Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band."(^ompts remain anÄ^die^ut!" der Sitzungen vor, wie es das zweite Kaiserreich In Deutschland hätte man natürlich nicht nöthig gehabt, einen derarti¬ Dom deutschen Aeichstag. Fast jede Woche, so scheint es, soll in dieser Zeit eine überraschende und „(^ompts remain anÄ^die^ut!" der Sitzungen vor, wie es das zweite Kaiserreich In Deutschland hätte man natürlich nicht nöthig gehabt, einen derarti¬ Dom deutschen Aeichstag. Fast jede Woche, so scheint es, soll in dieser Zeit eine überraschende und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0365" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/126147"/> <p xml:id="ID_1145" prev="#ID_1144"> „(^ompts remain anÄ^die^ut!" der Sitzungen vor, wie es das zweite Kaiserreich<lb/> neben dem stenographischen Bericht in extenso geschaffen, und den es für<lb/> alle Blätter, welche den letzteren nicht brachten, verbindlich gemacht hatte, um<lb/> so den Entstellungen der feindlich gesinnten legitimistischen, orlecinistischen und<lb/> republikanischen Presse vorzubeugen. Aber der Abgeordnete für Mainz wußte<lb/> vielleicht selbst nicht, was die technische Herstellung dieses analytischen Berich¬<lb/> tes anbetrifft, den er fälschlich für einen Auszug aus der offiziellen Steno¬<lb/> graphie hielt, daß derselbe auf Kosten und unter Verantwortlichkeit des gesetz¬<lb/> gebenden Körpers von ganz besonders gut honorirten und vorzüglich begabten<lb/> Schriftstellern von Ruf, wie A, Daudet, Paul Dhormoys. Claveau u. A.<lb/> hergestellt wurde und daß er. bei aller Gedrängtheit, nicht selten die Physio¬<lb/> gnomie der einzelnen Sitzungen treuer und lebensvoller wiedergab, als der aus¬<lb/> führliche stenographische Bericht, dessen Text nachträglich den Rednern zur<lb/> Aufbesserung ihrer Phrasen und Gedanken (Thiers arbeitete am Putze seiner<lb/> Reden oft 11—12 «stunden lang) fast bedingungslos überlassen wurde. Auf<lb/> diese Weise erhielt man ein unparteiisches Bild der Kammer-Verhandlungen<lb/> und kein Abgeordneter war genöthigt, der bessern Wiedergabe seiner Expecto-<lb/> rationen wegen dem oder jenem Scribifar den Hof zu machen, wie es<lb/> anderswo zuweilen vorkommen soll. Wie man sich denken kann, verfügt<lb/> auch die französische Presse nicht über eine Raumesfülle, die ihr den Abdruck<lb/> solcher Verhandlungen gerade besonders erleichtert. Aber auch hier wußten<lb/> die praktischen Franzosen einen Ausweg, von denen wir, ungeachtet unserer<lb/> Siege, in solchen Dingen uns nicht schämen dürfen, etwas zu lernen. Es<lb/> finden sich nämlich mehrfach Unternehmer in Paris, welche diesen analytischen<lb/> Bericht gleich in vielen Hunderttausenden von Exemplaren druckten und ihn<lb/> den Verlegern der Departements-Journale um einen sehr billigen Preis<lb/> <S Franken etwa pro Tausend für die ganze Session) verkauften; so daß diese<lb/> Zeitungen, ohne ihren Raum irgend zu beeinträchtigen, diese trefflichen<lb/> Lomptereiläu« ihren Blättern einfach beilegen und ihren Lesern einen unge¬<lb/> schmälerten Ueberblick über die Leistungen des gesetzgebenden Körpers ver¬<lb/> schaffen konnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1146"> In Deutschland hätte man natürlich nicht nöthig gehabt, einen derarti¬<lb/> gen Kammerbericht obligatorisch zu machen; die Privat-Jndustrie konnte un-<lb/> beeinträchtigt daneben fortbestehen. Wenn aber einmal das Reichstags-In¬<lb/> stitut seine "Überlegenheit, bei gleicher Unparteilichkeit, endgültig an den Tag<lb/> gelegt hatte, so war kein Zweifel, daß die ungeheure Mehrzahl der kleineren<lb/> Organe von diesen Vortheilen profitirt hätte, während, wie jetzt die Sachen<lb/> stehen, in Städten unter 20,000 Einwohnern für die Mehrheit der Wähler<lb/> des allgemeinen Stimmrechts die Vorgänge in Ur. 75 der Leipzigerstraße zu<lb/> Berlin so gut wie vollständig eine dei-rs, ineognitA bleiben. Von alledem aber<lb/> ist im Reichstag kein Wort gesagt worden und Bamberger wurde angestarrt,<lb/> wie ein von bonapartistischen Ideen irregewordener Wolf im national-libera¬<lb/> len Schafspelz, weil er die Hand auf die wunden Stellen gelegt, ohne von<lb/> der Zusammensetzung des heilenden Balsams etwas mehr als den Namen zu<lb/><note type="byline"> o. — >V.</note> verrathen. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Dom deutschen Aeichstag.</head><lb/> <p xml:id="ID_1147" next="#ID_1148"> Fast jede Woche, so scheint es, soll in dieser Zeit eine überraschende und<lb/> folgenreiche That des Reichskanzlers aufweisen. Vorgestern kündigte er dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0365]
