄ^ ok?tovineiul Jude do LreorZs Lliot", liegt uns in diesem Augenblick noch nicht vollständig vor und bleibt daher für eine spätere, besondere Besprechung aufgespart. Von „liodert ^.iusleigli do N. Lraääou" (vol. 11 bis 13) läßt sich nur im Ganzen sagen, daß wir von der Verfasserin noch kein so ge¬ mäßigt gehaltenes und sorgfältig gearbeitetes Buch gelesen haben. Der Stoff ist zu reichhaltig, um in Einzelheiten eingehen zu können; eines Characters nur sei erwähnt: Margery's der gefeierten Schauspielerin, welche trotz ihrer wahrhaften Leidenschaft für den Helden edelmüthig zurücktritt, um ihn einer länger Liebenden zu überlassen. Da wir hier zum dritten Male dieser Ge¬ stalt in neuen Productionen begegnen, scheint sie bestimmt, ein Heldinnentypus mehr zu werden. „I'Komasing, do tuo ^utlior ok voiotkv" (vol. 24) ist kein Typus, sondern nur sie selbst. Eigentlich sollte sie nicht Thomasina heißen, ihre Mutter findet, gestehen wir es, nicht mit Unrecht, den Namen ganz abscheulich- *) ^«Iier's Oollsetlo» ok DllZlisK/.>Mor8. IZritisIi ima ä.mel'lo!M. Berlin. Vol> I-XXXVIl-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/388>, abgerufen am 28.06.2024.