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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band.

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Kuh Weimar's Kulturgeschichte.
1760 --1800.
Von Dr. C. A. H. Burkhardt.

Wer immer sich die Aufgabe stellt, Weimar's Geschichte in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts eingehend zu erforschen, den pflegt es mit
Macht zu den letzten Decennien derselben, zu den erhabenen Gestalten unserer
klassischen Periode hinzudrängen. Vielleicht wäre auch an dieser Stelle ange¬
zeigt gewesen, diesem Drange zu folgen, zumal ja gerade von Weimar aus,
trotz erheblicher Forschungen, immer noch ein tieferes Eingehen und bedeutende
Resultate in der Erforschung dieser Periode mit Bestimmtheit erwartet werden.
Aber wir wollen mit Sorgfalt die alten Wege meiden, auf denen man immer
und immer wieder zu Haus und Hof eines unserer Dichter zu kommen pflegt.
Wir wollen dagegen auf theilweise noch unbekannten Pfaden den Menschen
und Verhältnissen aus allen Kreisen der Gesellschaft zu begegnen suchen, und
was wir auf diesem wunderlichen Spaziergange beobachten und für die Be¬
urtheilung der gesammten Zustände sammeln werden, zu einem Culturbilde
Weimar's und jener Zeiten vereinigen.

Freilich sind fünfzig Jahre Weimarischer Culturgeschichte mit ihrem reichen
Stoff viel für den mir vergönnten Raum. Aber ein Culturbild darf man
nicht in zu engen Rahmen fassen, namentlich, wenn es dem Versuche gilt,
die Entwickelung der Verhältnisse zur Anschauung zu bringen. Die Cultur
schreitet überhaupt nicht mit solchen Riesenschritten vorwärts, daß man kleine
Abschnitte mit der bezeichneten Tendenz erfolgreich behandeln könnte. Nament¬
lich sind fünfzig Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht mit unserem modernen
Zeitmaß zu messen. Denn neben hervorragenden Geistern lebte eine regungs¬
lose Menge und die vorwärtsdrängende Thätigkeit des Einzelnen ward
noch lange bevormundet, weil die' leitenden und fördernden Ideen in der
Regel nur von oben herab zu kommen pflegten.

So meinen wir: besser eine größere Skizze, als ein ausgeführtes Bild
in engem Rahmen mit wenig Handlung!

Wenn feststeht, daß jede Stadt das Gepräge der Cultur schon in ihrem
Aeußern trägt, so wird man Weimar selbst in der Blüthezeit keinen namhaf-


Grcnzbotm l. 1871. 82
Kuh Weimar's Kulturgeschichte.
1760 —1800.
Von Dr. C. A. H. Burkhardt.

Wer immer sich die Aufgabe stellt, Weimar's Geschichte in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts eingehend zu erforschen, den pflegt es mit
Macht zu den letzten Decennien derselben, zu den erhabenen Gestalten unserer
klassischen Periode hinzudrängen. Vielleicht wäre auch an dieser Stelle ange¬
zeigt gewesen, diesem Drange zu folgen, zumal ja gerade von Weimar aus,
trotz erheblicher Forschungen, immer noch ein tieferes Eingehen und bedeutende
Resultate in der Erforschung dieser Periode mit Bestimmtheit erwartet werden.
Aber wir wollen mit Sorgfalt die alten Wege meiden, auf denen man immer
und immer wieder zu Haus und Hof eines unserer Dichter zu kommen pflegt.
Wir wollen dagegen auf theilweise noch unbekannten Pfaden den Menschen
und Verhältnissen aus allen Kreisen der Gesellschaft zu begegnen suchen, und
was wir auf diesem wunderlichen Spaziergange beobachten und für die Be¬
urtheilung der gesammten Zustände sammeln werden, zu einem Culturbilde
Weimar's und jener Zeiten vereinigen.

Freilich sind fünfzig Jahre Weimarischer Culturgeschichte mit ihrem reichen
Stoff viel für den mir vergönnten Raum. Aber ein Culturbild darf man
nicht in zu engen Rahmen fassen, namentlich, wenn es dem Versuche gilt,
die Entwickelung der Verhältnisse zur Anschauung zu bringen. Die Cultur
schreitet überhaupt nicht mit solchen Riesenschritten vorwärts, daß man kleine
Abschnitte mit der bezeichneten Tendenz erfolgreich behandeln könnte. Nament¬
lich sind fünfzig Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht mit unserem modernen
Zeitmaß zu messen. Denn neben hervorragenden Geistern lebte eine regungs¬
lose Menge und die vorwärtsdrängende Thätigkeit des Einzelnen ward
noch lange bevormundet, weil die' leitenden und fördernden Ideen in der
Regel nur von oben herab zu kommen pflegten.

So meinen wir: besser eine größere Skizze, als ein ausgeführtes Bild
in engem Rahmen mit wenig Handlung!

Wenn feststeht, daß jede Stadt das Gepräge der Cultur schon in ihrem
Aeußern trägt, so wird man Weimar selbst in der Blüthezeit keinen namhaf-


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[0129] Kuh Weimar's Kulturgeschichte. 1760 —1800. Von Dr. C. A. H. Burkhardt. Wer immer sich die Aufgabe stellt, Weimar's Geschichte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eingehend zu erforschen, den pflegt es mit Macht zu den letzten Decennien derselben, zu den erhabenen Gestalten unserer klassischen Periode hinzudrängen. Vielleicht wäre auch an dieser Stelle ange¬ zeigt gewesen, diesem Drange zu folgen, zumal ja gerade von Weimar aus, trotz erheblicher Forschungen, immer noch ein tieferes Eingehen und bedeutende Resultate in der Erforschung dieser Periode mit Bestimmtheit erwartet werden. Aber wir wollen mit Sorgfalt die alten Wege meiden, auf denen man immer und immer wieder zu Haus und Hof eines unserer Dichter zu kommen pflegt. Wir wollen dagegen auf theilweise noch unbekannten Pfaden den Menschen und Verhältnissen aus allen Kreisen der Gesellschaft zu begegnen suchen, und was wir auf diesem wunderlichen Spaziergange beobachten und für die Be¬ urtheilung der gesammten Zustände sammeln werden, zu einem Culturbilde Weimar's und jener Zeiten vereinigen. Freilich sind fünfzig Jahre Weimarischer Culturgeschichte mit ihrem reichen Stoff viel für den mir vergönnten Raum. Aber ein Culturbild darf man nicht in zu engen Rahmen fassen, namentlich, wenn es dem Versuche gilt, die Entwickelung der Verhältnisse zur Anschauung zu bringen. Die Cultur schreitet überhaupt nicht mit solchen Riesenschritten vorwärts, daß man kleine Abschnitte mit der bezeichneten Tendenz erfolgreich behandeln könnte. Nament¬ lich sind fünfzig Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht mit unserem modernen Zeitmaß zu messen. Denn neben hervorragenden Geistern lebte eine regungs¬ lose Menge und die vorwärtsdrängende Thätigkeit des Einzelnen ward noch lange bevormundet, weil die' leitenden und fördernden Ideen in der Regel nur von oben herab zu kommen pflegten. So meinen wir: besser eine größere Skizze, als ein ausgeführtes Bild in engem Rahmen mit wenig Handlung! Wenn feststeht, daß jede Stadt das Gepräge der Cultur schon in ihrem Aeußern trägt, so wird man Weimar selbst in der Blüthezeit keinen namhaf- Grcnzbotm l. 1871. 82

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125781/129>, abgerufen am 27.12.2024.