Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dem Hammany-Mng.

Die Republik ist die beste Staatsverfassung -- auch für den Geldbeutel
der Staatsangehörigen. Diese oft gehörte und immer wiederkehrende Be¬
hauptung paßt vielleicht auf die Republiken über dem Monde, z. B. auf die
des Jupiters, des Uranus oder eines noch nicht entdeckten Himmelskörpers.
Auf die Republiken unterm Monde paßt sie nicht, auch nicht auf die viel¬
gepriesenen Freistaaten der großen Union Amerika's. Zahlen beweisen, also
lassen wir sie hier sprechen und uns ein Beispiel erzählen, vor dem vielleicht
selbst Papa Kolb stutzen wird.

In Neuyork ist die Verwaltung der Stadt schon seit Jahren in den Hän¬
den der Demokraten, und die Demokraten wieder sind in den Händen eines
Clubs oder einer Verbindung, die sich Tammany-Gesellschaft oder der
Tammanny-Ring nennt. Diese Verbrüderung reicht ihrem Ursprung nach
bis in das vorletzte Decennium des vorigen Jahrhunderts zurück, hat seit
1811 in Neuyork, wohin sie von Philadelphia verpflanzt wurde, ein eignes
Logenhaus, die Tammany-Hall, und ist der Kern und Mittelpunkt für die
gesammte demokratische Partei nicht nur im Staate Neuyork, sondern in der
ganzen Union. Sonst weiß man von ihr nur, daß sie von unsichtbaren
Obern die Parole empfängt, und daß ihre Organisation die Nachahmung
eines indianischen Nationenbundes ist. Sie zerfällt nach derselben in dreizehn
Stämme oder Völkerschaften, die unter ebenso vielen Sachems und einem
Großsachem stehen. Sie hat ein "Berathungsfeuer", dessen Vorsitzender den
Titel "Vater" führt, und bei dem man sich eines indianischen Rituals be¬
dient, in welchem die Symbole des Tomahawk und des Kalumet eine Rolle
spielen. Ihre Loge heißt "Wigwam", ihre Zeitrechnung ist die der Roth¬
häute, ja bei feierlichen Gelegenheiten zogen früher die Söhne Sanct Tam-
many's sogar in der Tracht der Wilden auf. Dieser Bund ist in der Ge¬
schichte der politischen Parteien Amerika's sehr einflußreich gewesen, und mehrere
bedeutende Staatsmänner, z. B. Wheaton, der frühere amerikanische Gesandte
in Berlin, gehörten ihm an. Die Politik ist aber für die Gesellschaft in der
Tammany-Hall nicht die Hauptsache. Ihr Zweck ist vielmehr die Besetzung
aller direct oder indirect einträglichen Stellen in der Stadt und im Staate
mit ihren Affiliirten, die Versorgung der letzteren mit gutem Gehalt und
Verdienst und die Ausbeutung der öffentlichen Kassen bei Bauten und andern
Unternehmungen zu gemeinnützigen Zwecken. Mit welcher unerhörten Drei¬
stigkeit hier Unterschleife getrieben werden, ist jetzt wieder einmal in einer
Weise zu Tage getreten, die des Schlimmsten spottet, was in dieser Beziehung
auf dem Sündenconto mancher monarchischen Regierung zu lesen ist, und vor


Aus dem Hammany-Mng.

Die Republik ist die beste Staatsverfassung — auch für den Geldbeutel
der Staatsangehörigen. Diese oft gehörte und immer wiederkehrende Be¬
hauptung paßt vielleicht auf die Republiken über dem Monde, z. B. auf die
des Jupiters, des Uranus oder eines noch nicht entdeckten Himmelskörpers.
Auf die Republiken unterm Monde paßt sie nicht, auch nicht auf die viel¬
gepriesenen Freistaaten der großen Union Amerika's. Zahlen beweisen, also
lassen wir sie hier sprechen und uns ein Beispiel erzählen, vor dem vielleicht
selbst Papa Kolb stutzen wird.

