Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.An saurer MfelW. Am 17. September fand die Eröffnung der Alpenbahn statt, welche den Die Bahn verbindet das eben vollendete Königreich Italien mit der jun¬ Grmgbotc" II. 1871. 74
An saurer MfelW. Am 17. September fand die Eröffnung der Alpenbahn statt, welche den Die Bahn verbindet das eben vollendete Königreich Italien mit der jun¬ Grmgbotc» II. 1871. 74
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192333"/> </div> <div n="1"> <head> An saurer MfelW.</head><lb/> <p xml:id="ID_120"> Am 17. September fand die Eröffnung der Alpenbahn statt, welche den<lb/> Mont Cenis durchschneidet. Ein großes Werk menschlicher Kunst ward hier¬<lb/> mit vollendet. Wer erinnert sich nicht der Schwierigkeiten der Durchbohrung,<lb/> wer nicht der Befürchtungen, die man hinsichtlich der Luftbeschaffenheit an<lb/> einen Tunnel knüpfte, den ein Eisenbahnzug in frühestens zwanzig Minuten zurück-<lb/> ^ge; ein Tunnel, dessen Wände und Wölbungen von einer Stärke wie die keines<lb/> ähnlichen Bauwerkes durch einen der mächtigsten Berge Europa's gebildet werden!</p><lb/> <p xml:id="ID_121" next="#ID_122"> Die Bahn verbindet das eben vollendete Königreich Italien mit der jun¬<lb/> gen Republik Frankreich, deren Jugend sich freilich nur auf die Form, nicht<lb/> auf die Substanz bezieht. Auch diese Form ist bekanntlich keine neue, etwa<lb/> aus dem Verjüngungsbrunnen geschöpfte Gestalt, sondern ein Costüm, das<lb/> zum dritten Male aus der Garderobe der Vergangenheit herbeigeholt wird.<lb/> Die Italiener, zum ersten Male wieder seit dem Untergang des weströmischen<lb/> Reiches ein politisch einiges Volk, hoffen von dieser Einheit das Wunder der<lb/> Verjüngung. Unter den Franzosen sind viele, welche das Costüm der Repu¬<lb/> blik gern wieder in den Schrank der historischen Reliquien hängen möch¬<lb/> ten, noch ehe der Staub der Antiquitätenkammer herausgeschüttelt ist. Wüßte<lb/> man nur, in welchem Costüme sich Frankreich behaglich fühlen, sich sicher<lb/> und stattlich ausnehmen wird! Wie dem sei, es war Frankreich, die Repu¬<lb/> blik, welcher die Aufgabe zufiel, das junge Italien bei Gelegenheit des ge¬<lb/> lungenen Alpendurchstichs als doppelt eng verbundenen Nachbar zu begrüßen.<lb/> Das war kein leichter Fall. Diese Republik des heutigen Frankreich wird<lb/> nicht von Republikanern regiert, und alle geistreichen Franzosen sind darüber<lb/> einig, daß ihre Republik gerade nur so lange möglich sei, als die Republi¬<lb/> kaner davon bleiben oder als den Nichtrepublikanern gelingt, sie davon zu<lb/> halten. Die Regierer dieser nichtrepublikanischen Republik also hegen ein<lb/> starkes Mitgefühl für das Papstthum, und haben außerdem eine starke Neigung<lb/> für schwache, in sich zersplitterte Nachbarvölker. Das Königreich Italien hat<lb/> die Zersplitterung des italienischen Volkes vernichtet und dem Papstthum sei¬<lb/> nen weltlichen Besitz abgenommen. Das letztere konnte nur geschehen, weil<lb/> deutsche Waffen den französischen Arm zu Boden geschlagen, der über das<lb/> Papstthum zur Verewigung von Italiens Schwäche gebreitet war. Niemand,<lb/> wie der jetzige Präsident der französischen Republik, der kleine vielberedte Herr<lb/> Thiers, hat so lebhaft bedauert, daß Italien seine für Frankreich so vor¬<lb/> theilhafte Zersplitterung abgethan, und daß das Papstthum, dieses alte, nicht<lb/> immer, aber oft beherrschte Werkzeug der französischen Politik, das noch jedem<lb/> französischen Staatsmann begehrenswerth erschienen, durch die Bildung des</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grmgbotc» II. 1871. 74</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
An saurer MfelW.
Am 17. September fand die Eröffnung der Alpenbahn statt, welche den
Mont Cenis durchschneidet. Ein großes Werk menschlicher Kunst ward hier¬
mit vollendet. Wer erinnert sich nicht der Schwierigkeiten der Durchbohrung,
wer nicht der Befürchtungen, die man hinsichtlich der Luftbeschaffenheit an
einen Tunnel knüpfte, den ein Eisenbahnzug in frühestens zwanzig Minuten zurück-
^ge; ein Tunnel, dessen Wände und Wölbungen von einer Stärke wie die keines
ähnlichen Bauwerkes durch einen der mächtigsten Berge Europa's gebildet werden!
Die Bahn verbindet das eben vollendete Königreich Italien mit der jun¬
gen Republik Frankreich, deren Jugend sich freilich nur auf die Form, nicht
auf die Substanz bezieht. Auch diese Form ist bekanntlich keine neue, etwa
aus dem Verjüngungsbrunnen geschöpfte Gestalt, sondern ein Costüm, das
zum dritten Male aus der Garderobe der Vergangenheit herbeigeholt wird.
Die Italiener, zum ersten Male wieder seit dem Untergang des weströmischen
Reiches ein politisch einiges Volk, hoffen von dieser Einheit das Wunder der
Verjüngung. Unter den Franzosen sind viele, welche das Costüm der Repu¬
blik gern wieder in den Schrank der historischen Reliquien hängen möch¬
ten, noch ehe der Staub der Antiquitätenkammer herausgeschüttelt ist. Wüßte
man nur, in welchem Costüme sich Frankreich behaglich fühlen, sich sicher
und stattlich ausnehmen wird! Wie dem sei, es war Frankreich, die Repu¬
blik, welcher die Aufgabe zufiel, das junge Italien bei Gelegenheit des ge¬
lungenen Alpendurchstichs als doppelt eng verbundenen Nachbar zu begrüßen.
Das war kein leichter Fall. Diese Republik des heutigen Frankreich wird
nicht von Republikanern regiert, und alle geistreichen Franzosen sind darüber
einig, daß ihre Republik gerade nur so lange möglich sei, als die Republi¬
kaner davon bleiben oder als den Nichtrepublikanern gelingt, sie davon zu
halten. Die Regierer dieser nichtrepublikanischen Republik also hegen ein
starkes Mitgefühl für das Papstthum, und haben außerdem eine starke Neigung
für schwache, in sich zersplitterte Nachbarvölker. Das Königreich Italien hat
die Zersplitterung des italienischen Volkes vernichtet und dem Papstthum sei¬
nen weltlichen Besitz abgenommen. Das letztere konnte nur geschehen, weil
deutsche Waffen den französischen Arm zu Boden geschlagen, der über das
Papstthum zur Verewigung von Italiens Schwäche gebreitet war. Niemand,
wie der jetzige Präsident der französischen Republik, der kleine vielberedte Herr
Thiers, hat so lebhaft bedauert, daß Italien seine für Frankreich so vor¬
theilhafte Zersplitterung abgethan, und daß das Papstthum, dieses alte, nicht
immer, aber oft beherrschte Werkzeug der französischen Politik, das noch jedem
französischen Staatsmann begehrenswerth erschienen, durch die Bildung des
Grmgbotc» II. 1871. 74
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |