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Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band.

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terisiren. Der Logosbegriff hat bislang fast nur die Theologie beschäftigt,
aber auch diese hat sich begnügt, das Verhältniß des johanneischen Logos zu
der Logoslehre des jüdischen Philosophen Philo zu ermitteln; höher hinauf
in die eigentlich griechische Philosophie schien keine Spur zu leiten. Nun
erweist Heinze die innige Abhängigkeit des alexandrinischen Juden von der
Lehre der Stoa, und führt weiter den stoischen Gedanken hinauf bis zu He-
raklit, den großen Jntuitionsphilosophen der vorsokratischen Epoche. Wir
begleiten den Begriff von seinem ersten mehr ahnenden und schauenden als
beweisenden und entwickelnden Verkünder bis zur Mystik der Neuplatoniker;
und die Geschichte dieses Begriffes erweitert sich seiner dominirenden Stellung
gemäß zu einer Geschichte der griechischen Speculation überhaupt, wenigstens
in ihrer monistischen Richtung. Denn der Logos ist der Mittelpunkt einer
monistischen Weltbetrachtung; es ist die der Welt innewohnende göttliche Ver¬
nunft, das allgewaltige Naturgesetz, das Grundwesen und die Grundkraft
aller kosmischen Entwicklung und zugleich dessen erscheinende sichtbare Offen¬
barung, der ewige Weber zugleich und das ewig werdende wechselnde Gewand
alles Lebens und Seins. Daß der Verfasser diesen Gedanken in dem langen
Zeitraum von Heraklit bis auf Aristoteles nicht weiter entwickelt findet, ist
nicht zu verwundern. Denn in bewußtem Gegensatz und Kampf gegen ihn
und doch immer unter dem Druck seines Gewichts hat sich der Dualismus
bei Plato und Aristoteles herausgebildet. Erst die Gründer der stoischen Lehre
nahmen ihn, mit eingestandener Abhängigkeit von Heraklit, wieder auf und
entwickelten ihn zu einem System der besten Welt, indem sich die panlogistisch-
pantheistische Grundanschauung mit einem consequenten Materialismus zu
vereinigen sucht. In der Darstellung dieser stoischen Lehre und derjenigen
des Philo möchten wir das Hauptverdienst dieses trefflichen Buches suchen.
Das eigene Urtheil über den philosophischen Werth dieser und der anderen
von ihm vorgetragenen Lehren übt der Verfasser mit ruhiger Unbefangenheit,
und wie er das philosophische Interesse überall neben dem historischen gleich
befriedigt, so zeigt sich in den angezogenen Analogien ein das ganze Gebiet
der Philosophie bis herab auf Schopenhauer und Hartmann umfassendes selbst¬
ständiges Urtheil.


Se.


terisiren. Der Logosbegriff hat bislang fast nur die Theologie beschäftigt,
aber auch diese hat sich begnügt, das Verhältniß des johanneischen Logos zu
der Logoslehre des jüdischen Philosophen Philo zu ermitteln; höher hinauf
in die eigentlich griechische Philosophie schien keine Spur zu leiten. Nun
erweist Heinze die innige Abhängigkeit des alexandrinischen Juden von der
Lehre der Stoa, und führt weiter den stoischen Gedanken hinauf bis zu He-
raklit, den großen Jntuitionsphilosophen der vorsokratischen Epoche. Wir
begleiten den Begriff von seinem ersten mehr ahnenden und schauenden als
beweisenden und entwickelnden Verkünder bis zur Mystik der Neuplatoniker;
und die Geschichte dieses Begriffes erweitert sich seiner dominirenden Stellung
gemäß zu einer Geschichte der griechischen Speculation überhaupt, wenigstens
in ihrer monistischen Richtung. Denn der Logos ist der Mittelpunkt einer
monistischen Weltbetrachtung; es ist die der Welt innewohnende göttliche Ver¬
nunft, das allgewaltige Naturgesetz, das Grundwesen und die Grundkraft
aller kosmischen Entwicklung und zugleich dessen erscheinende sichtbare Offen¬
barung, der ewige Weber zugleich und das ewig werdende wechselnde Gewand
alles Lebens und Seins. Daß der Verfasser diesen Gedanken in dem langen
Zeitraum von Heraklit bis auf Aristoteles nicht weiter entwickelt findet, ist
nicht zu verwundern. Denn in bewußtem Gegensatz und Kampf gegen ihn
und doch immer unter dem Druck seines Gewichts hat sich der Dualismus
bei Plato und Aristoteles herausgebildet. Erst die Gründer der stoischen Lehre
nahmen ihn, mit eingestandener Abhängigkeit von Heraklit, wieder auf und
entwickelten ihn zu einem System der besten Welt, indem sich die panlogistisch-
pantheistische Grundanschauung mit einem consequenten Materialismus zu
vereinigen sucht. In der Darstellung dieser stoischen Lehre und derjenigen
des Philo möchten wir das Hauptverdienst dieses trefflichen Buches suchen.
Das eigene Urtheil über den philosophischen Werth dieser und der anderen
von ihm vorgetragenen Lehren übt der Verfasser mit ruhiger Unbefangenheit,
und wie er das philosophische Interesse überall neben dem historischen gleich
befriedigt, so zeigt sich in den angezogenen Analogien ein das ganze Gebiet
der Philosophie bis herab auf Schopenhauer und Hartmann umfassendes selbst¬
ständiges Urtheil.


