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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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wir den Leser auf die Schrift Rutenberg's selbst, die mit eindringender Schärfe
und in fesselnder Darstellung ein ebenso umfassendes, wie im Einzelnen aus¬
geführtes Bild der Bewegung des französischen Geistes auf diesem Gebiete
Georg Zelle. giebt.




Aeser die Ansprüche der öffentlichen Gesundheitspflege
an die Gefängnisse.
Von
Dr. Hermann Friedberg. (Schluß.)

Als einen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit der öffentlichen Gesund¬
heitspflege in ihren Ansprüchen an die Gefängnisse haben wir oben schon
die Krankenpflege bezeichnet. Es ist einleuchtend, daß vor Allein die Be¬
handlung ertränkter Gefangener besondere Sorgfalt erheischt, weil hier um so
schwieriger die Aufgabe sich erfüllen läßt, welche die öffentliche Gesundheits¬
pflege allen Gefängnissen stellen muß- die Vorbereitung des Gefangenen auf
die Rückkehr in freie gesundheitsgemäße Verhältnisse durch ehrlichen Erwerb.
Kein erkrankter Gefangener sollte dem gesunden gleich behandelt werden; ein¬
mal weil ihm die ohnehin gesundheitswidrigen Einflüsse der Gefangenschaft
doppelt gefahrbringend sind, und zweitens, weil die physische Erkrankung meist
auch eine Verkümmerung des Willens- und Erkenntnißvermögens im Gefolge
hat, und daher die Verfolgung des Strafzweckes, dem Kranken gegenüber,
meist ganz illusorisch wird. Daher hat sich grundsätzlich die Behandlung des
Gefangenen vom Moment seiner Erkrankung an lediglich der Rücksicht unter¬
zuordnen, welche die Heilung des Kranken erheischt. --

Geisteskranke dürfen nur so lange in dem Gefängnisse bleiben, bis
ihre Unterbringung in eine Irrenanstalt erfolgen kann. Diese Unterbringung
muß so viel als möglich beschleunigt werden und darf nur dann unterbleiben,
wenn mit dem Gefängnisse selbst eine Irrenanstalt verbunden ist. Wenn
letzteres nicht der Fall ist, dann läßt sich der Aufenthalt der Geisteskranken
in dem Gefängnisse nicht rechtfertigen, denn die Behandlung derselben erheischt
mit Nothwendigkeit gewisse Rücksichten, welche von denjenigen der Behand¬
lung anderer Kranken abweichen und in dem Gefängnißlazareth nicht zur
Geltung kommen können. Ob man den Kranken in einer Irrenheilanstalt
die Zuführung von geisteskranken Sträflingen zumuthen darf, ist eine Frage,
welche die öffentliche Gesundheitspflege nicht zu beantworten hat; die öffent¬
liche Gesundheitspflege verlangt nur, daß die geisteskranken Sträflinge in
einer Irrenheilanstalt behandelt werden, gleichviel, ob diese ausschließlich für



^Hess227S7289.

wir den Leser auf die Schrift Rutenberg's selbst, die mit eindringender Schärfe
und in fesselnder Darstellung ein ebenso umfassendes, wie im Einzelnen aus¬
geführtes Bild der Bewegung des französischen Geistes auf diesem Gebiete
Georg Zelle. giebt.




Aeser die Ansprüche der öffentlichen Gesundheitspflege
an die Gefängnisse.
Von
Dr. Hermann Friedberg. (Schluß.)

Als einen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit der öffentlichen Gesund¬
heitspflege in ihren Ansprüchen an die Gefängnisse haben wir oben schon
die Krankenpflege bezeichnet. Es ist einleuchtend, daß vor Allein die Be¬
handlung ertränkter Gefangener besondere Sorgfalt erheischt, weil hier um so
schwieriger die Aufgabe sich erfüllen läßt, welche die öffentliche Gesundheits¬
pflege allen Gefängnissen stellen muß- die Vorbereitung des Gefangenen auf
die Rückkehr in freie gesundheitsgemäße Verhältnisse durch ehrlichen Erwerb.
Kein erkrankter Gefangener sollte dem gesunden gleich behandelt werden; ein¬
mal weil ihm die ohnehin gesundheitswidrigen Einflüsse der Gefangenschaft
doppelt gefahrbringend sind, und zweitens, weil die physische Erkrankung meist
auch eine Verkümmerung des Willens- und Erkenntnißvermögens im Gefolge
hat, und daher die Verfolgung des Strafzweckes, dem Kranken gegenüber,
meist ganz illusorisch wird. Daher hat sich grundsätzlich die Behandlung des
Gefangenen vom Moment seiner Erkrankung an lediglich der Rücksicht unter¬
zuordnen, welche die Heilung des Kranken erheischt. —