In Neuyork ist die Verwaltung der Stadt schon seit Jahren in den Hän¬
den der Demokraten, und die Demokraten wieder sind in den Händen eines
Clubs oder einer Verbindung, die sich Tammany-Gesellschaft oder der
Tammanny-Ring nennt. Diese Verbrüderung reicht ihrem Ursprung nach
bis in das vorletzte Decennium des vorigen Jahrhunderts zurück, hat seit
1811 in Neuyork, wohin sie von Philadelphia verpflanzt wurde, ein eignes
Logenhaus, die Tammany-Hall, und ist der Kern und Mittelpunkt für die
gesammte demokratische Partei nicht nur im Staate Neuyork, sondern in der
ganzen Union. Sonst weiß man von ihr nur, daß sie von unsichtbaren
Obern die Parole empfängt, und daß ihre Organisation die Nachahmung
eines indianischen Nationenbundes ist. Sie zerfällt nach derselben in dreizehn
Stämme oder Völkerschaften, die unter ebenso vielen Sachems und einem
Großsachem stehen. Sie hat ein „Berathungsfeuer", dessen Vorsitzender den
Titel „Vater" führt, und bei dem man sich eines indianischen Rituals be¬
dient, in welchem die Symbole des Tomahawk und des Kalumet eine Rolle
spielen. Ihre Loge heißt „Wigwam", ihre Zeitrechnung ist die der Roth¬
häute, ja bei feierlichen Gelegenheiten zogen früher die Söhne Sanct Tam-
many's sogar in der Tracht der Wilden auf. Dieser Bund ist in der Ge¬
schichte der politischen Parteien Amerika's sehr einflußreich gewesen, und mehrere
bedeutende Staatsmänner, z. B. Wheaton, der frühere amerikanische Gesandte
in Berlin, gehörten ihm an. Die Politik ist aber für die Gesellschaft in der
Tammany-Hall nicht die Hauptsache. Ihr Zweck ist vielmehr die Besetzung
aller direct oder indirect einträglichen Stellen in der Stadt und im Staate
mit ihren Affiliirten, die Versorgung der letzteren mit gutem Gehalt und
Verdienst und die Ausbeutung der öffentlichen Kassen bei Bauten und andern
Unternehmungen zu gemeinnützigen Zwecken. Mit welcher unerhörten Drei¬
stigkeit hier Unterschleife getrieben werden, ist jetzt wieder einmal in einer
Weise zu Tage getreten, die des Schlimmsten spottet, was in dieser Beziehung
auf dem Sündenconto mancher monarchischen Regierung zu lesen ist, und vor