„(^ompts remain anÄ^die^ut!" der Sitzungen vor, wie es das zweite Kaiserreich
neben dem stenographischen Bericht in extenso geschaffen, und den es für
alle Blätter, welche den letzteren nicht brachten, verbindlich gemacht hatte, um
so den Entstellungen der feindlich gesinnten legitimistischen, orlecinistischen und
republikanischen Presse vorzubeugen. Aber der Abgeordnete für Mainz wußte
vielleicht selbst nicht, was die technische Herstellung dieses analytischen Berich¬
tes anbetrifft, den er fälschlich für einen Auszug aus der offiziellen Steno¬
graphie hielt, daß derselbe auf Kosten und unter Verantwortlichkeit des gesetz¬
gebenden Körpers von ganz besonders gut honorirten und vorzüglich begabten
Schriftstellern von Ruf, wie A, Daudet, Paul Dhormoys. Claveau u. A.
hergestellt wurde und daß er. bei aller Gedrängtheit, nicht selten die Physio¬
gnomie der einzelnen Sitzungen treuer und lebensvoller wiedergab, als der aus¬
führliche stenographische Bericht, dessen Text nachträglich den Rednern zur
Aufbesserung ihrer Phrasen und Gedanken (Thiers arbeitete am Putze seiner
Reden oft 11—12 «stunden lang) fast bedingungslos überlassen wurde. Auf
diese Weise erhielt man ein unparteiisches Bild der Kammer-Verhandlungen
und kein Abgeordneter war genöthigt, der bessern Wiedergabe seiner Expecto-
rationen wegen dem oder jenem Scribifar den Hof zu machen, wie es
anderswo zuweilen vorkommen soll. Wie man sich denken kann, verfügt
auch die französische Presse nicht über eine Raumesfülle, die ihr den Abdruck
solcher Verhandlungen gerade besonders erleichtert. Aber auch hier wußten
die praktischen Franzosen einen Ausweg, von denen wir, ungeachtet unserer
Siege, in solchen Dingen uns nicht schämen dürfen, etwas zu lernen. Es
finden sich nämlich mehrfach Unternehmer in Paris, welche diesen analytischen
Bericht gleich in vielen Hunderttausenden von Exemplaren druckten und ihn
den Verlegern der Departements-Journale um einen sehr billigen Preis
<S Franken etwa pro Tausend für die ganze Session) verkauften; so daß diese
Zeitungen, ohne ihren Raum irgend zu beeinträchtigen, diese trefflichen
Lomptereiläu« ihren Blättern einfach beilegen und ihren Lesern einen unge¬
schmälerten Ueberblick über die Leistungen des gesetzgebenden Körpers ver¬
schaffen konnten.
In Deutschland hätte man natürlich nicht nöthig gehabt, einen derarti¬
gen Kammerbericht obligatorisch zu machen; die Privat-Jndustrie konnte un-
beeinträchtigt daneben fortbestehen. Wenn aber einmal das Reichstags-In¬
stitut seine "Überlegenheit, bei gleicher Unparteilichkeit, endgültig an den Tag
gelegt hatte, so war kein Zweifel, daß die ungeheure Mehrzahl der kleineren
Organe von diesen Vortheilen profitirt hätte, während, wie jetzt die Sachen
stehen, in Städten unter 20,000 Einwohnern für die Mehrheit der Wähler
des allgemeinen Stimmrechts die Vorgänge in Ur. 75 der Leipzigerstraße zu
Berlin so gut wie vollständig eine dei-rs, ineognitA bleiben. Von alledem aber
ist im Reichstag kein Wort gesagt worden und Bamberger wurde angestarrt,
wie ein von bonapartistischen Ideen irregewordener Wolf im national-libera¬
len Schafspelz, weil er die Hand auf die wunden Stellen gelegt, ohne von
der Zusammensetzung des heilenden Balsams etwas mehr als den Namen zu
o. — >V. verrathen.
Dom deutschen Aeichstag.
Fast jede Woche, so scheint es, soll in dieser Zeit eine überraschende und
folgenreiche That des Reichskanzlers aufweisen. Vorgestern kündigte er dem
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