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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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Musische Geschichte.

In keiner anderen Periode unserer deutschen Geschichte tritt das deutsche
Bürgerthum mit solcher Macht und Bedeutung als das entscheidende und
maßgebende Element des öffentlichen Lebens hervor, als im vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhundert. Mag man dies nun als eine besondere Ehre für
den deutschen Bürger ansehen und preisen wollen oder mag man darin nur
ein Symptom der ungünstigen Wendung unserer allgemeinen deutschen Ent¬
wickelung erkennen -- jedenfalls steht die Thatsache fest, daß in -der bezeich¬
neten Zeit Bürger und Städte in Deutschland eine Stellung für das Ganze
eingenommen haben, wie weder vorher noch nachher.

Eine Centralgewalt mit wirklicher Kraft der Action war nicht vorhanden.
Den Theilen war Freiheit gelassen, nach ihren Bedürfnissen und Zwecken sich
zu entwickeln und zu gestalten. Die Städte, welche in ihren eigenen Verhält¬
nissen sich schon ganz autonom verwalteten, erfreuten sich gerade damals
großer Blüthe ihres Handels. Das nördliche und nordöstliche Europa wurde
in den Handelsbeziehungen abhängig von diesem deutschen Städtethum. Den
Mittelpunkt desselben bildete der Bund der sogenannten Hansa. Zum
Schutze des Handels gestiftet schwang sich dieser Verein Mittel- und nord¬
deutscher Städte im vierzehnten Jahrhundert zu einer handelspolitischen
Macht ersten Ranges auf; die nördlichen Staaten Europas waren überall
von seinen Einwirkungen getroffen und berührt. Die Geschichte dieser Hansa
ist ein Bild, an dem sich der Sinn unserer heutigen Handelsstädte erfreuen
und die Thatkraft unseres heutigen Bürgerthums erquicken kann. Vor allem
in jenen Städten, welche die Erben hansischer Handelsgröße heißen dürften,
sollte die Erinnerung an jene Thaten der Vorfahren gehegt und gepflegt werden.
Und das geschieht jetzt auch in einer Weise, die man zu allgemeiner Nach¬
ahmung nur empfehlen könnte.

Es existiren in Hamburg, Lübeck und Bremen heute Geschichtsvereine,
welche mit rühriger Thätigkeit und wissenschaftlichem Eifer die Erinnerungen
der heimathlichen Vorzeit pflegen und gute Früchte zu Tage bringen. Durch
ein Zusammentreten dieser Vereine ist zu einem neuen Unternehmen der
Anlaß gegeben worden, welches für die allgemeine deutsche Geschichts¬
forschung noch größere Bedeutung haben wird als jene Lokalvereine sie an¬
sprechen können.

In der Geschichte der Hansa bildet der Friede von Stralsund 1370
einen hervorragenden Moment. Er bezeichnete den Sieg der Hansa über
Dänemark, den Ausgangspunkt für die unbestrittene Herrschaft der Hansa in
den nordischen Waaren. Im Mai 1870 hat die Stadt Stralsund die Ge¬
dächtnißfeier seines Ereignisses begangen- Der Pommer'sche Geschichtsverein


Musische Geschichte.

In keiner anderen Periode unserer deutschen Geschichte tritt das deutsche
Bürgerthum mit solcher Macht und Bedeutung als das entscheidende und
maßgebende Element des öffentlichen Lebens hervor, als im vierzehnten und
fünfzehnten Jahrhundert. Mag man dies nun als eine besondere Ehre für
den deutschen Bürger ansehen und preisen wollen oder mag man darin nur
ein Symptom der ungünstigen Wendung unserer allgemeinen deutschen Ent¬
wickelung erkennen — jedenfalls steht die Thatsache fest, daß in -der bezeich¬
neten Zeit Bürger und Städte in Deutschland eine Stellung für das Ganze
eingenommen haben, wie weder vorher noch nachher.

Eine Centralgewalt mit wirklicher Kraft der Action war nicht vorhanden.
Den Theilen war Freiheit gelassen, nach ihren Bedürfnissen und Zwecken sich
zu entwickeln und zu gestalten. Die Städte, welche in ihren eigenen Verhält¬
nissen sich schon ganz autonom verwalteten, erfreuten sich gerade damals
großer Blüthe ihres Handels. Das nördliche und nordöstliche Europa wurde
in den Handelsbeziehungen abhängig von diesem deutschen Städtethum. Den
Mittelpunkt desselben bildete der Bund der sogenannten Hansa. Zum
Schutze des Handels gestiftet schwang sich dieser Verein Mittel- und nord¬
deutscher Städte im vierzehnten Jahrhundert zu einer handelspolitischen
Macht ersten Ranges auf; die nördlichen Staaten Europas waren überall
von seinen Einwirkungen getroffen und berührt. Die Geschichte dieser Hansa
ist ein Bild, an dem sich der Sinn unserer heutigen Handelsstädte erfreuen
und die Thatkraft unseres heutigen Bürgerthums erquicken kann. Vor allem
in jenen Städten, welche die Erben hansischer Handelsgröße heißen dürften,
sollte die Erinnerung an jene Thaten der Vorfahren gehegt und gepflegt werden.
Und das geschieht jetzt auch in einer Weise, die man zu allgemeiner Nach¬
ahmung nur empfehlen könnte.