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0476" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126752"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Aus dem Hammany-Mng.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1441"> Die Republik ist die beste Staatsverfassung &#x2014; auch für den Geldbeutel<lb/>
der Staatsangehörigen. Diese oft gehörte und immer wiederkehrende Be¬<lb/>
hauptung paßt vielleicht auf die Republiken über dem Monde, z. B. auf die<lb/>
des Jupiters, des Uranus oder eines noch nicht entdeckten Himmelskörpers.<lb/>
Auf die Republiken unterm Monde paßt sie nicht, auch nicht auf die viel¬<lb/>
gepriesenen Freistaaten der großen Union Amerika's. Zahlen beweisen, also<lb/>
lassen wir sie hier sprechen und uns ein Beispiel erzählen, vor dem vielleicht<lb/>
selbst Papa Kolb stutzen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1442" next="#ID_1443"> In Neuyork ist die Verwaltung der Stadt schon seit Jahren in den Hän¬<lb/>
den der Demokraten, und die Demokraten wieder sind in den Händen eines<lb/>
Clubs oder einer Verbindung, die sich Tammany-Gesellschaft oder der<lb/>
Tammanny-Ring nennt. Diese Verbrüderung reicht ihrem Ursprung nach<lb/>
bis in das vorletzte Decennium des vorigen Jahrhunderts zurück, hat seit<lb/>
1811 in Neuyork, wohin sie von Philadelphia verpflanzt wurde, ein eignes<lb/>
Logenhaus, die Tammany-Hall, und ist der Kern und Mittelpunkt für die<lb/>
gesammte demokratische Partei nicht nur im Staate Neuyork, sondern in der<lb/>
ganzen Union. Sonst weiß man von ihr nur, daß sie von unsichtbaren<lb/>
Obern die Parole empfängt, und daß ihre Organisation die Nachahmung<lb/>
eines indianischen Nationenbundes ist. Sie zerfällt nach derselben in dreizehn<lb/>
Stämme oder Völkerschaften, die unter ebenso vielen Sachems und einem<lb/>
Großsachem stehen. Sie hat ein &#x201E;Berathungsfeuer", dessen Vorsitzender den<lb/>
Titel &#x201E;Vater" führt, und bei dem man sich eines indianischen Rituals be¬<lb/>
dient, in welchem die Symbole des Tomahawk und des Kalumet eine Rolle<lb/>
spielen. Ihre Loge heißt &#x201E;Wigwam", ihre Zeitrechnung ist die der Roth¬<lb/>
häute, ja bei feierlichen Gelegenheiten zogen früher die Söhne Sanct Tam-<lb/>
many's sogar in der Tracht der Wilden auf. Dieser Bund ist in der Ge¬<lb/>
schichte der politischen Parteien Amerika's sehr einflußreich gewesen, und mehrere<lb/>
bedeutende Staatsmänner, z. B. Wheaton, der frühere amerikanische Gesandte<lb/>
in Berlin, gehörten ihm an. Die Politik ist aber für die Gesellschaft in der<lb/>
Tammany-Hall nicht die Hauptsache. Ihr Zweck ist vielmehr die Besetzung<lb/>
aller direct oder indirect einträglichen Stellen in der Stadt und im Staate<lb/>
mit ihren Affiliirten, die Versorgung der letzteren mit gutem Gehalt und<lb/>
Verdienst und die Ausbeutung der öffentlichen Kassen bei Bauten und andern<lb/>
Unternehmungen zu gemeinnützigen Zwecken. Mit welcher unerhörten Drei¬<lb/>
stigkeit hier Unterschleife getrieben werden, ist jetzt wieder einmal in einer<lb/>
Weise zu Tage getreten, die des Schlimmsten spottet, was in dieser Beziehung<lb/>
auf dem Sündenconto mancher monarchischen Regierung zu lesen ist, und vor</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0476] Aus dem Hammany-Mng. Die Republik ist die beste Staatsverfassung — auch für den Geldbeutel der Staatsangehörigen. Diese oft gehörte und immer wiederkehrende Be¬ hauptung paßt vielleicht auf die Republiken über dem Monde, z. B. auf die des Jupiters, des Uranus oder eines noch nicht entdeckten Himmelskörpers. Auf die Republiken unterm Monde paßt sie nicht, auch nicht auf die viel¬ gepriesenen Freistaaten der großen Union Amerika's. Zahlen beweisen, also lassen wir sie hier sprechen und uns ein Beispiel erzählen, vor dem vielleicht selbst Papa Kolb stutzen wird. In Neuyork ist die Verwaltung der Stadt schon seit Jahren in den Hän¬ den der Demokraten, und die Demokraten wieder sind in den Händen eines Clubs oder einer Verbindung, die sich Tammany-Gesellschaft oder der Tammanny-Ring nennt. Diese Verbrüderung reicht ihrem Ursprung nach bis in das vorletzte Decennium des vorigen Jahrhunderts zurück, hat seit 1811 in Neuyork, wohin sie von Philadelphia verpflanzt wurde, ein eignes Logenhaus, die Tammany-Hall, und ist der Kern und Mittelpunkt für die gesammte demokratische Partei nicht nur im Staate Neuyork, sondern in der ganzen Union. Sonst weiß man von ihr nur, daß sie von unsichtbaren Obern die Parole empfängt, und daß ihre Organisation die Nachahmung eines indianischen Nationenbundes ist. Sie zerfällt nach derselben in dreizehn Stämme oder Völkerschaften, die unter ebenso vielen Sachems und einem Großsachem stehen. Sie hat ein „Berathungsfeuer", dessen Vorsitzender den Titel „Vater" führt, und bei dem man sich eines indianischen Rituals be¬ dient, in welchem die Symbole des Tomahawk und des Kalumet eine Rolle spielen. Ihre Loge heißt „Wigwam", ihre Zeitrechnung ist die der Roth¬ häute, ja bei feierlichen Gelegenheiten zogen früher die Söhne Sanct Tam- many's sogar in der Tracht der Wilden auf. Dieser Bund ist in der Ge¬ schichte der politischen Parteien Amerika's sehr einflußreich gewesen, und mehrere bedeutende Staatsmänner, z. B. Wheaton, der frühere amerikanische Gesandte in Berlin, gehörten ihm an. Die Politik ist aber für die Gesellschaft in der Tammany-Hall nicht die Hauptsache. Ihr Zweck ist vielmehr die Besetzung aller direct oder indirect einträglichen Stellen in der Stadt und im Staate mit ihren Affiliirten, die Versorgung der letzteren mit gutem Gehalt und Verdienst und die Ausbeutung der öffentlichen Kassen bei Bauten und andern Unternehmungen zu gemeinnützigen Zwecken. Mit welcher unerhörten Drei¬ stigkeit hier Unterschleife getrieben werden, ist jetzt wieder einmal in einer Weise zu Tage getreten, die des Schlimmsten spottet, was in dieser Beziehung auf dem Sündenconto mancher monarchischen Regierung zu lesen ist, und vor

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/476
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_126315/476>, abgerufen am 24.07.2024.