Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. II. Band.es nicht halbe Maßregeln sind, denen wir diesmal entgegenzusehen haben. Welcherlei Maßregeln aber können es sein, die in Gestalt von Gesetzes¬ In dem Vortrag, welchen im vorigen Monat der bayrische Staats¬ Man wird schwerlich fehl gehen, wenn man in diesen Erklärungen auch Wir glauben, die kirchlichen Vorlagen, welche dem Landtag zugehen sollen, Grenzboten II. 1871. 105)
es nicht halbe Maßregeln sind, denen wir diesmal entgegenzusehen haben. Welcherlei Maßregeln aber können es sein, die in Gestalt von Gesetzes¬ In dem Vortrag, welchen im vorigen Monat der bayrische Staats¬ Man wird schwerlich fehl gehen, wenn man in diesen Erklärungen auch Wir glauben, die kirchlichen Vorlagen, welche dem Landtag zugehen sollen, Grenzboten II. 1871. 105)
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/192582"/> <p xml:id="ID_1077" prev="#ID_1076"> es nicht halbe Maßregeln sind, denen wir diesmal entgegenzusehen haben.<lb/> Solcher Maßregeln wird die öffentliche Meinung sich überdies niemals ver¬<lb/> sehen, wenn sie wahrnimmt, daß Fürst Bismarck der Vorbereitung eines Ge¬<lb/> setzentwurfs seinen thätigen Antheil zuwendet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1078"> Welcherlei Maßregeln aber können es sein, die in Gestalt von Gesetzes¬<lb/> vorlagen jetzt an den Landtag kommen sollen? So fragt sich Jeder, der die<lb/> ungewöhnliche Bedeutung der kirchlichen Fragen gerade im gegenwärtigen<lb/> Moment ermißt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1079"> In dem Vortrag, welchen im vorigen Monat der bayrische Staats¬<lb/> minister von Lutz dem dortigen Abgeordnetenhause gab, war in schlagender<lb/> Weise der staatsgefährliche Charakter des seit dem Concilsbeschlusse vom<lb/> 18. Juli 1870 der katholischen Kirche aufgedrungenen Dogmas von der per¬<lb/> sönlichen Unfehlbarkeit des Papstes beleuchtet. Zugleich aber fügte der bay¬<lb/> rische Staatsmann hinzu, daß die geltende Gesetzgebung der Regierung gegen<lb/> diese Gefahr keine Waffen leihe. Eintretenden Falles müsse die Regierung<lb/> mit Hilfe der Landesvertretung sich die gesetzlichen Waffen erst bereiten. Da¬<lb/> gegen sei die Regierung in der Lage, allen katholischen Staatsangehörigen<lb/> geistlichen und weltlichen Standes, welche die Lehre von der Unfehlbarkeit des<lb/> Papstes nicht anerkennen, den vollen in den Gesetzen des Landes begründeten<lb/> Schutz gegen den Mißbrauch geistlicher Gewalt zu gewähren. Die Negierung<lb/> sei entschlossen, das religiöse Erziehungsrecht der Eltern gegenüber dem Dogma<lb/> von der Unfehlbarkeit des Papstes anzuerkennen. Wenn von Anhängern der<lb/> alten katholischen Lehre Gemeinden gebildet werden sollten, so gedenke die<lb/> Staatsregierung diese Gemeinden als katholische anzuerkennen, und ihnen wie<lb/> ihren Geistlichen alle jene Rechte einzuräumen, welche sie gehabt haben würden,<lb/> wenn die Gemeindebildung vor dem 18. Juli 1870 vor sich gegangen wäre.<lb/> Fest entschlossen, jeden Eingriff in die Rechte des Staates mit den verfassungs¬<lb/> mäßigen Mitteln abzuwehren, erkläre sich die bayrische Staatsregierung be¬<lb/> reit, die Hand zu Gesetzen zu bieten, durch welche die volle gegenseitige Un¬<lb/> abhängigkeit sowohl des Staates gegenüber der Kirche, als umgekehrt be¬<lb/> gründet werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1080"> Man wird schwerlich fehl gehen, wenn man in diesen Erklärungen auch<lb/> die Grundzüge für das nächste Vorgehen der preußischen Regierung findet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1081"> Wir glauben, die kirchlichen Vorlagen, welche dem Landtag zugehen sollen,<lb/> werden vor Allem darauf Bedacht nehmen, den kirchlichen Rechten der Alt¬<lb/> katholiken den Schutz des Staates zu sichern, und zu verhüten, daß die Alt¬<lb/> katholiken durch die vatikanische Neuerung des vorigen Jahres, deren Annahme<lb/> ihr Gewissen verbietet, um die Rechte einer vom Staat anerkannten, ja des<lb/> Staatsschutzes in einer besonderen Weise theilhaftigen Kirchengemeinschaft ge¬<lb/> bracht werden.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II. 1871. 105)</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0281]
es nicht halbe Maßregeln sind, denen wir diesmal entgegenzusehen haben.
