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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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und auch die Seinigen schweigen ließ. Er konnte über seine Verhältnisse
hinaus freigebig sein; er gab sich auch gern für mildthätige und andere gute
Zwecke zum Vermittler bei Reichen und Mächtigen her, in deren Vertrauen
er stand; aber die Welt erfuhr nichts davon und hieß ihn herzlos, weil Zu¬
dringliche und Unwürdige von sehr schroffer Zurückweisung erzählten. Um¬
schweife liebte er allerdings nicht, seine Meinung sagte er nach oben wie nach
unten kurz, klar und grade heraus, immer in gemessenen Formen, darum aber
oft um so empfindlicher wirkend. Hatte er sich ein Ziel gesetzt, so ging er
in schnurgerader Richtung auf dasselbe los. Alles bei Seite schiebend, was
ihm im Wege stand. Daß es da Verletzte gab, wird Niemanden Wunder
nehmen; ein strenges Regiment hat immer seine schneidigen Kanten. Gleich¬
wohl bleibt es unerklärlich, wie es eine Zeit geben konnte (186S), in der die
Bürgerschaft der guten Stadt Coburg einem Mann wie Briegleb einen Sitz in
der Stadtverordnetenversammlung verweigerte.

Mochte ihn auch seine häufige Abwesenheit und das diplomatische Dunkel
seiner Geschäfte den Mitbürgern entfremdet haben, mochten die maßlosen An¬
griffe und Verdächtigungen, welche eine wüste Presse in den Zeiten der poli¬
tischen Hochfluth (1848--18S1) gegen ihn geschleudert hatte, noch nachwirken,
mochte die Art, wie er sich zu geben pflegte. Vielen nicht nach Sinn und
Geschmack sein, so durfte man in Coburg doch nie vergessen, daß er einer der
verdienstvollsten Bürger war, um dessen Kraft und Bereitwilligkeit die
Stadt von manchem größeren Gemeinwesen beneidet werden konnte. Sechs
Jahre später ist ihm durch die einmüthige Wahl zum deutschen Reichstag,
durch die thatsächliche Kundgebung des ganzen Landes, daß es keinen
Besseren zu entsenden habe, eine gerechte Sühne geworden. So war es ihm
beschieden, sein vielbewegtes Leben auf dem höchsten Ehrenposten zu
schließen, den das Volk zu vergeben hat. Er verdient es, daß auch sein
Andenken in Ehren gehalten wird.


Fr. Forkel.


Karl V.
Von
Wilhelm Maurenb reader.
II.

Die spanische Monarchie hat zu der europäischen Politik Kaiser Karls V.
die realen Machtmittel geliefert. Und doch war es für den in den Nieder¬
landen geborenen Monarchen keine kleine Arbeit, die volle Verfügung über


und auch die Seinigen schweigen ließ. Er konnte über seine Verhältnisse
hinaus freigebig sein; er gab sich auch gern für mildthätige und andere gute
Zwecke zum Vermittler bei Reichen und Mächtigen her, in deren Vertrauen
er stand; aber die Welt erfuhr nichts davon und hieß ihn herzlos, weil Zu¬
dringliche und Unwürdige von sehr schroffer Zurückweisung erzählten. Um¬
schweife liebte er allerdings nicht, seine Meinung sagte er nach oben wie nach
unten kurz, klar und grade heraus, immer in gemessenen Formen, darum aber
oft um so empfindlicher wirkend. Hatte er sich ein Ziel gesetzt, so ging er
in schnurgerader Richtung auf dasselbe los. Alles bei Seite schiebend, was
ihm im Wege stand. Daß es da Verletzte gab, wird Niemanden Wunder
nehmen; ein strenges Regiment hat immer seine schneidigen Kanten. Gleich¬
wohl bleibt es unerklärlich, wie es eine Zeit geben konnte (186S), in der die
Bürgerschaft der guten Stadt Coburg einem Mann wie Briegleb einen Sitz in
der Stadtverordnetenversammlung verweigerte.

