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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Die pädagogischen Grundsätze der Jesuiten
von
H. Jacoby.

Die Reformation hatte eine Rückwirkung xmf die katholische Kirche aus¬
geübt, nicht bloß insofern dieselbe veranlaßt wurde auf dem Wege der Reform
Anstoß erregende Sitten zu beseitigen, sondern auch insofern als sie neue
Kräfte entfalten mußte, die entrissenen Gebiete wieder zu erobern, die erhal¬
tenen zu schützen. Es konnten keine anderen Kräfte sein, als die, über welche
auch der Protestantismus verfügte. Der Katholicismus mußte ebenfalls die
allgemeine Volksbildung pflegen, mußte ebenfalls den Volksunterricht ernstlich
in die Hand nehmen. Dieses Bedürfniß zu befriedigen erwuchs ihm ein neues
Organ, der alte Baum des Ordenslebens trug ein neues Reis, das bald alle
anderen Orden an Werth und Bedeutung übertreffen sollte, den Orden der
Gesellschaft Jesu. - .

Wir müssen daher, um die pädagogischen Grundsätze der Jesuiten zu be¬
greifen, uns das Ziel vergegenwärtigen, welches sie erreichen wollen. Auch die
Schulen der Jesuiten wollen nichts anderes als für Rom werben und gegen
den Protestantismus schützen. Die Lehrthätigkeit der Jesuiten ist die wichtigste
Function das Ziel zu erreichen, um dessentwillen sie überhaupt in das Leben
getreten sind. Daher spiegelt sich in den Jesuitenschulen der antiprotestantischc
Geist und Sinn des römischen Katholicismus. Katholicismus und Protestan¬
tismus nehmen eine entgegengesetzte Richtung, wenn es sich um die Aufgabe
handelt, das Erbe der Vergangenheit anzutreten. Wenn der Protestantis¬
mus nicht anders kann als mit dem Gefühl der Pietät gegen die Ueber¬
lieferung zugleich den Geist der Kritik zu verbinden, wenn er die unveränder¬
lichen Bestandtheile des Glaubens, die ewigen Grundsätze des sittlichen Lebens
in immer neue Formen kleidet, in die Geschichte eingeht, mit den Mächten
wahrer Cultur sich innig eint, so ist der Katholicismus vielmehr entschlossen,
soviel möglich den Wechsel des geschichtlichen Lebens von seinen Grenzen fern
zu halten, die einmal anerkannten Gestaltungen der Lehre unverändert zu
bewahren und in unbeweglicher Ruhe die Jahrhunderte an sich vorüber fließen
zu lassen. Dem Katholicismus eignet der Charakter der Stabilität, und er
ist es, der auch in der Pädagogik der Jesuiten sich spiegelt.


Grenzboten II. 1872. 31
Die pädagogischen Grundsätze der Jesuiten
von
H. Jacoby.

Die Reformation hatte eine Rückwirkung xmf die katholische Kirche aus¬
geübt, nicht bloß insofern dieselbe veranlaßt wurde auf dem Wege der Reform
Anstoß erregende Sitten zu beseitigen, sondern auch insofern als sie neue
Kräfte entfalten mußte, die entrissenen Gebiete wieder zu erobern, die erhal¬
tenen zu schützen. Es konnten keine anderen Kräfte sein, als die, über welche
auch der Protestantismus verfügte. Der Katholicismus mußte ebenfalls die
allgemeine Volksbildung pflegen, mußte ebenfalls den Volksunterricht ernstlich
in die Hand nehmen. Dieses Bedürfniß zu befriedigen erwuchs ihm ein neues
Organ, der alte Baum des Ordenslebens trug ein neues Reis, das bald alle
anderen Orden an Werth und Bedeutung übertreffen sollte, den Orden der
Gesellschaft Jesu. - .

