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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band.

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Jesuiten-MraKel
nebst einer Auswahl andrer Wunder unsrer Tage.

Es giebt Krieg, so erzählen sich die Leute in Lothringen. Ueber den
Grund schreibt man dem "niederrheinischen Courier": Ein Pfarrer hat vorigen
Sonntag (den ersten im Juni dieses Jahres) berichtet, im Hollerloch sei die
heilige Jungfrau mehreren Personen erschienen und habe, sich gegen Deutsch¬
land wendend, ihr Taschentuch herausgezogen, um sich die Thränen zu trocknen,
nach Frankreich blickend aber ein heiteres Antlitz gezeigt und ihre Arme ver¬
langend dorthin ausgestreckt.

Auf den ersten Blick fanden wir hierin nichts Verdächtiges; denn in
bewegten Zeiten, wie sie jetzt am Fuße der Vogesen herrschen, sieht das Volk
dergleichen Gesichte. Wir haben das nach 1851 in Schleswig auch erlebt.
Der Name der Oertlichkeit, wo die Erscheinung sich gezeigt, ließ uns sogar
auf etwas sehr wenig Katholisches schließen und vermuthen, die heilige Jung¬
frau könnte die heidnische Frau Holle gewesen sein, die sich bekanntlich noch
bisweilen dem Landvolk sehen läßt. Bei nochmaliger Betrachtung indeß fiel
uns auf, daß ein Pfarrer das Geschichtchen verbreitet hatte, und wir erin¬
nerten uns, daß auf die Geistlichkeit in Elsaß-Lothringen die Gesellschaft Jesu
starken Einfluß übe. Kurz nachher aber wurde der hierdurch erweckte Verdacht
in Betreff des Ursprungs solcher Historien dadurch erheblich verstärkt, daß uns
das Münchner "Vaterland" erzählte, Hirtenkinder hätten am Kreuzberge in der
Rhön am Aloisiustage ein Schwert am Himmel gesehen, dessen Spitze nach
Norden gerichtet gewesen. Denn das "Vaterland" ist ein Jesuitenblatt und
Aloisius ein Jesuitenheiliger. Zu voller Ueberzeugung endlich wurde unsre
Muthmaßung durch einen Blick in die Wunderberichte, welche Pater Marly,
Priester der gedachten Gesellschaft, in seiner soeben zu Amberg erschienenen
Schrift "Friedensbilder aus dem deutsch-französischen Kriege 1870 -- 71" der
gläubigen Menschheit zu genießen giebt. Im achten Kapitel, welches von ver¬
schiedenen Erscheinungen der Gottesmutter und Himmelskönigin handelt, die
in den letzten Jahrzehnten vorgekommen sind, lesen wir Seite 63:

"Ist es nicht mitunter, wie wenn Maria Frankreich eine besondere Zärt¬
lichkeit zuwendete? Seit Ludwig dem Dritten besteht zwischen dem französischen


Grenzboten III. 1872. 21
Jesuiten-MraKel
nebst einer Auswahl andrer Wunder unsrer Tage.

Es giebt Krieg, so erzählen sich die Leute in Lothringen. Ueber den
Grund schreibt man dem „niederrheinischen Courier": Ein Pfarrer hat vorigen
Sonntag (den ersten im Juni dieses Jahres) berichtet, im Hollerloch sei die
heilige Jungfrau mehreren Personen erschienen und habe, sich gegen Deutsch¬
land wendend, ihr Taschentuch herausgezogen, um sich die Thränen zu trocknen,
nach Frankreich blickend aber ein heiteres Antlitz gezeigt und ihre Arme ver¬
langend dorthin ausgestreckt.

