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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Ms Weimars Kulturgeschichte, 1800 bis 1832
von
C. A. H. Burkhardt. II.

Auch ein Blick auf die einzelnen Beruföclassen bietet manches
Lehrreiche für das Culturleden Weimars.

Der Gewerb stand hatte unleugbar gegen das vorige Jahrhundert
Fortschritte gemacht. nennenswert!) waren sie indessen nicht, weil die fördernden
Bedingungen fehlten. Wie überall, hatten Zunftzwang und beschränkte Ver-
kehrsverhältnisse das Ihre reichlich gethan um den regen Sinn Einzelner immer
noch als sonderbare Erscheinungen gelten zu lassen. Es fehlte nicht an speku¬
lativen Köpfen; Weimar erfreute sich einer ganzen Reihe hübscher Erfindungen
Einzelner, aber die große Masse des Handwerkerstandes war infolge der ge¬
schilderten Verhältnisse eines schnelleren Aufschwungs nicht fähig. In dem
Maße als Karl August namentlich mit der Zeit des wiederbeginnenden Schlo߬
baues das stagnirende Gewerbewesen aufgerüttelt hatte, das sich mehr als ein
Decennium bei unerlebt gutem Verdienste wohl sein ließ, hätte den übrigen
Bewohnern die Anreizung zu besondern Anstrengungen gefehlt, wenn für die
technischen Gebiete nicht ein so enorm schöpferischer Geist, wie Bertuch mit der
Gründung seines Jndustriecomptoirs ausgetreten wäre. Er war eben die Leuchte
für den Handwerker, er erschloß ihm, was draußen außerhalb der Mauern
Weimars geschah; er brachte Jndustrieerzeugnisse zur Anschauung und belebte
den denkenden und schaffenden Geist, indem er auch Absatzquellen für seine
Erzeugnisse schuf. Man kann sagen: Bertuch wäre bei seinem ausgedehnten
Privileg im Stande gewesen, die Thätigkeit eines industriellen Gewerbestandes
nach Außen hin zu verlegen, wenn man damals das Zeug gehabt hätte, diesen
Anregungen allseitig Folge zu geben, und nicht ihm Zurückhaltung und Mi߬
trauen gegenüber gestellt hätte.

Und eben der Zunftzwang hatte im Gefolge eine Reihe von Gesetzen
und Entscheidungen, die das Gewerbe niederhielten. Man schaffte zwar manche,
welche noch aus dem 16. Jahrhundert datirten, ab; versuchte durch Einlaß
Fremder die Hebung des Gewerbstandes. Aber damit war dem stagniren
nicht abgeholfen. Es kamen meist arme dürftige Meister, die unter einem
Vermögensnachweis von 2S0 Thalern aufgenommen wurden. Ein Criminal-
richter sprach 18it die Ueberzeugung aus, daß die meisten eines Meineides
sich schuldig machen würden, wenn sie wirklich den Besitz von 260 Thalern
eidlich erhärten wollten. Man kam nothwendig auf den Gewerbeschutz zurück,
nur der eisernen Nothwendigkeit wich man und von dem Ergötzlichen, dessen


Ms Weimars Kulturgeschichte, 1800 bis 1832
von
C. A. H. Burkhardt. II.

Auch ein Blick auf die einzelnen Beruföclassen bietet manches
Lehrreiche für das Culturleden Weimars.

Der Gewerb stand hatte unleugbar gegen das vorige Jahrhundert
Fortschritte gemacht. nennenswert!) waren sie indessen nicht, weil die fördernden
Bedingungen fehlten. Wie überall, hatten Zunftzwang und beschränkte Ver-
kehrsverhältnisse das Ihre reichlich gethan um den regen Sinn Einzelner immer
noch als sonderbare Erscheinungen gelten zu lassen. Es fehlte nicht an speku¬
lativen Köpfen; Weimar erfreute sich einer ganzen Reihe hübscher Erfindungen
Einzelner, aber die große Masse des Handwerkerstandes war infolge der ge¬
schilderten Verhältnisse eines schnelleren Aufschwungs nicht fähig. In dem
Maße als Karl August namentlich mit der Zeit des wiederbeginnenden Schlo߬
baues das stagnirende Gewerbewesen aufgerüttelt hatte, das sich mehr als ein
Decennium bei unerlebt gutem Verdienste wohl sein ließ, hätte den übrigen
Bewohnern die Anreizung zu besondern Anstrengungen gefehlt, wenn für die
technischen Gebiete nicht ein so enorm schöpferischer Geist, wie Bertuch mit der
Gründung seines Jndustriecomptoirs ausgetreten wäre. Er war eben die Leuchte
für den Handwerker, er erschloß ihm, was draußen außerhalb der Mauern
Weimars geschah; er brachte Jndustrieerzeugnisse zur Anschauung und belebte
den denkenden und schaffenden Geist, indem er auch Absatzquellen für seine
Erzeugnisse schuf. Man kann sagen: Bertuch wäre bei seinem ausgedehnten
Privileg im Stande gewesen, die Thätigkeit eines industriellen Gewerbestandes
nach Außen hin zu verlegen, wenn man damals das Zeug gehabt hätte, diesen
Anregungen allseitig Folge zu geben, und nicht ihm Zurückhaltung und Mi߬
trauen gegenüber gestellt hätte.

