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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Unsere Berliner Geschäftswelt hat gar keine Ursache, auf die Franzosen
böse zu sein. Es ist ein öffentliches Geheimniß für unsere Weltstadt, daß
Berlin in jeder Beziehung sowohl augenblicklich als nachwirkend durch diesen
Krieg gewinnt. Die vielen aus Frankreich, namentlich aus Paris durch Herrn
Chevreau und dessen Nachfolger vertriebenen Deutschen haben sich größten-
theils nach Berlin gewandt, wo sie ihre Arbeitskraft und nicht selten wohl
auch ihr Capital in fruchtbringender Weise anzulegen begonnen haben. Fer¬
ner sind seit der nun bald einen Monat lang dauernden Absperrung von
Paris ganz massenhaft von allen Weilenden Bestellungen nach Berlin er¬
gangen, die sonst in Parks effectuirt wurden. Berlin ist heute überwiegend
Industriestadt, und da unsere Arbeiterbevölkerung durch die vielen Aufträge,
welche an Fabrikanten ergehen, reichlich in Nahrung gesetzt wird, ist die Phy¬
siognomie unserer Stadt trotz des Krieges eine durchaus freundliche. Wohl¬
genährtheit spiegelt sich vergleichsweise mehr als während anderer Winter im
Gesicht unserer von der socialdemokratischen Agitation bearbeiteten Arbeiter,
und das Unglück der Landwehrfrauen scheint in Berlin selbst noch immer er¬
träglich. Wenn es nun unserer Industrie gelingt, das durch die Umstände
gewonnene Terrain zu behaupten, so wird auch der Absatz des Zollvereins,
d. h. des deutschen Reichs, eingerechnet Luxemburg, nach Frankreich
ein stärkerer werden als bisher, ganz abgesehen von der zu starkem Verkehr
zwischen den beiden Ländern nothwendig hindrängenden Annexion der elsässer
Fabrikdistricte.

Ja Luxemburg! Sein von Allen gewünschter Anschluß an Deutschland
bildet vorzugsweise den Gesprächsgegenstand unserer Berliner, wenn sie hohe
Politik treiben. Vom Bombardement der Stadt Paris zu reden erscheint
dagegen fossil, in die Steinzeit oder Rennthierperiode gehörig.. Nächst dem
Luxemburger Neutralitätsbruch treten dann in den Vordergrund für unsere
Kannegießer die Verhältnisse zu Oestreich, von"welchen man seit der Pontus-
frage spricht. Von Rivalität mit Wien, das jetzt nicht mehr die Eine Kaiser¬
stadt ist, kann man bei unseren Berlinern keine Spur finden. Die beiden
Städte üben ja fast gar keine Concurrenz gegeneinander. Die Metropole der
Intelligenz namentlich ist niemals eifersüchtig auf die Capitale des Vergnü¬
gens gewesen, da man sich beruhigt fühlt in der allgemein gekannten That¬
sache, daß an Einwohnerzahl und Bedeutung der Industrie, Berlin der
Donaustadt schon lange den Rang abgelaufen hatte.

Sehr viel Werth auf seine künftige Würde als Kaiserresidenz legt Berlin


Unsere Berliner Geschäftswelt hat gar keine Ursache, auf die Franzosen
böse zu sein. Es ist ein öffentliches Geheimniß für unsere Weltstadt, daß
Berlin in jeder Beziehung sowohl augenblicklich als nachwirkend durch diesen
Krieg gewinnt. Die vielen aus Frankreich, namentlich aus Paris durch Herrn
Chevreau und dessen Nachfolger vertriebenen Deutschen haben sich größten-
theils nach Berlin gewandt, wo sie ihre Arbeitskraft und nicht selten wohl
auch ihr Capital in fruchtbringender Weise anzulegen begonnen haben. Fer¬
ner sind seit der nun bald einen Monat lang dauernden Absperrung von
Paris ganz massenhaft von allen Weilenden Bestellungen nach Berlin er¬
gangen, die sonst in Parks effectuirt wurden. Berlin ist heute überwiegend
Industriestadt, und da unsere Arbeiterbevölkerung durch die vielen Aufträge,
welche an Fabrikanten ergehen, reichlich in Nahrung gesetzt wird, ist die Phy¬
siognomie unserer Stadt trotz des Krieges eine durchaus freundliche. Wohl¬
genährtheit spiegelt sich vergleichsweise mehr als während anderer Winter im
Gesicht unserer von der socialdemokratischen Agitation bearbeiteten Arbeiter,
und das Unglück der Landwehrfrauen scheint in Berlin selbst noch immer er¬
träglich. Wenn es nun unserer Industrie gelingt, das durch die Umstände
gewonnene Terrain zu behaupten, so wird auch der Absatz des Zollvereins,
d. h. des deutschen Reichs, eingerechnet Luxemburg, nach Frankreich
ein stärkerer werden als bisher, ganz abgesehen von der zu starkem Verkehr
zwischen den beiden Ländern nothwendig hindrängenden Annexion der elsässer
Fabrikdistricte.

