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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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Vom deutschen Keichstag.

Das In- und Ausland hat sich diesmal an dem nüchtern geschäfts¬
mäßigen Ton der Eröffnungsrede unseres Reichstags erfreut. Ganze Leit¬
artikel sind diesem Thema gewidmet worden. Ein Zeichen, daß wir im Glück
sind. Der Glückliche kann thun und lassen was er will, es wird recht ge¬
funden. Dafür wollen wir auch nicht vergessen, daß es Zeiten gegeben hat,
gegen deren Wiederkehr es keine unbedingte Sicherung gibt, wo wir thun und
lassen konnten was wir wollten, um von aller Weit bekrittelt und gescholten
zu werden.

In der That haben wir seit 1866 so viel große Geschäfte vollbracht, so
viele ungewöhnliche Momente kehrten wieder, deren geschichtlicher Charakter
vom Thron herab bezeichnet werden durfte und solcher Bezeichnung von dieser
Stelle bedürfte, daß wir uns eine nüchterne Session und eine Ankündigung
regelrechter Alltagsarbeit nicht nur gefallen lassen, sondern sie willkommen
heißen können nach dem alten Spruch, daß nichts schwerer zu ertragen als
eine Reihe von schönen Tagen.

Es zeigt von dem sich nie verleugnenden Takt unserer Staatsleitung,
daß der Kaiser einem lediglich geschäftsmäßigen Eröffnungsact fern blieb. In
Ländern, wo das öffentliche Recht ohne die todten Formen einer chinesischen
Etikette nicht für gesichert gilt, läßt man die Monarchen die langweiligsten
Staatsreden vorlesen. Wir werden uns eine lebendige und gemüthvollere
Sitte auch im politischen Leben bewahren und uns daran gewöhnen, das per¬
sönliche Wort des Monarchen nur zu vernehmen, wenn der Anlaß bedeutungs¬
voll, wenn das kaiserliche Wort die Nation zu einer erhöhten Lebensäußerung
ruft oder den Abschluß einer solchen verkündet.

Was die Gegenstände anlangt, welche die gesetzgebende Thätigkeit des
Reichstags diesmal beschäftigen sollen, so befreit der Mangel politischer
Schwierigkeit, dessen sie sich zu allgemeiner Zufriedenheit erfreuen,, sie doch
nicht von technischer Schwierigkeit. Das einheitliche Militärstrafgesetzbuch
für das deutsche Reich, die Ergänzung des einheitlichen Civilstrafgesetzbuches
ist eine Aufgabe, der es an dornigen Strecken nicht gefehlt hat, als der Ent¬
wurf ausgearbeitet wurde. Es ist nun abzuwarten, ob der Reichstag sich in
die Einzelheiten der Aufgabe nochmals hineinbegeben oder vorziehen wird, den
Regierungsentwurf nach vorhergegangener Prüfung durch eine Commission im
Ganzen anzunehmen.

Auch das Reichsbeamtengesetz ist eine technische Aufgabe, über deren
Einzelheiten man viel streiten kann, wenn nicht etwa die Ansicht vorwiegt,


Vom deutschen Keichstag.

Das In- und Ausland hat sich diesmal an dem nüchtern geschäfts¬
mäßigen Ton der Eröffnungsrede unseres Reichstags erfreut. Ganze Leit¬
artikel sind diesem Thema gewidmet worden. Ein Zeichen, daß wir im Glück
sind. Der Glückliche kann thun und lassen was er will, es wird recht ge¬
funden. Dafür wollen wir auch nicht vergessen, daß es Zeiten gegeben hat,
gegen deren Wiederkehr es keine unbedingte Sicherung gibt, wo wir thun und
lassen konnten was wir wollten, um von aller Weit bekrittelt und gescholten
zu werden.

In der That haben wir seit 1866 so viel große Geschäfte vollbracht, so
viele ungewöhnliche Momente kehrten wieder, deren geschichtlicher Charakter
vom Thron herab bezeichnet werden durfte und solcher Bezeichnung von dieser
Stelle bedürfte, daß wir uns eine nüchterne Session und eine Ankündigung
regelrechter Alltagsarbeit nicht nur gefallen lassen, sondern sie willkommen
heißen können nach dem alten Spruch, daß nichts schwerer zu ertragen als
eine Reihe von schönen Tagen.