Und eben der Zunftzwang hatte im Gefolge eine Reihe von Gesetzen
und Entscheidungen, die das Gewerbe niederhielten. Man schaffte zwar manche,
welche noch aus dem 16. Jahrhundert datirten, ab; versuchte durch Einlaß
Fremder die Hebung des Gewerbstandes. Aber damit war dem stagniren
nicht abgeholfen. Es kamen meist arme dürftige Meister, die unter einem
Vermögensnachweis von 2S0 Thalern aufgenommen wurden. Ein Criminal-
richter sprach 18it die Ueberzeugung aus, daß die meisten eines Meineides
sich schuldig machen würden, wenn sie wirklich den Besitz von 260 Thalern
eidlich erhärten wollten. Man kam nothwendig auf den Gewerbeschutz zurück,
nur der eisernen Nothwendigkeit wich man und von dem Ergötzlichen, dessen


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[0061] Ms Weimars Kulturgeschichte, 1800 bis 1832 von C. A. H. Burkhardt. II. Auch ein Blick auf die einzelnen Beruföclassen bietet manches Lehrreiche für das Culturleden Weimars. Der Gewerb stand hatte unleugbar gegen das vorige Jahrhundert Fortschritte gemacht. nennenswert!) waren sie indessen nicht, weil die fördernden Bedingungen fehlten. Wie überall, hatten Zunftzwang und beschränkte Ver- kehrsverhältnisse das Ihre reichlich gethan um den regen Sinn Einzelner immer noch als sonderbare Erscheinungen gelten zu lassen. Es fehlte nicht an speku¬ lativen Köpfen; Weimar erfreute sich einer ganzen Reihe hübscher Erfindungen Einzelner, aber die große Masse des Handwerkerstandes war infolge der ge¬ schilderten Verhältnisse eines schnelleren Aufschwungs nicht fähig. In dem Maße als Karl August namentlich mit der Zeit des wiederbeginnenden Schlo߬ baues das stagnirende Gewerbewesen aufgerüttelt hatte, das sich mehr als ein Decennium bei unerlebt gutem Verdienste wohl sein ließ, hätte den übrigen Bewohnern die Anreizung zu besondern Anstrengungen gefehlt, wenn für die technischen Gebiete nicht ein so enorm schöpferischer Geist, wie Bertuch mit der Gründung seines Jndustriecomptoirs ausgetreten wäre. Er war eben die Leuchte für den Handwerker, er erschloß ihm, was draußen außerhalb der Mauern Weimars geschah; er brachte Jndustrieerzeugnisse zur Anschauung und belebte den denkenden und schaffenden Geist, indem er auch Absatzquellen für seine Erzeugnisse schuf. Man kann sagen: Bertuch wäre bei seinem ausgedehnten Privileg im Stande gewesen, die Thätigkeit eines industriellen Gewerbestandes nach Außen hin zu verlegen, wenn man damals das Zeug gehabt hätte, diesen Anregungen allseitig Folge zu geben, und nicht ihm Zurückhaltung und Mi߬ trauen gegenüber gestellt hätte. Und eben der Zunftzwang hatte im Gefolge eine Reihe von Gesetzen und Entscheidungen, die das Gewerbe niederhielten. Man schaffte zwar manche, welche noch aus dem 16. Jahrhundert datirten, ab; versuchte durch Einlaß Fremder die Hebung des Gewerbstandes. Aber damit war dem stagniren nicht abgeholfen. Es kamen meist arme dürftige Meister, die unter einem Vermögensnachweis von 2S0 Thalern aufgenommen wurden. Ein Criminal- richter sprach 18it die Ueberzeugung aus, daß die meisten eines Meineides sich schuldig machen würden, wenn sie wirklich den Besitz von 260 Thalern eidlich erhärten wollten. Man kam nothwendig auf den Gewerbeschutz zurück, nur der eisernen Nothwendigkeit wich man und von dem Ergötzlichen, dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/61>, abgerufen am 30.12.2024.