Solcher Maßregeln wird die öffentliche Meinung sich überdies niemals ver¬
sehen, wenn sie wahrnimmt, daß Fürst Bismarck der Vorbereitung eines Ge¬
setzentwurfs seinen thätigen Antheil zuwendet.
Welcherlei Maßregeln aber können es sein, die in Gestalt von Gesetzes¬
vorlagen jetzt an den Landtag kommen sollen? So fragt sich Jeder, der die
ungewöhnliche Bedeutung der kirchlichen Fragen gerade im gegenwärtigen
Moment ermißt.
In dem Vortrag, welchen im vorigen Monat der bayrische Staats¬
minister von Lutz dem dortigen Abgeordnetenhause gab, war in schlagender
Weise der staatsgefährliche Charakter des seit dem Concilsbeschlusse vom
18. Juli 1870 der katholischen Kirche aufgedrungenen Dogmas von der per¬
sönlichen Unfehlbarkeit des Papstes beleuchtet. Zugleich aber fügte der bay¬
rische Staatsmann hinzu, daß die geltende Gesetzgebung der Regierung gegen
diese Gefahr keine Waffen leihe. Eintretenden Falles müsse die Regierung
mit Hilfe der Landesvertretung sich die gesetzlichen Waffen erst bereiten. Da¬
gegen sei die Regierung in der Lage, allen katholischen Staatsangehörigen
geistlichen und weltlichen Standes, welche die Lehre von der Unfehlbarkeit des
Papstes nicht anerkennen, den vollen in den Gesetzen des Landes begründeten
Schutz gegen den Mißbrauch geistlicher Gewalt zu gewähren. Die Negierung
sei entschlossen, das religiöse Erziehungsrecht der Eltern gegenüber dem Dogma
von der Unfehlbarkeit des Papstes anzuerkennen. Wenn von Anhängern der
alten katholischen Lehre Gemeinden gebildet werden sollten, so gedenke die
Staatsregierung diese Gemeinden als katholische anzuerkennen, und ihnen wie
ihren Geistlichen alle jene Rechte einzuräumen, welche sie gehabt haben würden,
wenn die Gemeindebildung vor dem 18. Juli 1870 vor sich gegangen wäre.
Fest entschlossen, jeden Eingriff in die Rechte des Staates mit den verfassungs¬
mäßigen Mitteln abzuwehren, erkläre sich die bayrische Staatsregierung be¬
reit, die Hand zu Gesetzen zu bieten, durch welche die volle gegenseitige Un¬
abhängigkeit sowohl des Staates gegenüber der Kirche, als umgekehrt be¬
gründet werde.
Man wird schwerlich fehl gehen, wenn man in diesen Erklärungen auch
die Grundzüge für das nächste Vorgehen der preußischen Regierung findet.
Wir glauben, die kirchlichen Vorlagen, welche dem Landtag zugehen sollen,
werden vor Allem darauf Bedacht nehmen, den kirchlichen Rechten der Alt¬
katholiken den Schutz des Staates zu sichern, und zu verhüten, daß die Alt¬
katholiken durch die vatikanische Neuerung des vorigen Jahres, deren Annahme
ihr Gewissen verbietet, um die Rechte einer vom Staat anerkannten, ja des
Staatsschutzes in einer besonderen Weise theilhaftigen Kirchengemeinschaft ge¬
bracht werden.
Grenzboten II. 1871. 105)
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