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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.

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Das ist aber das Wenigste,

Wir glauben, die preußische Staatsregierung wird den Weg betreten,
welcher zur Herstellung der Unabhängigkeit des Staates von der Kirche führt.
Dazu gehören Civilstandsregister für Geburt, Eheschließung und
Tod. Dazu gehören B egrab nißstätten, welche der Obhut bürgerlicher Be¬
hörden anvertraut sind. Dazu gehört vor Allem die Durchbildung des staat¬
lichen Charakters der Schule. Mit dem Gegensatz zwischen confessio-
neller und confessionsloser Schule ist eine Menge leeres Stroh gedroschen
worden. Die wahreThesis ist aber weder die confessionelle noch die confessions-
lose, sondern die königlich preußische Staatsschule. In der Staats-
fchule kann der Religionsunterricht confessionell ertheilt werden. Die Auf¬
sicht über die ganze Schule aber, einschließlich des Religionsunterrichts, gebührt den
Organen des Staates. Der Staat kann seine Schulinspectoren auch unter den
Geistlichen der verschiedenen Konfessionen wählen, aber unter der Bedingung
gewährter Bürgschaft, daß die Inspection nach den Pflichten und Gesichtspunkten
des Staats geführt wird. Es können Schulen errichtet werden, die nicht
vom Staat geleitet werden, aber sie müssen sich einer negativen Staatsauf¬
sicht unterwerfen, und die Bildung, welche zu bürgerlichen und staatlichen
Stellungen befähigt, muß der Bildung entsprechen, welche die Staatsschule
gewährt.

Dies sind ungefähr die Grundzüge, auf denen die erste Stufe der Selbst-
ständigkeit des Staates zu errichten ist. Wir glauben nicht viel weniger von
den Vorlagen erwarten zu dürfen,, welche die preußische Regierung jetzt be¬
schäftigen. Nach dem bisherigen Stand der Dinge ist dies eine gewaltige
That, nach der inneren Natur der Aufgabe dagegen ein erster und mäßiger
Schritt.




Ms dem englischen Leben.
II. Baby-Farming und Kindermord in England.

In demselben Maße, wie der Engländer meint, daß er, weil er die meiste
Seife verbrauche, die reinlichste Creatur der Welt sei, so ist er auch steif und
fest überzeugt, daß die englische Gesellschaft die frömmste und moralischste
hienieden sei. In diesem seinem Pharisäerglauben, in welchem er an seine
Brust schlägt und Gott dankt, daß er nicht so ist, "wie andere Leute," wandelt
er stolz einher, moralisirt, philosophirt, humanisirt, kritisirt seine Nachbarn,


Das ist aber das Wenigste,

Wir glauben, die preußische Staatsregierung wird den Weg betreten,
welcher zur Herstellung der Unabhängigkeit des Staates von der Kirche führt.
Dazu gehören Civilstandsregister für Geburt, Eheschließung und
Tod. Dazu gehören B egrab nißstätten, welche der Obhut bürgerlicher Be¬
hörden anvertraut sind. Dazu gehört vor Allem die Durchbildung des staat¬
lichen Charakters der Schule. Mit dem Gegensatz zwischen confessio-
neller und confessionsloser Schule ist eine Menge leeres Stroh gedroschen
worden. Die wahreThesis ist aber weder die confessionelle noch die confessions-
lose, sondern die königlich preußische Staatsschule. In der Staats-
fchule kann der Religionsunterricht confessionell ertheilt werden. Die Auf¬
sicht über die ganze Schule aber, einschließlich des Religionsunterrichts, gebührt den
Organen des Staates. Der Staat kann seine Schulinspectoren auch unter den
Geistlichen der verschiedenen Konfessionen wählen, aber unter der Bedingung
gewährter Bürgschaft, daß die Inspection nach den Pflichten und Gesichtspunkten
des Staats geführt wird. Es können Schulen errichtet werden, die nicht
vom Staat geleitet werden, aber sie müssen sich einer negativen Staatsauf¬
sicht unterwerfen, und die Bildung, welche zu bürgerlichen und staatlichen
Stellungen befähigt, muß der Bildung entsprechen, welche die Staatsschule
gewährt.

