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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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eignen sich ihres Inhaltes wegen zu solchen Betrachtungen und das Stil'den
nach Vollendung der Form tritt nirgends evidenter als in diesem Theile
des geistigen Schaffens eines Goethe zu Tage.


C. A. H. Burkhardt.


Jon preußischen Landtag.

Berlin, den 3. November 1872.
Die parlamentarische Situation hat sich diesmal rascher entwickelt, als
irgend wer sich träumen lassen konnte. Wahrscheinlich ist es nur ein einziger
Kopf, der diese Entwickelung im Bilde vorher geschaut hat, bevor sie sich
vollzog.

Noch vor 8 Tagen setzte ich an dieser Stelle auseinander, daß wenn das
Herrenhaus die Kreisordnung werde durchberathen und Paragraph für Para¬
graph mit seinen Abänderungen werde unannehmbar gemacht haben, bei der
Schlußabstimmung über das Ganze die liberale Minorität sich dennoch nicht
mit der ein solches Gesetz trotz aller feudalen Abänderungen principiell ver¬
werfenden Majorität vereinigen dürfe. Ich hatte die Möglichkeit im Auge,
daß eine Majorität für das Gesetz aus den liberalen Herren und aus den
durch die feudalen Abänderungen zufriedengestellten Herren sich ergeben könne;
und ich hielt für wünschenswert!), daß diese Möglichkeit sich verwirkliche, da¬
mit das Gesetz im Abgeordnetenhause zunächst seine richtige Gestalt wieder¬
erhalte, um dann vom Herrenhaus entweder unverändert angenommen zu wer¬
den, oder so verworfen, daß die Verwerfung zum Ende des Herrenhauses
führe. Die Dinge haben sich rascher entwickelt, wie Ihre Leser wissen. Die
liberale Minorität erachtete das Gesetz durch die Abänderungen der Majorität
für dermaßen in seinen Grundlagen umgeworfen, daß sie der Gefahr sich
überhoben glaubte, durch das ihrerseits verwerfende Schlußvotum an der
Schuld betheiligt gehalten zu werden, die Kreisordnung vereitelt zu haben.
So wurde das Gesetz schließlich mit der überwältigenden Majorität von 146
gegen 18 Stimmen abgelehnt. Die 28 bejahenden Stimmen setzten sich zu¬
sammen aus den 3 Ministern, welche Mitglieder des Herrenhauses sind und
an ihrer Vorlage so lange festhalten mußten, als dieselbe noch irgend eine
Aussicht zu haben schien. Außerdem wurden bejahende Stimmen abgegeben
durch Is Herren von gemäßigt conservativer Richtung.

Vor der Schlußabstimmung hatte der Minister des Innern, Graf Eulen¬
burg, dem Hause angekündigt, daß nach verworfener Kreisordnung die lau-


eignen sich ihres Inhaltes wegen zu solchen Betrachtungen und das Stil'den
nach Vollendung der Form tritt nirgends evidenter als in diesem Theile
des geistigen Schaffens eines Goethe zu Tage.


C. A. H. Burkhardt.


Jon preußischen Landtag.

Berlin, den 3. November 1872.
Die parlamentarische Situation hat sich diesmal rascher entwickelt, als
irgend wer sich träumen lassen konnte. Wahrscheinlich ist es nur ein einziger
Kopf, der diese Entwickelung im Bilde vorher geschaut hat, bevor sie sich
vollzog.

Noch vor 8 Tagen setzte ich an dieser Stelle auseinander, daß wenn das
Herrenhaus die Kreisordnung werde durchberathen und Paragraph für Para¬
graph mit seinen Abänderungen werde unannehmbar gemacht haben, bei der
Schlußabstimmung über das Ganze die liberale Minorität sich dennoch nicht
mit der ein solches Gesetz trotz aller feudalen Abänderungen principiell ver¬
werfenden Majorität vereinigen dürfe. Ich hatte die Möglichkeit im Auge,
daß eine Majorität für das Gesetz aus den liberalen Herren und aus den
durch die feudalen Abänderungen zufriedengestellten Herren sich ergeben könne;
und ich hielt für wünschenswert!), daß diese Möglichkeit sich verwirkliche, da¬
mit das Gesetz im Abgeordnetenhause zunächst seine richtige Gestalt wieder¬
erhalte, um dann vom Herrenhaus entweder unverändert angenommen zu wer¬
den, oder so verworfen, daß die Verwerfung zum Ende des Herrenhauses
führe. Die Dinge haben sich rascher entwickelt, wie Ihre Leser wissen. Die
liberale Minorität erachtete das Gesetz durch die Abänderungen der Majorität
für dermaßen in seinen Grundlagen umgeworfen, daß sie der Gefahr sich
überhoben glaubte, durch das ihrerseits verwerfende Schlußvotum an der
Schuld betheiligt gehalten zu werden, die Kreisordnung vereitelt zu haben.
So wurde das Gesetz schließlich mit der überwältigenden Majorität von 146
gegen 18 Stimmen abgelehnt. Die 28 bejahenden Stimmen setzten sich zu¬
sammen aus den 3 Ministern, welche Mitglieder des Herrenhauses sind und
an ihrer Vorlage so lange festhalten mußten, als dieselbe noch irgend eine
Aussicht zu haben schien. Außerdem wurden bejahende Stimmen abgegeben
durch Is Herren von gemäßigt conservativer Richtung.

Vor der Schlußabstimmung hatte der Minister des Innern, Graf Eulen¬
burg, dem Hause angekündigt, daß nach verworfener Kreisordnung die lau-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/285>, abgerufen am 28.06.2024.