Mochte ihn auch seine häufige Abwesenheit und das diplomatische Dunkel
seiner Geschäfte den Mitbürgern entfremdet haben, mochten die maßlosen An¬
griffe und Verdächtigungen, welche eine wüste Presse in den Zeiten der poli¬
tischen Hochfluth (1848—18S1) gegen ihn geschleudert hatte, noch nachwirken,
mochte die Art, wie er sich zu geben pflegte. Vielen nicht nach Sinn und
Geschmack sein, so durfte man in Coburg doch nie vergessen, daß er einer der
verdienstvollsten Bürger war, um dessen Kraft und Bereitwilligkeit die
Stadt von manchem größeren Gemeinwesen beneidet werden konnte. Sechs
Jahre später ist ihm durch die einmüthige Wahl zum deutschen Reichstag,
durch die thatsächliche Kundgebung des ganzen Landes, daß es keinen
Besseren zu entsenden habe, eine gerechte Sühne geworden. So war es ihm
beschieden, sein vielbewegtes Leben auf dem höchsten Ehrenposten zu
schließen, den das Volk zu vergeben hat. Er verdient es, daß auch sein
Andenken in Ehren gehalten wird.


Fr. Forkel.


Karl V.
Von
Wilhelm Maurenb reader.
II.

Die spanische Monarchie hat zu der europäischen Politik Kaiser Karls V.
die realen Machtmittel geliefert. Und doch war es für den in den Nieder¬
landen geborenen Monarchen keine kleine Arbeit, die volle Verfügung über


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[0419] und auch die Seinigen schweigen ließ. Er konnte über seine Verhältnisse hinaus freigebig sein; er gab sich auch gern für mildthätige und andere gute Zwecke zum Vermittler bei Reichen und Mächtigen her, in deren Vertrauen er stand; aber die Welt erfuhr nichts davon und hieß ihn herzlos, weil Zu¬ dringliche und Unwürdige von sehr schroffer Zurückweisung erzählten. Um¬ schweife liebte er allerdings nicht, seine Meinung sagte er nach oben wie nach unten kurz, klar und grade heraus, immer in gemessenen Formen, darum aber oft um so empfindlicher wirkend. Hatte er sich ein Ziel gesetzt, so ging er in schnurgerader Richtung auf dasselbe los. Alles bei Seite schiebend, was ihm im Wege stand. Daß es da Verletzte gab, wird Niemanden Wunder nehmen; ein strenges Regiment hat immer seine schneidigen Kanten. Gleich¬ wohl bleibt es unerklärlich, wie es eine Zeit geben konnte (186S), in der die Bürgerschaft der guten Stadt Coburg einem Mann wie Briegleb einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung verweigerte. Mochte ihn auch seine häufige Abwesenheit und das diplomatische Dunkel seiner Geschäfte den Mitbürgern entfremdet haben, mochten die maßlosen An¬ griffe und Verdächtigungen, welche eine wüste Presse in den Zeiten der poli¬ tischen Hochfluth (1848—18S1) gegen ihn geschleudert hatte, noch nachwirken, mochte die Art, wie er sich zu geben pflegte. Vielen nicht nach Sinn und Geschmack sein, so durfte man in Coburg doch nie vergessen, daß er einer der verdienstvollsten Bürger war, um dessen Kraft und Bereitwilligkeit die Stadt von manchem größeren Gemeinwesen beneidet werden konnte. Sechs Jahre später ist ihm durch die einmüthige Wahl zum deutschen Reichstag, durch die thatsächliche Kundgebung des ganzen Landes, daß es keinen Besseren zu entsenden habe, eine gerechte Sühne geworden. So war es ihm beschieden, sein vielbewegtes Leben auf dem höchsten Ehrenposten zu schließen, den das Volk zu vergeben hat. Er verdient es, daß auch sein Andenken in Ehren gehalten wird. Fr. Forkel. Karl V. Von Wilhelm Maurenb reader. II. Die spanische Monarchie hat zu der europäischen Politik Kaiser Karls V. die realen Machtmittel geliefert. Und doch war es für den in den Nieder¬ landen geborenen Monarchen keine kleine Arbeit, die volle Verfügung über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/419>, abgerufen am 22.07.2024.