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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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male Einigung mit sehnsüchtigem Verlangen, wie um eine Braut, geworben,
wird erwartet haben, daß er mit der Erreichung derselben direct in einen
Himmel voller Seligkeit eintreten werde. Vielmehr erinnern wir uns an des
Dichters Wort: "Mit dem Gürtel (vulM Mainlinie), mit dem Schleier, reißt
der schöne Wahn entzwei," setzen aber von Herzen den andern Vers hinzu:
"Die Leidenschaft flieht, die Liebe muß bleiben!" Und diese ernste, nüch-
--r--. terne Liebe wird gewiß eine recht gesegnete Ehe begründen.




Die deutsche Krankenpflege im HabaKspital' zu Uanzig.*)

"Entfernen Sie das Gesindel. welches hier mit Binden am Arm umher
läuft!" rief mir ein Mitglied des französischen Ncmziger "International"
zitternd vor Wuth entgegen, indem er seine Medaille von der Brust riß, auf
der das Abzeichen der Genfer Convention prangte, und erklärte: "es sei eine
Schande für jeden anständigen Mann, dieses ferner zu tragen."

Nicht ohne Mühe gelang mir, den empörten Herrn zu beruhigen über
das herbeigeströmte Hülfsheer deutscher Krankenpfleger, das allerdings Leute
der verschiedensten Bildungsstufen in seinen Reihen zählte. Selbst die unter¬
richtete Klasse der Bevölkerung in Lothringen hatte nur einen dunklen Be¬
griff vom freiwilligen Pflegeramt; sogar die Mitglieder der "Commission Inter-
nationale" faßten, wie man an den Straßenecken lesen konnte, ihre Pflich¬
ten höchst einseitig auf. Kein Wunder war darum, wenn das unwissende
Volk die Binden-Männer für eine absonderliche Art von Combattanten hielt,
die anzufeinden Jeder ein Recht hatte, ohne zu der Achtung verpflichtet zu
sein, die er dem Soldaten in Uniform schuldig ist. -- Uranes-tirsurs, die
auf Verwundete schössen, welche nach dem Tabakspital in Nanzig gebracht
wurden, trugen das rothe Kreuz an Mütze und Brust, wenn auch nicht in
weißem Felde.

Schwer war unter solchen Umständen für Freiwillige ein Lazareth zu
gründen, abgesehen von der mühseligen Stellung, die der geduldete Privat-
Arzt dem commandirten Feldarzt gegenüber einnimmt. Der Erstere muß
Schritt für Schritt im Felde das Terrain erobern, auf dem er für das Wohl
der armen Opfer zu arbeiten hoffen darf. Alles kommt auf seinen persön-
sönlichen Tact, seine Energie, sein Talent an.

Der erste Eisenbahnzug, welcher von Deutschland her durch die Vogesen
drang, brachte nach Nanzig unter Anderen eine kleine Expedition von jungen



") Wir geben den nachstehenden Bericht eines Augenzeugen, ohne an der schlichten Dar-
stellung desselben uns Aenderungen zu gestatten.

male Einigung mit sehnsüchtigem Verlangen, wie um eine Braut, geworben,
wird erwartet haben, daß er mit der Erreichung derselben direct in einen
Himmel voller Seligkeit eintreten werde. Vielmehr erinnern wir uns an des
Dichters Wort: „Mit dem Gürtel (vulM Mainlinie), mit dem Schleier, reißt
der schöne Wahn entzwei," setzen aber von Herzen den andern Vers hinzu:
„Die Leidenschaft flieht, die Liebe muß bleiben!" Und diese ernste, nüch-
—r—. terne Liebe wird gewiß eine recht gesegnete Ehe begründen.




Die deutsche Krankenpflege im HabaKspital' zu Uanzig.*)

„Entfernen Sie das Gesindel. welches hier mit Binden am Arm umher
läuft!" rief mir ein Mitglied des französischen Ncmziger „International"
zitternd vor Wuth entgegen, indem er seine Medaille von der Brust riß, auf
der das Abzeichen der Genfer Convention prangte, und erklärte: „es sei eine
Schande für jeden anständigen Mann, dieses ferner zu tragen."

Nicht ohne Mühe gelang mir, den empörten Herrn zu beruhigen über
das herbeigeströmte Hülfsheer deutscher Krankenpfleger, das allerdings Leute
der verschiedensten Bildungsstufen in seinen Reihen zählte. Selbst die unter¬
richtete Klasse der Bevölkerung in Lothringen hatte nur einen dunklen Be¬
griff vom freiwilligen Pflegeramt; sogar die Mitglieder der „Commission Inter-
nationale" faßten, wie man an den Straßenecken lesen konnte, ihre Pflich¬
ten höchst einseitig auf. Kein Wunder war darum, wenn das unwissende
Volk die Binden-Männer für eine absonderliche Art von Combattanten hielt,
die anzufeinden Jeder ein Recht hatte, ohne zu der Achtung verpflichtet zu
sein, die er dem Soldaten in Uniform schuldig ist. — Uranes-tirsurs, die
auf Verwundete schössen, welche nach dem Tabakspital in Nanzig gebracht
wurden, trugen das rothe Kreuz an Mütze und Brust, wenn auch nicht in
weißem Felde.

Schwer war unter solchen Umständen für Freiwillige ein Lazareth zu
gründen, abgesehen von der mühseligen Stellung, die der geduldete Privat-
Arzt dem commandirten Feldarzt gegenüber einnimmt. Der Erstere muß
Schritt für Schritt im Felde das Terrain erobern, auf dem er für das Wohl
der armen Opfer zu arbeiten hoffen darf. Alles kommt auf seinen persön-
sönlichen Tact, seine Energie, sein Talent an.

Der erste Eisenbahnzug, welcher von Deutschland her durch die Vogesen
drang, brachte nach Nanzig unter Anderen eine kleine Expedition von jungen



") Wir geben den nachstehenden Bericht eines Augenzeugen, ohne an der schlichten Dar-
stellung desselben uns Aenderungen zu gestatten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/85>, abgerufen am 28.06.2024.