Geisteskranke dürfen nur so lange in dem Gefängnisse bleiben, bis
ihre Unterbringung in eine Irrenanstalt erfolgen kann. Diese Unterbringung
muß so viel als möglich beschleunigt werden und darf nur dann unterbleiben,
wenn mit dem Gefängnisse selbst eine Irrenanstalt verbunden ist. Wenn
letzteres nicht der Fall ist, dann läßt sich der Aufenthalt der Geisteskranken
in dem Gefängnisse nicht rechtfertigen, denn die Behandlung derselben erheischt
mit Nothwendigkeit gewisse Rücksichten, welche von denjenigen der Behand¬
lung anderer Kranken abweichen und in dem Gefängnißlazareth nicht zur
Geltung kommen können. Ob man den Kranken in einer Irrenheilanstalt
die Zuführung von geisteskranken Sträflingen zumuthen darf, ist eine Frage,
welche die öffentliche Gesundheitspflege nicht zu beantworten hat; die öffent¬
liche Gesundheitspflege verlangt nur, daß die geisteskranken Sträflinge in
einer Irrenheilanstalt behandelt werden, gleichviel, ob diese ausschließlich für



^Hess227S7289.
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[0340] wir den Leser auf die Schrift Rutenberg's selbst, die mit eindringender Schärfe und in fesselnder Darstellung ein ebenso umfassendes, wie im Einzelnen aus¬ geführtes Bild der Bewegung des französischen Geistes auf diesem Gebiete Georg Zelle. giebt. Aeser die Ansprüche der öffentlichen Gesundheitspflege an die Gefängnisse. Von Dr. Hermann Friedberg. (Schluß.) Als einen Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit der öffentlichen Gesund¬ heitspflege in ihren Ansprüchen an die Gefängnisse haben wir oben schon die Krankenpflege bezeichnet. Es ist einleuchtend, daß vor Allein die Be¬ handlung ertränkter Gefangener besondere Sorgfalt erheischt, weil hier um so schwieriger die Aufgabe sich erfüllen läßt, welche die öffentliche Gesundheits¬ pflege allen Gefängnissen stellen muß- die Vorbereitung des Gefangenen auf die Rückkehr in freie gesundheitsgemäße Verhältnisse durch ehrlichen Erwerb. Kein erkrankter Gefangener sollte dem gesunden gleich behandelt werden; ein¬ mal weil ihm die ohnehin gesundheitswidrigen Einflüsse der Gefangenschaft doppelt gefahrbringend sind, und zweitens, weil die physische Erkrankung meist auch eine Verkümmerung des Willens- und Erkenntnißvermögens im Gefolge hat, und daher die Verfolgung des Strafzweckes, dem Kranken gegenüber, meist ganz illusorisch wird. Daher hat sich grundsätzlich die Behandlung des Gefangenen vom Moment seiner Erkrankung an lediglich der Rücksicht unter¬ zuordnen, welche die Heilung des Kranken erheischt. — Geisteskranke dürfen nur so lange in dem Gefängnisse bleiben, bis ihre Unterbringung in eine Irrenanstalt erfolgen kann. Diese Unterbringung muß so viel als möglich beschleunigt werden und darf nur dann unterbleiben, wenn mit dem Gefängnisse selbst eine Irrenanstalt verbunden ist. Wenn letzteres nicht der Fall ist, dann läßt sich der Aufenthalt der Geisteskranken in dem Gefängnisse nicht rechtfertigen, denn die Behandlung derselben erheischt mit Nothwendigkeit gewisse Rücksichten, welche von denjenigen der Behand¬ lung anderer Kranken abweichen und in dem Gefängnißlazareth nicht zur Geltung kommen können. Ob man den Kranken in einer Irrenheilanstalt die Zuführung von geisteskranken Sträflingen zumuthen darf, ist eine Frage, welche die öffentliche Gesundheitspflege nicht zu beantworten hat; die öffent¬ liche Gesundheitspflege verlangt nur, daß die geisteskranken Sträflinge in einer Irrenheilanstalt behandelt werden, gleichviel, ob diese ausschließlich für ^Hess227S7289.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/340>, abgerufen am 03.07.2024.