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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Im ersten Augenblick war alles geblendet, die Steuerbefreiung der Armen
erschien als ein gewaltiger Fortschritt und die Aufhebung der Schlacht- und
Mahlstcuer ist von den Liberalen mit einer nicht nachlassenden Zähigkeit stets
gefordert worden. Jetzt erheben sich allerlei Bedenken, die Conservativen sehen
den Mittelstand ruinirt, die Demokraten fürchten eine Verkürzung des Wahl¬
rechts. Die Spenersche Zeitung und die Volkszeitung machen gleichzeitig
Opposition. Das sagt Alles.

In der That ist zum Beispiel für Berlin, das doch sehr ins Gewicht
sällt. die Finanzreform sehr bedenklich. Die Aufhebung der Mahl- und Schlacht¬
steuer und die Steuerbefreiung der ärmsten Klasse ist eine Prämie auf den
Zuzug gerade der Armen, während noch ganz vor Kurzem die Behörden sich
sehr mit Recht weigerten eine solche Prämie dadurch auszusetzen, daß sie selbst
für Abhilfe der Wohnungsnoth sorgten.

Das Abgeordnetenhaus wird freilich nicht zurückweisen, dazu ist es zu
sehr engagirt. Es wird sogar den großen Städten noch die ihnen durch das
Gesetz erlassene Facultät auf Forterhebung der Schlachtsteuer streichen. Dann
wird das Herrenhaus ein Einsehen haben und sich den stillen Dank so manches
Mannes verdienen, der sonst zu seinen Gegnern gehört und der dann denken
wird, wie es im Lustspiel heißt: Einmal hat er's doch gut gemacht.


o. "U.


Ile Beziehungen zwischen Deutschland und Kuszland.

Der Trinkspruch, welchen der Kaiser Alexander am 8. December zu Se.
Petersburg beim Se. Gevrgsfest auf den Kaiser von Deutschland und auf
die anderen Ritter des Se. Gcorgsordens von der deutschen Armee ausgebracht,
hat in ganz Europa die Ueberzeugung hervorgerufen, daß nur bei dem wirk¬
lichen Bestehen inniger Freundschaftsbande der Herrscher eines großen Staates
so von einem anderen Herrscher und seiner Armee sprechen kann. Kein Zweifel
hat sich in ganz Europa geregt, daß hier nicht Worte und Artigkeiten, sondern
der volle Ernst einer wichtigen Thatsache vorliege. Hin und wieder hat einer
der unermüdlichen Feinde Deutschlands auch bei dieser Gelegenheit die An¬
nahme hervorgesucht, die russisch-deutsche Freundschaft beruhe nur auf der
persönlichen Sympathie der beiden jetzigen Kaiser. Daran knüpft sich
dann die bekannte Erzählung von dem Deutschenhaß des russischen Thron¬
folgers.


Im ersten Augenblick war alles geblendet, die Steuerbefreiung der Armen
erschien als ein gewaltiger Fortschritt und die Aufhebung der Schlacht- und
Mahlstcuer ist von den Liberalen mit einer nicht nachlassenden Zähigkeit stets
gefordert worden. Jetzt erheben sich allerlei Bedenken, die Conservativen sehen
den Mittelstand ruinirt, die Demokraten fürchten eine Verkürzung des Wahl¬
rechts. Die Spenersche Zeitung und die Volkszeitung machen gleichzeitig
Opposition. Das sagt Alles.

In der That ist zum Beispiel für Berlin, das doch sehr ins Gewicht
sällt. die Finanzreform sehr bedenklich. Die Aufhebung der Mahl- und Schlacht¬
steuer und die Steuerbefreiung der ärmsten Klasse ist eine Prämie auf den
Zuzug gerade der Armen, während noch ganz vor Kurzem die Behörden sich
sehr mit Recht weigerten eine solche Prämie dadurch auszusetzen, daß sie selbst
für Abhilfe der Wohnungsnoth sorgten.

Das Abgeordnetenhaus wird freilich nicht zurückweisen, dazu ist es zu
sehr engagirt. Es wird sogar den großen Städten noch die ihnen durch das
Gesetz erlassene Facultät auf Forterhebung der Schlachtsteuer streichen. Dann
wird das Herrenhaus ein Einsehen haben und sich den stillen Dank so manches
Mannes verdienen, der sonst zu seinen Gegnern gehört und der dann denken
wird, wie es im Lustspiel heißt: Einmal hat er's doch gut gemacht.


o. "U.