Es existiren in Hamburg, Lübeck und Bremen heute Geschichtsvereine,
welche mit rühriger Thätigkeit und wissenschaftlichem Eifer die Erinnerungen
der heimathlichen Vorzeit pflegen und gute Früchte zu Tage bringen. Durch
ein Zusammentreten dieser Vereine ist zu einem neuen Unternehmen der
Anlaß gegeben worden, welches für die allgemeine deutsche Geschichts¬
forschung noch größere Bedeutung haben wird als jene Lokalvereine sie an¬
sprechen können.

In der Geschichte der Hansa bildet der Friede von Stralsund 1370
einen hervorragenden Moment. Er bezeichnete den Sieg der Hansa über
Dänemark, den Ausgangspunkt für die unbestrittene Herrschaft der Hansa in
den nordischen Waaren. Im Mai 1870 hat die Stadt Stralsund die Ge¬
dächtnißfeier seines Ereignisses begangen- Der Pommer'sche Geschichtsverein


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[0349] Musische Geschichte. In keiner anderen Periode unserer deutschen Geschichte tritt das deutsche Bürgerthum mit solcher Macht und Bedeutung als das entscheidende und maßgebende Element des öffentlichen Lebens hervor, als im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Mag man dies nun als eine besondere Ehre für den deutschen Bürger ansehen und preisen wollen oder mag man darin nur ein Symptom der ungünstigen Wendung unserer allgemeinen deutschen Ent¬ wickelung erkennen — jedenfalls steht die Thatsache fest, daß in -der bezeich¬ neten Zeit Bürger und Städte in Deutschland eine Stellung für das Ganze eingenommen haben, wie weder vorher noch nachher. Eine Centralgewalt mit wirklicher Kraft der Action war nicht vorhanden. Den Theilen war Freiheit gelassen, nach ihren Bedürfnissen und Zwecken sich zu entwickeln und zu gestalten. Die Städte, welche in ihren eigenen Verhält¬ nissen sich schon ganz autonom verwalteten, erfreuten sich gerade damals großer Blüthe ihres Handels. Das nördliche und nordöstliche Europa wurde in den Handelsbeziehungen abhängig von diesem deutschen Städtethum. Den Mittelpunkt desselben bildete der Bund der sogenannten Hansa. Zum Schutze des Handels gestiftet schwang sich dieser Verein Mittel- und nord¬ deutscher Städte im vierzehnten Jahrhundert zu einer handelspolitischen Macht ersten Ranges auf; die nördlichen Staaten Europas waren überall von seinen Einwirkungen getroffen und berührt. Die Geschichte dieser Hansa ist ein Bild, an dem sich der Sinn unserer heutigen Handelsstädte erfreuen und die Thatkraft unseres heutigen Bürgerthums erquicken kann. Vor allem in jenen Städten, welche die Erben hansischer Handelsgröße heißen dürften, sollte die Erinnerung an jene Thaten der Vorfahren gehegt und gepflegt werden. Und das geschieht jetzt auch in einer Weise, die man zu allgemeiner Nach¬ ahmung nur empfehlen könnte. Es existiren in Hamburg, Lübeck und Bremen heute Geschichtsvereine, welche mit rühriger Thätigkeit und wissenschaftlichem Eifer die Erinnerungen der heimathlichen Vorzeit pflegen und gute Früchte zu Tage bringen. Durch ein Zusammentreten dieser Vereine ist zu einem neuen Unternehmen der Anlaß gegeben worden, welches für die allgemeine deutsche Geschichts¬ forschung noch größere Bedeutung haben wird als jene Lokalvereine sie an¬ sprechen können. In der Geschichte der Hansa bildet der Friede von Stralsund 1370 einen hervorragenden Moment. Er bezeichnete den Sieg der Hansa über Dänemark, den Ausgangspunkt für die unbestrittene Herrschaft der Hansa in den nordischen Waaren. Im Mai 1870 hat die Stadt Stralsund die Ge¬ dächtnißfeier seines Ereignisses begangen- Der Pommer'sche Geschichtsverein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/349>, abgerufen am 28.06.2024.