Dies sind ungefähr die Grundzüge, auf denen die erste Stufe der Selbst-
ständigkeit des Staates zu errichten ist. Wir glauben nicht viel weniger von
den Vorlagen erwarten zu dürfen,, welche die preußische Regierung jetzt be¬
schäftigen. Nach dem bisherigen Stand der Dinge ist dies eine gewaltige
That, nach der inneren Natur der Aufgabe dagegen ein erster und mäßiger
Schritt.




Ms dem englischen Leben.
II. Baby-Farming und Kindermord in England.

In demselben Maße, wie der Engländer meint, daß er, weil er die meiste
Seife verbrauche, die reinlichste Creatur der Welt sei, so ist er auch steif und
fest überzeugt, daß die englische Gesellschaft die frömmste und moralischste
hienieden sei. In diesem seinem Pharisäerglauben, in welchem er an seine
Brust schlägt und Gott dankt, daß er nicht so ist, „wie andere Leute," wandelt
er stolz einher, moralisirt, philosophirt, humanisirt, kritisirt seine Nachbarn,


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[0282] Das ist aber das Wenigste, Wir glauben, die preußische Staatsregierung wird den Weg betreten, welcher zur Herstellung der Unabhängigkeit des Staates von der Kirche führt. Dazu gehören Civilstandsregister für Geburt, Eheschließung und Tod. Dazu gehören B egrab nißstätten, welche der Obhut bürgerlicher Be¬ hörden anvertraut sind. Dazu gehört vor Allem die Durchbildung des staat¬ lichen Charakters der Schule. Mit dem Gegensatz zwischen confessio- neller und confessionsloser Schule ist eine Menge leeres Stroh gedroschen worden. Die wahreThesis ist aber weder die confessionelle noch die confessions- lose, sondern die königlich preußische Staatsschule. In der Staats- fchule kann der Religionsunterricht confessionell ertheilt werden. Die Auf¬ sicht über die ganze Schule aber, einschließlich des Religionsunterrichts, gebührt den Organen des Staates. Der Staat kann seine Schulinspectoren auch unter den Geistlichen der verschiedenen Konfessionen wählen, aber unter der Bedingung gewährter Bürgschaft, daß die Inspection nach den Pflichten und Gesichtspunkten des Staats geführt wird. Es können Schulen errichtet werden, die nicht vom Staat geleitet werden, aber sie müssen sich einer negativen Staatsauf¬ sicht unterwerfen, und die Bildung, welche zu bürgerlichen und staatlichen Stellungen befähigt, muß der Bildung entsprechen, welche die Staatsschule gewährt. Dies sind ungefähr die Grundzüge, auf denen die erste Stufe der Selbst- ständigkeit des Staates zu errichten ist. Wir glauben nicht viel weniger von den Vorlagen erwarten zu dürfen,, welche die preußische Regierung jetzt be¬ schäftigen. Nach dem bisherigen Stand der Dinge ist dies eine gewaltige That, nach der inneren Natur der Aufgabe dagegen ein erster und mäßiger Schritt. Ms dem englischen Leben. II. Baby-Farming und Kindermord in England. In demselben Maße, wie der Engländer meint, daß er, weil er die meiste Seife verbrauche, die reinlichste Creatur der Welt sei, so ist er auch steif und fest überzeugt, daß die englische Gesellschaft die frömmste und moralischste hienieden sei. In diesem seinem Pharisäerglauben, in welchem er an seine Brust schlägt und Gott dankt, daß er nicht so ist, „wie andere Leute," wandelt er stolz einher, moralisirt, philosophirt, humanisirt, kritisirt seine Nachbarn,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_192299/282>, abgerufen am 05.02.2025.