Ja Luxemburg! Sein von Allen gewünschter Anschluß an Deutschland
bildet vorzugsweise den Gesprächsgegenstand unserer Berliner, wenn sie hohe
Politik treiben. Vom Bombardement der Stadt Paris zu reden erscheint
dagegen fossil, in die Steinzeit oder Rennthierperiode gehörig.. Nächst dem
Luxemburger Neutralitätsbruch treten dann in den Vordergrund für unsere
Kannegießer die Verhältnisse zu Oestreich, von"welchen man seit der Pontus-
frage spricht. Von Rivalität mit Wien, das jetzt nicht mehr die Eine Kaiser¬
stadt ist, kann man bei unseren Berlinern keine Spur finden. Die beiden
Städte üben ja fast gar keine Concurrenz gegeneinander. Die Metropole der
Intelligenz namentlich ist niemals eifersüchtig auf die Capitale des Vergnü¬
gens gewesen, da man sich beruhigt fühlt in der allgemein gekannten That¬
sache, daß an Einwohnerzahl und Bedeutung der Industrie, Berlin der
Donaustadt schon lange den Rang abgelaufen hatte.

Sehr viel Werth auf seine künftige Würde als Kaiserresidenz legt Berlin


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[0059] Unsere Berliner Geschäftswelt hat gar keine Ursache, auf die Franzosen böse zu sein. Es ist ein öffentliches Geheimniß für unsere Weltstadt, daß Berlin in jeder Beziehung sowohl augenblicklich als nachwirkend durch diesen Krieg gewinnt. Die vielen aus Frankreich, namentlich aus Paris durch Herrn Chevreau und dessen Nachfolger vertriebenen Deutschen haben sich größten- theils nach Berlin gewandt, wo sie ihre Arbeitskraft und nicht selten wohl auch ihr Capital in fruchtbringender Weise anzulegen begonnen haben. Fer¬ ner sind seit der nun bald einen Monat lang dauernden Absperrung von Paris ganz massenhaft von allen Weilenden Bestellungen nach Berlin er¬ gangen, die sonst in Parks effectuirt wurden. Berlin ist heute überwiegend Industriestadt, und da unsere Arbeiterbevölkerung durch die vielen Aufträge, welche an Fabrikanten ergehen, reichlich in Nahrung gesetzt wird, ist die Phy¬ siognomie unserer Stadt trotz des Krieges eine durchaus freundliche. Wohl¬ genährtheit spiegelt sich vergleichsweise mehr als während anderer Winter im Gesicht unserer von der socialdemokratischen Agitation bearbeiteten Arbeiter, und das Unglück der Landwehrfrauen scheint in Berlin selbst noch immer er¬ träglich. Wenn es nun unserer Industrie gelingt, das durch die Umstände gewonnene Terrain zu behaupten, so wird auch der Absatz des Zollvereins, d. h. des deutschen Reichs, eingerechnet Luxemburg, nach Frankreich ein stärkerer werden als bisher, ganz abgesehen von der zu starkem Verkehr zwischen den beiden Ländern nothwendig hindrängenden Annexion der elsässer Fabrikdistricte. Ja Luxemburg! Sein von Allen gewünschter Anschluß an Deutschland bildet vorzugsweise den Gesprächsgegenstand unserer Berliner, wenn sie hohe Politik treiben. Vom Bombardement der Stadt Paris zu reden erscheint dagegen fossil, in die Steinzeit oder Rennthierperiode gehörig.. Nächst dem Luxemburger Neutralitätsbruch treten dann in den Vordergrund für unsere Kannegießer die Verhältnisse zu Oestreich, von"welchen man seit der Pontus- frage spricht. Von Rivalität mit Wien, das jetzt nicht mehr die Eine Kaiser¬ stadt ist, kann man bei unseren Berlinern keine Spur finden. Die beiden Städte üben ja fast gar keine Concurrenz gegeneinander. Die Metropole der Intelligenz namentlich ist niemals eifersüchtig auf die Capitale des Vergnü¬ gens gewesen, da man sich beruhigt fühlt in der allgemein gekannten That¬ sache, daß an Einwohnerzahl und Bedeutung der Industrie, Berlin der Donaustadt schon lange den Rang abgelaufen hatte. Sehr viel Werth auf seine künftige Würde als Kaiserresidenz legt Berlin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/59>, abgerufen am 22.07.2024.