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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Jas erste Kehl des deutschen HenerasstabsiverKes.

Der deutsch-französische Krieg. 1870--1871. Redigirt von der kriegsge-
schichtlichen Abtheilung des Großen Generalstabs. Erster Theil. Geschichte
des Kriegs bis zum Sturz des Kaiserreichs. Berlin 1872. E. S. Mitt-
ler und Sohn.

Das erste Heft dieses in weiten Kreisen mit Spannung erwarteten Ori¬
ginalwerks ist kürzlich erschienen und umfaßt die Ereignisse im Monat Juli.
-- Es unterliegt wol keinem Zweifel, daß dies Werk für alle Folgezeit die
Hauptquelle jeder Geschichtschreibung des Krieges werden wird; denn das
actenmäßige Material, welches hier zur Verarbeitung gelangt ist, existirt eben
nur einmal in der Welt. Wer jemals ein Kriegsactenstück durchblättert hat,
kennt die eigenthümliche Physiognomie eines solchen schicksalsschweren Convo-
luts. Da giebt es ausführliche Denkschriften, welche in gewissen Wendepunkten
des Feldzugs von höheren Officieren eingefordert oder auch freiwillig einge¬
reicht werden, um die Ansicht des Einzelnen über die Situation und die weiter
zu unternehmenden Operationen niederzulegen; da sind Meldungen von den
Vorposten, denen man zuweilen ansieht, daß der Husar sie lange in der Hand
gehabt, ehe er sie in die Säbeltasche schob; da sind Befehlsentwürfe mit den
Veränderungsbemerkungen des Höchstcommandircnden; da sind kurze mit
schwerem Bleistift im Sattel beschriebene Zettel, deren wenige Worte von oft
verhängnißvollen Inhalt; da sind Marschtableaux, Quartierlisten und nament¬
lich eine Menge telegraphischer Depeschen der verschiedensten Art: gleichgültige
Tagesrapporte, Siegesmeldungen, zweifelnde Anfragen; dazwischen dann Ge¬
fechtsberichte, in denen in so vorschrifts- und geschäftsmäßiger Dienstform
über die Dinge berichtet wird, die uns Allen das Herz heiß und höher schlagen
machten -- daß sie auf den Leser deßhalb doppelt mächtig wirken. Man sollte
meinen, wenn man ein solches Actenstück durchblättert, das sei schon Geschichte
-- und doch ist es lediglich das Material, aus dem sie 'erbaut werden soll.
Alle diese Dinge müssen unter einander abgewogen, kritisch beleuchtet, in ihrem
relativen Werthe festgestellt, durch Nachfragen bei den Betheiligten ergänzt
und berichtigt und durch oftmals in den Acten nicht vertretene Zwischenglieder,
wie mündliche Mittheilungen oder Anordnungen, unter einander in Ver-


Grmzbotm III. 1872. 31
Jas erste Kehl des deutschen HenerasstabsiverKes.

Der deutsch-französische Krieg. 1870—1871. Redigirt von der kriegsge-
schichtlichen Abtheilung des Großen Generalstabs. Erster Theil. Geschichte
des Kriegs bis zum Sturz des Kaiserreichs. Berlin 1872. E. S. Mitt-
ler und Sohn.