Auf den ersten Blick fanden wir hierin nichts Verdächtiges; denn in
bewegten Zeiten, wie sie jetzt am Fuße der Vogesen herrschen, sieht das Volk
dergleichen Gesichte. Wir haben das nach 1851 in Schleswig auch erlebt.
Der Name der Oertlichkeit, wo die Erscheinung sich gezeigt, ließ uns sogar
auf etwas sehr wenig Katholisches schließen und vermuthen, die heilige Jung¬
frau könnte die heidnische Frau Holle gewesen sein, die sich bekanntlich noch
bisweilen dem Landvolk sehen läßt. Bei nochmaliger Betrachtung indeß fiel
uns auf, daß ein Pfarrer das Geschichtchen verbreitet hatte, und wir erin¬
nerten uns, daß auf die Geistlichkeit in Elsaß-Lothringen die Gesellschaft Jesu
starken Einfluß übe. Kurz nachher aber wurde der hierdurch erweckte Verdacht
in Betreff des Ursprungs solcher Historien dadurch erheblich verstärkt, daß uns
das Münchner „Vaterland" erzählte, Hirtenkinder hätten am Kreuzberge in der
Rhön am Aloisiustage ein Schwert am Himmel gesehen, dessen Spitze nach
Norden gerichtet gewesen. Denn das „Vaterland" ist ein Jesuitenblatt und
Aloisius ein Jesuitenheiliger. Zu voller Ueberzeugung endlich wurde unsre
Muthmaßung durch einen Blick in die Wunderberichte, welche Pater Marly,
Priester der gedachten Gesellschaft, in seiner soeben zu Amberg erschienenen
Schrift „Friedensbilder aus dem deutsch-französischen Kriege 1870 — 71" der
gläubigen Menschheit zu genießen giebt. Im achten Kapitel, welches von ver¬
schiedenen Erscheinungen der Gottesmutter und Himmelskönigin handelt, die
in den letzten Jahrzehnten vorgekommen sind, lesen wir Seite 63:

„Ist es nicht mitunter, wie wenn Maria Frankreich eine besondere Zärt¬
lichkeit zuwendete? Seit Ludwig dem Dritten besteht zwischen dem französischen


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[0169] Jesuiten-MraKel nebst einer Auswahl andrer Wunder unsrer Tage. Es giebt Krieg, so erzählen sich die Leute in Lothringen. Ueber den Grund schreibt man dem „niederrheinischen Courier": Ein Pfarrer hat vorigen Sonntag (den ersten im Juni dieses Jahres) berichtet, im Hollerloch sei die heilige Jungfrau mehreren Personen erschienen und habe, sich gegen Deutsch¬ land wendend, ihr Taschentuch herausgezogen, um sich die Thränen zu trocknen, nach Frankreich blickend aber ein heiteres Antlitz gezeigt und ihre Arme ver¬ langend dorthin ausgestreckt. Auf den ersten Blick fanden wir hierin nichts Verdächtiges; denn in bewegten Zeiten, wie sie jetzt am Fuße der Vogesen herrschen, sieht das Volk dergleichen Gesichte. Wir haben das nach 1851 in Schleswig auch erlebt. Der Name der Oertlichkeit, wo die Erscheinung sich gezeigt, ließ uns sogar auf etwas sehr wenig Katholisches schließen und vermuthen, die heilige Jung¬ frau könnte die heidnische Frau Holle gewesen sein, die sich bekanntlich noch bisweilen dem Landvolk sehen läßt. Bei nochmaliger Betrachtung indeß fiel uns auf, daß ein Pfarrer das Geschichtchen verbreitet hatte, und wir erin¬ nerten uns, daß auf die Geistlichkeit in Elsaß-Lothringen die Gesellschaft Jesu starken Einfluß übe. Kurz nachher aber wurde der hierdurch erweckte Verdacht in Betreff des Ursprungs solcher Historien dadurch erheblich verstärkt, daß uns das Münchner „Vaterland" erzählte, Hirtenkinder hätten am Kreuzberge in der Rhön am Aloisiustage ein Schwert am Himmel gesehen, dessen Spitze nach Norden gerichtet gewesen. Denn das „Vaterland" ist ein Jesuitenblatt und Aloisius ein Jesuitenheiliger. Zu voller Ueberzeugung endlich wurde unsre Muthmaßung durch einen Blick in die Wunderberichte, welche Pater Marly, Priester der gedachten Gesellschaft, in seiner soeben zu Amberg erschienenen Schrift „Friedensbilder aus dem deutsch-französischen Kriege 1870 — 71" der gläubigen Menschheit zu genießen giebt. Im achten Kapitel, welches von ver¬ schiedenen Erscheinungen der Gottesmutter und Himmelskönigin handelt, die in den letzten Jahrzehnten vorgekommen sind, lesen wir Seite 63: „Ist es nicht mitunter, wie wenn Maria Frankreich eine besondere Zärt¬ lichkeit zuwendete? Seit Ludwig dem Dritten besteht zwischen dem französischen Grenzboten III. 1872. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127927/169>, abgerufen am 26.06.2024.