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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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darf, sondern daß sie überall da zu finden ist, wo sie gleichstrebende Menschen
mit einem Herzen ohne persönliche Leidenschaft suchen.

Es lebe die Concurrenz!




Me Wallfahrt nach Lourdes.

Gestern, den 7. October, hat Lourdes seinen großen Tag gehabt. Von
allen Gegenden Frankreichs haben in den letzten Tagen fromme Pilgrime
ihre Schritte nach dem Orte gelenkt? der so plötzlich berühmt geworden ist.
Man schätzt die Zahl der Wallfahrer, welche heute in der kleinen Stadt ein¬
treffen werden, auf mindestens 30,000 und es ist angekündigt worden, daß
der Bischof von Tarbes, zu dessen Sprengel Lourdes gehört, und mehrere
andere hohe Würdenträger der Kirche den versammelten Massen in geistlichen
Dingen zu Diensten stehen werden. Sehr schwierig wird es sein, für die
ungeheure Menge von Menschen, welche sich dorthin in Bewegung gesetzt
haben, in jenem Städtchen, welches nicht viel über vier Tausend Einwohner
zählt, Unterkunft zu beschaffen.

Lourdes liegt im Departement Hautes Pore'ne'es, Arrondissement Argeles,
nicht weit von Tarbes, also im südlichsten Winkel Frankreichs, und zeichnete
sich bis zum Jahre 1858 durch nichts Anderes als dadurch aus, daß es einen
lebhaften Kuhhandel trieb. Es streckt sich im Thal von Lavedan am Ein¬
gang einer Bergschlucht hin, wo man es als eine Art Verbindungsglied
zwischen Gebirg und Ebene hingesetzt zu haben scheint. Der rundliche Hügel,
aus dem es erbaut ist, wird durch das Zusammentreffen von drei Thälern
gebildet, und diese Lage gab ihm früher eine gewisse Wichtigkeit in Kriegs¬
zeiten. Es ist ein häßliches, düsteres und unregelmäßig angelegtes Nest mit
engen krummen Gäßchen, die ebenso schlecht gepflastert als von übelgebauten
windschiefen Häusern überragt sind. Ungefähr in der Mitte befindet sich eine
Art Marktplatz, ein großes Viereck, wo die Faullenzer und Klatschgevattern
des Ortes sich zu versammeln pflegen. Die einzige Merkwürdigkeit des Ortes
ist die uralte Burg, die sich über ihm auf dem Kamm eines steilen Felsens
erhebt, unter welchem der Gavebach hinrauscht. Eine Ueberlieferung sagt,
daß dieses Felsenschloß früher für uneinnehmbar gegolten, da selbst der mäch¬
tige Charlemagne vergeblich dessen Erstürmung versucht habe. Gewiß ist, daß
der Connetable Duquesclin bei aller seiner Unerschrockenheit es nicht einzu¬
nehmen vermocht hat, und daß der Herzog von Anjou nicht glücklicher ge¬
wesen ist. Nach wiederholten Stürmen zog er sich entmuthigt und in Ver-


darf, sondern daß sie überall da zu finden ist, wo sie gleichstrebende Menschen
mit einem Herzen ohne persönliche Leidenschaft suchen.

Es lebe die Concurrenz!




Me Wallfahrt nach Lourdes.

Gestern, den 7. October, hat Lourdes seinen großen Tag gehabt. Von
allen Gegenden Frankreichs haben in den letzten Tagen fromme Pilgrime
ihre Schritte nach dem Orte gelenkt? der so plötzlich berühmt geworden ist.
Man schätzt die Zahl der Wallfahrer, welche heute in der kleinen Stadt ein¬
treffen werden, auf mindestens 30,000 und es ist angekündigt worden, daß
der Bischof von Tarbes, zu dessen Sprengel Lourdes gehört, und mehrere
andere hohe Würdenträger der Kirche den versammelten Massen in geistlichen
Dingen zu Diensten stehen werden. Sehr schwierig wird es sein, für die
ungeheure Menge von Menschen, welche sich dorthin in Bewegung gesetzt
haben, in jenem Städtchen, welches nicht viel über vier Tausend Einwohner
zählt, Unterkunft zu beschaffen.

Lourdes liegt im Departement Hautes Pore'ne'es, Arrondissement Argeles,
nicht weit von Tarbes, also im südlichsten Winkel Frankreichs, und zeichnete
sich bis zum Jahre 1858 durch nichts Anderes als dadurch aus, daß es einen
lebhaften Kuhhandel trieb. Es streckt sich im Thal von Lavedan am Ein¬
gang einer Bergschlucht hin, wo man es als eine Art Verbindungsglied
zwischen Gebirg und Ebene hingesetzt zu haben scheint. Der rundliche Hügel,
aus dem es erbaut ist, wird durch das Zusammentreffen von drei Thälern
gebildet, und diese Lage gab ihm früher eine gewisse Wichtigkeit in Kriegs¬
zeiten. Es ist ein häßliches, düsteres und unregelmäßig angelegtes Nest mit
engen krummen Gäßchen, die ebenso schlecht gepflastert als von übelgebauten
windschiefen Häusern überragt sind. Ungefähr in der Mitte befindet sich eine
Art Marktplatz, ein großes Viereck, wo die Faullenzer und Klatschgevattern
des Ortes sich zu versammeln pflegen. Die einzige Merkwürdigkeit des Ortes
ist die uralte Burg, die sich über ihm auf dem Kamm eines steilen Felsens
erhebt, unter welchem der Gavebach hinrauscht. Eine Ueberlieferung sagt,
daß dieses Felsenschloß früher für uneinnehmbar gegolten, da selbst der mäch¬
tige Charlemagne vergeblich dessen Erstürmung versucht habe. Gewiß ist, daß
der Connetable Duquesclin bei aller seiner Unerschrockenheit es nicht einzu¬
nehmen vermocht hat, und daß der Herzog von Anjou nicht glücklicher ge¬
wesen ist. Nach wiederholten Stürmen zog er sich entmuthigt und in Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/165>, abgerufen am 28.06.2024.