Das erste Heft dieses in weiten Kreisen mit Spannung erwarteten Ori¬
ginalwerks ist kürzlich erschienen und umfaßt die Ereignisse im Monat Juli.
— Es unterliegt wol keinem Zweifel, daß dies Werk für alle Folgezeit die
Hauptquelle jeder Geschichtschreibung des Krieges werden wird; denn das
actenmäßige Material, welches hier zur Verarbeitung gelangt ist, existirt eben
nur einmal in der Welt. Wer jemals ein Kriegsactenstück durchblättert hat,
kennt die eigenthümliche Physiognomie eines solchen schicksalsschweren Convo-
luts. Da giebt es ausführliche Denkschriften, welche in gewissen Wendepunkten
des Feldzugs von höheren Officieren eingefordert oder auch freiwillig einge¬
reicht werden, um die Ansicht des Einzelnen über die Situation und die weiter
zu unternehmenden Operationen niederzulegen; da sind Meldungen von den
Vorposten, denen man zuweilen ansieht, daß der Husar sie lange in der Hand
gehabt, ehe er sie in die Säbeltasche schob; da sind Befehlsentwürfe mit den
Veränderungsbemerkungen des Höchstcommandircnden; da sind kurze mit
schwerem Bleistift im Sattel beschriebene Zettel, deren wenige Worte von oft
verhängnißvollen Inhalt; da sind Marschtableaux, Quartierlisten und nament¬
lich eine Menge telegraphischer Depeschen der verschiedensten Art: gleichgültige
Tagesrapporte, Siegesmeldungen, zweifelnde Anfragen; dazwischen dann Ge¬
fechtsberichte, in denen in so vorschrifts- und geschäftsmäßiger Dienstform
über die Dinge berichtet wird, die uns Allen das Herz heiß und höher schlagen
machten — daß sie auf den Leser deßhalb doppelt mächtig wirken. Man sollte
meinen, wenn man ein solches Actenstück durchblättert, das sei schon Geschichte
— und doch ist es lediglich das Material, aus dem sie 'erbaut werden soll.
Alle diese Dinge müssen unter einander abgewogen, kritisch beleuchtet, in ihrem
relativen Werthe festgestellt, durch Nachfragen bei den Betheiligten ergänzt
und berichtigt und durch oftmals in den Acten nicht vertretene Zwischenglieder,
wie mündliche Mittheilungen oder Anordnungen, unter einander in Ver-


Grmzbotm III. 1872. 31
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[0245] Jas erste Kehl des deutschen HenerasstabsiverKes. Der deutsch-französische Krieg. 1870—1871. Redigirt von der kriegsge- schichtlichen Abtheilung des Großen Generalstabs. Erster Theil. Geschichte des Kriegs bis zum Sturz des Kaiserreichs. Berlin 1872. E. S. Mitt- ler und Sohn. Das erste Heft dieses in weiten Kreisen mit Spannung erwarteten Ori¬ ginalwerks ist kürzlich erschienen und umfaßt die Ereignisse im Monat Juli. — Es unterliegt wol keinem Zweifel, daß dies Werk für alle Folgezeit die Hauptquelle jeder Geschichtschreibung des Krieges werden wird; denn das actenmäßige Material, welches hier zur Verarbeitung gelangt ist, existirt eben nur einmal in der Welt. Wer jemals ein Kriegsactenstück durchblättert hat, kennt die eigenthümliche Physiognomie eines solchen schicksalsschweren Convo- luts. Da giebt es ausführliche Denkschriften, welche in gewissen Wendepunkten des Feldzugs von höheren Officieren eingefordert oder auch freiwillig einge¬ reicht werden, um die Ansicht des Einzelnen über die Situation und die weiter zu unternehmenden Operationen niederzulegen; da sind Meldungen von den Vorposten, denen man zuweilen ansieht, daß der Husar sie lange in der Hand gehabt, ehe er sie in die Säbeltasche schob; da sind Befehlsentwürfe mit den Veränderungsbemerkungen des Höchstcommandircnden; da sind kurze mit schwerem Bleistift im Sattel beschriebene Zettel, deren wenige Worte von oft verhängnißvollen Inhalt; da sind Marschtableaux, Quartierlisten und nament¬ lich eine Menge telegraphischer Depeschen der verschiedensten Art: gleichgültige Tagesrapporte, Siegesmeldungen, zweifelnde Anfragen; dazwischen dann Ge¬ fechtsberichte, in denen in so vorschrifts- und geschäftsmäßiger Dienstform über die Dinge berichtet wird, die uns Allen das Herz heiß und höher schlagen machten — daß sie auf den Leser deßhalb doppelt mächtig wirken. Man sollte meinen, wenn man ein solches Actenstück durchblättert, das sei schon Geschichte — und doch ist es lediglich das Material, aus dem sie 'erbaut werden soll. Alle diese Dinge müssen unter einander abgewogen, kritisch beleuchtet, in ihrem relativen Werthe festgestellt, durch Nachfragen bei den Betheiligten ergänzt und berichtigt und durch oftmals in den Acten nicht vertretene Zwischenglieder, wie mündliche Mittheilungen oder Anordnungen, unter einander in Ver- Grmzbotm III. 1872. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/245>, abgerufen am 26.06.2024.