Se.


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[0163] terisiren. Der Logosbegriff hat bislang fast nur die Theologie beschäftigt, aber auch diese hat sich begnügt, das Verhältniß des johanneischen Logos zu der Logoslehre des jüdischen Philosophen Philo zu ermitteln; höher hinauf in die eigentlich griechische Philosophie schien keine Spur zu leiten. Nun erweist Heinze die innige Abhängigkeit des alexandrinischen Juden von der Lehre der Stoa, und führt weiter den stoischen Gedanken hinauf bis zu He- raklit, den großen Jntuitionsphilosophen der vorsokratischen Epoche. Wir begleiten den Begriff von seinem ersten mehr ahnenden und schauenden als beweisenden und entwickelnden Verkünder bis zur Mystik der Neuplatoniker; und die Geschichte dieses Begriffes erweitert sich seiner dominirenden Stellung gemäß zu einer Geschichte der griechischen Speculation überhaupt, wenigstens in ihrer monistischen Richtung. Denn der Logos ist der Mittelpunkt einer monistischen Weltbetrachtung; es ist die der Welt innewohnende göttliche Ver¬ nunft, das allgewaltige Naturgesetz, das Grundwesen und die Grundkraft aller kosmischen Entwicklung und zugleich dessen erscheinende sichtbare Offen¬ barung, der ewige Weber zugleich und das ewig werdende wechselnde Gewand alles Lebens und Seins. Daß der Verfasser diesen Gedanken in dem langen Zeitraum von Heraklit bis auf Aristoteles nicht weiter entwickelt findet, ist nicht zu verwundern. Denn in bewußtem Gegensatz und Kampf gegen ihn und doch immer unter dem Druck seines Gewichts hat sich der Dualismus bei Plato und Aristoteles herausgebildet. Erst die Gründer der stoischen Lehre nahmen ihn, mit eingestandener Abhängigkeit von Heraklit, wieder auf und entwickelten ihn zu einem System der besten Welt, indem sich die panlogistisch- pantheistische Grundanschauung mit einem consequenten Materialismus zu vereinigen sucht. In der Darstellung dieser stoischen Lehre und derjenigen des Philo möchten wir das Hauptverdienst dieses trefflichen Buches suchen. Das eigene Urtheil über den philosophischen Werth dieser und der anderen von ihm vorgetragenen Lehren übt der Verfasser mit ruhiger Unbefangenheit, und wie er das philosophische Interesse überall neben dem historischen gleich befriedigt, so zeigt sich in den angezogenen Analogien ein das ganze Gebiet der Philosophie bis herab auf Schopenhauer und Hartmann umfassendes selbst¬ ständiges Urtheil. Se.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 31, 1872, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341815_127395/163>, abgerufen am 22.07.2024.