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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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lust der Schlacht nicht verschuldet, weil er die Dispositionen 'zwar gegeben,
aber nicht ausgeführt.

Ein dritter Differenzpunkt betraf die Vorschrift, daß der Rechnungshof
die Einnahmen für den Reichstag moniren solle, welche der Verwaltung über
die gesetzlichen Anschläge hinaus erwachsen. Nun werden die Ueberschüsse stets
durch die Negierung zur Kenntniß des Reichstags gebracht. Aber durch die
Form einer Monitür des Rechnungshofes erhalten solche Einnahmen einen
außergesetzlichen, erst nachträglich zu legitimirenden Charakter, dem sich die
Ncichsregierung widersetzte, ohne mit ihrem Einspruch Erfolg zu haben.

Der wichtigste Differenzpunkt lag in dem Commissionsvorschlag, den
Rechnungshof zu verpflichten, daß er über die nach dem Gesetz für den Reichs-
tag vorzunehmende Mvnitur der Reichshaushaltsrechnungen hinaus, die Rück¬
fragen des letzteren beantworte. Mit Recht sagte der Präsident Delbrück,
daß dieser Vorschlag den Rechnungshof in demselben Umfange, in dem er der
Verwaltung dient, zum Organ des Reichstages mache. Die Absorption der
höheren Reichsverwaltung durch den Reichstag wäre damit vollendet. Dennoch
nahm der Reichstag den betreffenden Paragraphen, wie ihn die Commission
eingeschaltet, an. Damit ist das Nichtzustandekommen des Gesetzes ent¬
schieden.

In der Sitzung vom 22. Mai, der ersten nach dem Pfingstfeste, verlas der
Präsident des Reichstages das Schreiben des Reichskanzlers, worin derselbe
den ihm vom Kaiser ertheilten Urlaub anzeigt. Die Confecturen, welche der
Umstand hervorgerufen, daß der Kanzler seinen Urlaub noch vor dem bald
zu erwartenden Schluß des Reichstags angetreten, sowie eine andere Reihe
von Conjecturen, welche sich an den muthmaßlichen Besuch des Kanzlers in
England knüpfen, sind zu übergehen. Daß die Muße des Kanzlers, welche
ihn von den regelmäßigen Arbeiten entbindet, nichts destoweniger ausgefüllt
sein wird mit' der Aufmerksamkeit und bezw. der Einwirkung auf die wich¬
tigen Vorgänge, welche sich in der europäischen Politik fortwährend abspielen,
versteht sich unter allen Umständen von selbst.


0 -- r.


Die schweizerische Gerfassnngsreviston und ihre Hegner.

Wir haben nun seit 1869, wie man hier zu Lande sagt, geschafft an
unsrer Bundeöverfassungsrevision, und sie ist am 12. Mai d, I. vorläufig
begraben worden. Vorläufig, sag' ich mit Nachdruck. Denn die Todten
reiten schnell, und die 250,000 Leidtragenden genügen, um das Verlangen nach
Revision immer von neuem zu stellen, um das mit romanisch-ultramontanen
Verwünschungen "abe" gesenkte Werk wieder aufzuerwecken. Schon hat die
Revisionspartei ihre Freunde zu einem gemeinsamen Nachschluß über die
künftige Haltung geeinigt.*) Und die actenmäßige Geschichte der Ab¬
stimmung, ihre Zahlen und Agitationsmittel, welche der Bundesversammlung
am 27. Mai vorgelegt werden sollen, werden vermuthlich die paar tausend Stimmen
Nein der Majorität in sehr wenig schreckhaftem Licht erscheinen lassen.

Die politische Leidenschaft in der Schweiz und im Auslande, vornehmlich



Welcher in der Rede des Natioualrachs-Prüsidcnlen Weltr am 27. Mai einen trefflichen
T>. Red. Ausdruck gefunden hat.

lust der Schlacht nicht verschuldet, weil er die Dispositionen 'zwar gegeben,
aber nicht ausgeführt.

Ein dritter Differenzpunkt betraf die Vorschrift, daß der Rechnungshof
die Einnahmen für den Reichstag moniren solle, welche der Verwaltung über
die gesetzlichen Anschläge hinaus erwachsen. Nun werden die Ueberschüsse stets
durch die Negierung zur Kenntniß des Reichstags gebracht. Aber durch die
Form einer Monitür des Rechnungshofes erhalten solche Einnahmen einen
außergesetzlichen, erst nachträglich zu legitimirenden Charakter, dem sich die
Ncichsregierung widersetzte, ohne mit ihrem Einspruch Erfolg zu haben.

Der wichtigste Differenzpunkt lag in dem Commissionsvorschlag, den
Rechnungshof zu verpflichten, daß er über die nach dem Gesetz für den Reichs-
tag vorzunehmende Mvnitur der Reichshaushaltsrechnungen hinaus, die Rück¬
fragen des letzteren beantworte. Mit Recht sagte der Präsident Delbrück,
daß dieser Vorschlag den Rechnungshof in demselben Umfange, in dem er der
Verwaltung dient, zum Organ des Reichstages mache. Die Absorption der
höheren Reichsverwaltung durch den Reichstag wäre damit vollendet. Dennoch
nahm der Reichstag den betreffenden Paragraphen, wie ihn die Commission
eingeschaltet, an. Damit ist das Nichtzustandekommen des Gesetzes ent¬
schieden.

In der Sitzung vom 22. Mai, der ersten nach dem Pfingstfeste, verlas der
Präsident des Reichstages das Schreiben des Reichskanzlers, worin derselbe
den ihm vom Kaiser ertheilten Urlaub anzeigt. Die Confecturen, welche der
Umstand hervorgerufen, daß der Kanzler seinen Urlaub noch vor dem bald
zu erwartenden Schluß des Reichstags angetreten, sowie eine andere Reihe
von Conjecturen, welche sich an den muthmaßlichen Besuch des Kanzlers in
England knüpfen, sind zu übergehen. Daß die Muße des Kanzlers, welche
ihn von den regelmäßigen Arbeiten entbindet, nichts destoweniger ausgefüllt
sein wird mit' der Aufmerksamkeit und bezw. der Einwirkung auf die wich¬
tigen Vorgänge, welche sich in der europäischen Politik fortwährend abspielen,
versteht sich unter allen Umständen von selbst.


0 — r.


Die schweizerische Gerfassnngsreviston und ihre Hegner.

Wir haben nun seit 1869, wie man hier zu Lande sagt, geschafft an
unsrer Bundeöverfassungsrevision, und sie ist am 12. Mai d, I. vorläufig
begraben worden. Vorläufig, sag' ich mit Nachdruck. Denn die Todten
reiten schnell, und die 250,000 Leidtragenden genügen, um das Verlangen nach
Revision immer von neuem zu stellen, um das mit romanisch-ultramontanen
Verwünschungen „abe" gesenkte Werk wieder aufzuerwecken. Schon hat die
Revisionspartei ihre Freunde zu einem gemeinsamen Nachschluß über die
künftige Haltung geeinigt.*) Und die actenmäßige Geschichte der Ab¬
stimmung, ihre Zahlen und Agitationsmittel, welche der Bundesversammlung
am 27. Mai vorgelegt werden sollen, werden vermuthlich die paar tausend Stimmen
Nein der Majorität in sehr wenig schreckhaftem Licht erscheinen lassen.

Die politische Leidenschaft in der Schweiz und im Auslande, vornehmlich



Welcher in der Rede des Natioualrachs-Prüsidcnlen Weltr am 27. Mai einen trefflichen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/400>, abgerufen am 22.07.2024.