Wir müssen daher, um die pädagogischen Grundsätze der Jesuiten zu be¬
greifen, uns das Ziel vergegenwärtigen, welches sie erreichen wollen. Auch die
Schulen der Jesuiten wollen nichts anderes als für Rom werben und gegen
den Protestantismus schützen. Die Lehrthätigkeit der Jesuiten ist die wichtigste
Function das Ziel zu erreichen, um dessentwillen sie überhaupt in das Leben
getreten sind. Daher spiegelt sich in den Jesuitenschulen der antiprotestantischc
Geist und Sinn des römischen Katholicismus. Katholicismus und Protestan¬
tismus nehmen eine entgegengesetzte Richtung, wenn es sich um die Aufgabe
handelt, das Erbe der Vergangenheit anzutreten. Wenn der Protestantis¬
mus nicht anders kann als mit dem Gefühl der Pietät gegen die Ueber¬
lieferung zugleich den Geist der Kritik zu verbinden, wenn er die unveränder¬
lichen Bestandtheile des Glaubens, die ewigen Grundsätze des sittlichen Lebens
in immer neue Formen kleidet, in die Geschichte eingeht, mit den Mächten
wahrer Cultur sich innig eint, so ist der Katholicismus vielmehr entschlossen,
soviel möglich den Wechsel des geschichtlichen Lebens von seinen Grenzen fern
zu halten, die einmal anerkannten Gestaltungen der Lehre unverändert zu
bewahren und in unbeweglicher Ruhe die Jahrhunderte an sich vorüber fließen
zu lassen. Dem Katholicismus eignet der Charakter der Stabilität, und er
ist es, der auch in der Pädagogik der Jesuiten sich spiegelt.


Grenzboten II. 1872. 31
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[0249] Die pädagogischen Grundsätze der Jesuiten von H. Jacoby. Die Reformation hatte eine Rückwirkung xmf die katholische Kirche aus¬ geübt, nicht bloß insofern dieselbe veranlaßt wurde auf dem Wege der Reform Anstoß erregende Sitten zu beseitigen, sondern auch insofern als sie neue Kräfte entfalten mußte, die entrissenen Gebiete wieder zu erobern, die erhal¬ tenen zu schützen. Es konnten keine anderen Kräfte sein, als die, über welche auch der Protestantismus verfügte. Der Katholicismus mußte ebenfalls die allgemeine Volksbildung pflegen, mußte ebenfalls den Volksunterricht ernstlich in die Hand nehmen. Dieses Bedürfniß zu befriedigen erwuchs ihm ein neues Organ, der alte Baum des Ordenslebens trug ein neues Reis, das bald alle anderen Orden an Werth und Bedeutung übertreffen sollte, den Orden der Gesellschaft Jesu. - . Wir müssen daher, um die pädagogischen Grundsätze der Jesuiten zu be¬ greifen, uns das Ziel vergegenwärtigen, welches sie erreichen wollen. Auch die Schulen der Jesuiten wollen nichts anderes als für Rom werben und gegen den Protestantismus schützen. Die Lehrthätigkeit der Jesuiten ist die wichtigste Function das Ziel zu erreichen, um dessentwillen sie überhaupt in das Leben getreten sind. Daher spiegelt sich in den Jesuitenschulen der antiprotestantischc Geist und Sinn des römischen Katholicismus. Katholicismus und Protestan¬ tismus nehmen eine entgegengesetzte Richtung, wenn es sich um die Aufgabe handelt, das Erbe der Vergangenheit anzutreten. Wenn der Protestantis¬ mus nicht anders kann als mit dem Gefühl der Pietät gegen die Ueber¬ lieferung zugleich den Geist der Kritik zu verbinden, wenn er die unveränder¬ lichen Bestandtheile des Glaubens, die ewigen Grundsätze des sittlichen Lebens in immer neue Formen kleidet, in die Geschichte eingeht, mit den Mächten wahrer Cultur sich innig eint, so ist der Katholicismus vielmehr entschlossen, soviel möglich den Wechsel des geschichtlichen Lebens von seinen Grenzen fern zu halten, die einmal anerkannten Gestaltungen der Lehre unverändert zu bewahren und in unbeweglicher Ruhe die Jahrhunderte an sich vorüber fließen zu lassen. Dem Katholicismus eignet der Charakter der Stabilität, und er ist es, der auch in der Pädagogik der Jesuiten sich spiegelt. Grenzboten II. 1872. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/249>, abgerufen am 22.07.2024.