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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band.

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weiter als das Organ der ministeriellen Politik; und die ganz selbständige
Action im Auslande wird niemals einem diplomatischen Agenten gestattet
werden dürfen. Es ist alles andere eher als das Zeugniß eines politischen
Charakters, wenn Bunsen seit 1830 (November) dies noch nicht begriffen
hatte. Nachher ist ihm doch, wie es scheint, eine Ahnung davon ausgegangen.
Inconsequenz und Halbheit war es, wenn er nicht den nöthigen Entschluß selbst
gefunden und jetzt gleichsam sich auferlegen lassen mußte. Sehr seltsam klingt
uns dann immer noch die Versicherung Bunsen's: "die Königin, Prinz Albert,
Lord Clarendon und Lord John Rüssel haben mir auf die allererfreulichste
Weise bereits ihre volle Billigung meines Verfahrens ausgesprochen". Als
ob dies englische Zeugniß für den preußischen Minister irgend etwas
besagte! Ob der Vorwurf, daß er in seinen Aeußerungen in London zu weit
gegangen und in gewissem Sinne Preußen eigenmächtig engagirt habe, --
ob dieser damals von seinen Gegnern. erhobene Vorwurf gerechtfertigt ge¬
wesen, das läßt sich aus dem bis jetzt vorliegenden Materials nicht mit
Bestimmtheit ausmachen. Ueberhaupt, Lücken sind noch überall in unserer
Kenntniß dieser Vorgänge, und es wird nicht überflüssig sein, hier noch
ausdrücklich anzumerken, daß unser Material ein ganz einseitiges ist, daß
es vornämlich Bunsen's eigene Auffassungen und Anschauungen wiedergiebt.
Der Ergänzung von der anderen Seite wird es bedürfen.

Die politische Laufbahn Bunsen's war damit zu Ende. Seinen wissen¬
schaftlichen Arbeiten, die er stets im Auge behalten, und denen er seine Muße
immer gewidmet, lag er nun ausschließlich ob. Bei dem Eintritt der Regentschaft
in Preußen 1838 tauchte die Möglichkeit in der Ferne auf, ihn im Ministerium
der neuen Aera noch einmal die Bühne betreten zu sehen. Ernstlich scheint
er damals selbst es nicht mehr gewünscht zu haben.




Frankreich und die allgemeine Wehrpflicht
von
Max Jähns.
XII.

Die Schlacht von Königgrätz wurde von der eiteln französischen Nation
wie eine eigene Niederlage empfunden, und die Regierung, welche sich selbst von
"patriotischen Beklemmungen" gequält fühlte, sah sich mit ungemessenen Vor¬
würfen überhäuft, weil sie den Sieg der Preußen "zugelassen". Einst hatte


weiter als das Organ der ministeriellen Politik; und die ganz selbständige
Action im Auslande wird niemals einem diplomatischen Agenten gestattet
werden dürfen. Es ist alles andere eher als das Zeugniß eines politischen
Charakters, wenn Bunsen seit 1830 (November) dies noch nicht begriffen
hatte. Nachher ist ihm doch, wie es scheint, eine Ahnung davon ausgegangen.
Inconsequenz und Halbheit war es, wenn er nicht den nöthigen Entschluß selbst
gefunden und jetzt gleichsam sich auferlegen lassen mußte. Sehr seltsam klingt
uns dann immer noch die Versicherung Bunsen's: „die Königin, Prinz Albert,
Lord Clarendon und Lord John Rüssel haben mir auf die allererfreulichste
Weise bereits ihre volle Billigung meines Verfahrens ausgesprochen". Als
ob dies englische Zeugniß für den preußischen Minister irgend etwas
besagte! Ob der Vorwurf, daß er in seinen Aeußerungen in London zu weit
gegangen und in gewissem Sinne Preußen eigenmächtig engagirt habe, —
ob dieser damals von seinen Gegnern. erhobene Vorwurf gerechtfertigt ge¬
wesen, das läßt sich aus dem bis jetzt vorliegenden Materials nicht mit
Bestimmtheit ausmachen. Ueberhaupt, Lücken sind noch überall in unserer
Kenntniß dieser Vorgänge, und es wird nicht überflüssig sein, hier noch
ausdrücklich anzumerken, daß unser Material ein ganz einseitiges ist, daß
es vornämlich Bunsen's eigene Auffassungen und Anschauungen wiedergiebt.
Der Ergänzung von der anderen Seite wird es bedürfen.

Die politische Laufbahn Bunsen's war damit zu Ende. Seinen wissen¬
schaftlichen Arbeiten, die er stets im Auge behalten, und denen er seine Muße
immer gewidmet, lag er nun ausschließlich ob. Bei dem Eintritt der Regentschaft
in Preußen 1838 tauchte die Möglichkeit in der Ferne auf, ihn im Ministerium
der neuen Aera noch einmal die Bühne betreten zu sehen. Ernstlich scheint
er damals selbst es nicht mehr gewünscht zu haben.




Frankreich und die allgemeine Wehrpflicht
von
Max Jähns.
XII.

Die Schlacht von Königgrätz wurde von der eiteln französischen Nation
wie eine eigene Niederlage empfunden, und die Regierung, welche sich selbst von
„patriotischen Beklemmungen" gequält fühlte, sah sich mit ungemessenen Vor¬
würfen überhäuft, weil sie den Sieg der Preußen „zugelassen". Einst hatte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_128453/139>, abgerufen am 28.06.2024.