Es zeigt von dem sich nie verleugnenden Takt unserer Staatsleitung,
daß der Kaiser einem lediglich geschäftsmäßigen Eröffnungsact fern blieb. In
Ländern, wo das öffentliche Recht ohne die todten Formen einer chinesischen
Etikette nicht für gesichert gilt, läßt man die Monarchen die langweiligsten
Staatsreden vorlesen. Wir werden uns eine lebendige und gemüthvollere
Sitte auch im politischen Leben bewahren und uns daran gewöhnen, das per¬
sönliche Wort des Monarchen nur zu vernehmen, wenn der Anlaß bedeutungs¬
voll, wenn das kaiserliche Wort die Nation zu einer erhöhten Lebensäußerung
ruft oder den Abschluß einer solchen verkündet.

Was die Gegenstände anlangt, welche die gesetzgebende Thätigkeit des
Reichstags diesmal beschäftigen sollen, so befreit der Mangel politischer
Schwierigkeit, dessen sie sich zu allgemeiner Zufriedenheit erfreuen,, sie doch
nicht von technischer Schwierigkeit. Das einheitliche Militärstrafgesetzbuch
für das deutsche Reich, die Ergänzung des einheitlichen Civilstrafgesetzbuches
ist eine Aufgabe, der es an dornigen Strecken nicht gefehlt hat, als der Ent¬
wurf ausgearbeitet wurde. Es ist nun abzuwarten, ob der Reichstag sich in
die Einzelheiten der Aufgabe nochmals hineinbegeben oder vorziehen wird, den
Regierungsentwurf nach vorhergegangener Prüfung durch eine Commission im
Ganzen anzunehmen.

Auch das Reichsbeamtengesetz ist eine technische Aufgabe, über deren
Einzelheiten man viel streiten kann, wenn nicht etwa die Ansicht vorwiegt,


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[0164] Vom deutschen Keichstag. Das In- und Ausland hat sich diesmal an dem nüchtern geschäfts¬ mäßigen Ton der Eröffnungsrede unseres Reichstags erfreut. Ganze Leit¬ artikel sind diesem Thema gewidmet worden. Ein Zeichen, daß wir im Glück sind. Der Glückliche kann thun und lassen was er will, es wird recht ge¬ funden. Dafür wollen wir auch nicht vergessen, daß es Zeiten gegeben hat, gegen deren Wiederkehr es keine unbedingte Sicherung gibt, wo wir thun und lassen konnten was wir wollten, um von aller Weit bekrittelt und gescholten zu werden. In der That haben wir seit 1866 so viel große Geschäfte vollbracht, so viele ungewöhnliche Momente kehrten wieder, deren geschichtlicher Charakter vom Thron herab bezeichnet werden durfte und solcher Bezeichnung von dieser Stelle bedürfte, daß wir uns eine nüchterne Session und eine Ankündigung regelrechter Alltagsarbeit nicht nur gefallen lassen, sondern sie willkommen heißen können nach dem alten Spruch, daß nichts schwerer zu ertragen als eine Reihe von schönen Tagen. Es zeigt von dem sich nie verleugnenden Takt unserer Staatsleitung, daß der Kaiser einem lediglich geschäftsmäßigen Eröffnungsact fern blieb. In Ländern, wo das öffentliche Recht ohne die todten Formen einer chinesischen Etikette nicht für gesichert gilt, läßt man die Monarchen die langweiligsten Staatsreden vorlesen. Wir werden uns eine lebendige und gemüthvollere Sitte auch im politischen Leben bewahren und uns daran gewöhnen, das per¬ sönliche Wort des Monarchen nur zu vernehmen, wenn der Anlaß bedeutungs¬ voll, wenn das kaiserliche Wort die Nation zu einer erhöhten Lebensäußerung ruft oder den Abschluß einer solchen verkündet. Was die Gegenstände anlangt, welche die gesetzgebende Thätigkeit des Reichstags diesmal beschäftigen sollen, so befreit der Mangel politischer Schwierigkeit, dessen sie sich zu allgemeiner Zufriedenheit erfreuen,, sie doch nicht von technischer Schwierigkeit. Das einheitliche Militärstrafgesetzbuch für das deutsche Reich, die Ergänzung des einheitlichen Civilstrafgesetzbuches ist eine Aufgabe, der es an dornigen Strecken nicht gefehlt hat, als der Ent¬ wurf ausgearbeitet wurde. Es ist nun abzuwarten, ob der Reichstag sich in die Einzelheiten der Aufgabe nochmals hineinbegeben oder vorziehen wird, den Regierungsentwurf nach vorhergegangener Prüfung durch eine Commission im Ganzen anzunehmen. Auch das Reichsbeamtengesetz ist eine technische Aufgabe, über deren Einzelheiten man viel streiten kann, wenn nicht etwa die Ansicht vorwiegt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/164>, abgerufen am 22.07.2024.