Ile Beziehungen zwischen Deutschland und Kuszland.

Der Trinkspruch, welchen der Kaiser Alexander am 8. December zu Se.
Petersburg beim Se. Gevrgsfest auf den Kaiser von Deutschland und auf
die anderen Ritter des Se. Gcorgsordens von der deutschen Armee ausgebracht,
hat in ganz Europa die Ueberzeugung hervorgerufen, daß nur bei dem wirk¬
lichen Bestehen inniger Freundschaftsbande der Herrscher eines großen Staates
so von einem anderen Herrscher und seiner Armee sprechen kann. Kein Zweifel
hat sich in ganz Europa geregt, daß hier nicht Worte und Artigkeiten, sondern
der volle Ernst einer wichtigen Thatsache vorliege. Hin und wieder hat einer
der unermüdlichen Feinde Deutschlands auch bei dieser Gelegenheit die An¬
nahme hervorgesucht, die russisch-deutsche Freundschaft beruhe nur auf der
persönlichen Sympathie der beiden jetzigen Kaiser. Daran knüpft sich
dann die bekannte Erzählung von dem Deutschenhaß des russischen Thron¬
folgers.


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[0486] Im ersten Augenblick war alles geblendet, die Steuerbefreiung der Armen erschien als ein gewaltiger Fortschritt und die Aufhebung der Schlacht- und Mahlstcuer ist von den Liberalen mit einer nicht nachlassenden Zähigkeit stets gefordert worden. Jetzt erheben sich allerlei Bedenken, die Conservativen sehen den Mittelstand ruinirt, die Demokraten fürchten eine Verkürzung des Wahl¬ rechts. Die Spenersche Zeitung und die Volkszeitung machen gleichzeitig Opposition. Das sagt Alles. In der That ist zum Beispiel für Berlin, das doch sehr ins Gewicht sällt. die Finanzreform sehr bedenklich. Die Aufhebung der Mahl- und Schlacht¬ steuer und die Steuerbefreiung der ärmsten Klasse ist eine Prämie auf den Zuzug gerade der Armen, während noch ganz vor Kurzem die Behörden sich sehr mit Recht weigerten eine solche Prämie dadurch auszusetzen, daß sie selbst für Abhilfe der Wohnungsnoth sorgten. Das Abgeordnetenhaus wird freilich nicht zurückweisen, dazu ist es zu sehr engagirt. Es wird sogar den großen Städten noch die ihnen durch das Gesetz erlassene Facultät auf Forterhebung der Schlachtsteuer streichen. Dann wird das Herrenhaus ein Einsehen haben und sich den stillen Dank so manches Mannes verdienen, der sonst zu seinen Gegnern gehört und der dann denken wird, wie es im Lustspiel heißt: Einmal hat er's doch gut gemacht. o. "U. Ile Beziehungen zwischen Deutschland und Kuszland. Der Trinkspruch, welchen der Kaiser Alexander am 8. December zu Se. Petersburg beim Se. Gevrgsfest auf den Kaiser von Deutschland und auf die anderen Ritter des Se. Gcorgsordens von der deutschen Armee ausgebracht, hat in ganz Europa die Ueberzeugung hervorgerufen, daß nur bei dem wirk¬ lichen Bestehen inniger Freundschaftsbande der Herrscher eines großen Staates so von einem anderen Herrscher und seiner Armee sprechen kann. Kein Zweifel hat sich in ganz Europa geregt, daß hier nicht Worte und Artigkeiten, sondern der volle Ernst einer wichtigen Thatsache vorliege. Hin und wieder hat einer der unermüdlichen Feinde Deutschlands auch bei dieser Gelegenheit die An¬ nahme hervorgesucht, die russisch-deutsche Freundschaft beruhe nur auf der persönlichen Sympathie der beiden jetzigen Kaiser. Daran knüpft sich dann die bekannte Erzählung von dem Deutschenhaß des russischen Thron¬ folgers.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/486>, abgerufen am 05.02.2025.