Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

anrichten zu lassen. Nein, seine politische Ehrlichkeit und seine Börse gestatte¬
ten ihm nicht, über eine Tasse Cafe, (mit Cognac) hinauszugehen, und der Ur-
wähler, dem das noch nicht genügte, bekam einen derben Händedruck und
eine Rede mit in den Kauf, welche ihm ein oetroi- und steuerfreies, ja selbst
polizeiloses Elysium in bestimmteste Aussicht stellte, sobald erst Herr Ganesco
Mitglied des gesetzgebenden Körpers sein würde.

In jene Zeit fällt auch seine Verbindung mit Rouher, der einen von
Scrupeln ziemlich freien und sonst anstelligen Mann eben brauchte, um seinen
intimen Feind, den Präsidenten des gesetzgebenden Körpers, Schneider, an
dessen verwundbarster Stelle, in den Eisenwerken des Creuzot, zu fassen. Herr
Ganesco hatte just das "Parlament" mit ägyptisch-türkisch-russischem Gelde (eine
höchst achtbare und einheitliche Trinität) ins Leben gerufen, als die Strikes in Creu¬
zot ausbrachen, und natürlich das "Parlament" für die Socialisten und ihre
Führer mit Feuer und Flamme gegen das große Capital und seine officiellen
Vertreter eintrat. Rouher, der damals Schneidern seine politische Thätig¬
keit verleiden und diesen als seinen gefährlichsten Gegner außerhalb Paris
beschäftigen wollte, ließ Tag für Tag mehre Tausend Exemplare des plötzlich
socialistisch gewordenen Ganesco'schen "Parlament" in jenem Fabrikdistriete
vertheilen; nur war er schlau genug, den Hals hierzu nicht selbst herzugeben,
sondern die Herren Pereire mit dem Beutel eintreten zu lassen, da diese einen
Act der Privatrache an Schneider auszuüben hatten, -welcher sie bekanntlich,
den Pouger-Guertier'schen Keulenschlägen gegenüber, in der Kammer ohne den
sonst landesüblichen, präsidentiellen Schutz gelassen hatte.

Neben diesen Intriguen gingen noch hundert andere her, deren Aufzäh¬
lung für jetzt zu weit führen würde; -- aber das Kleeblatt Baragnon -- De-
branz -- Ganesco -- gehört zu den Namen, die wie an einem Pegel den
niedrigsten Purikt der öffentlichen Moral während des zweiten Kaiserreichs
für Mit- und Nachwelt markiren.




Koethe und das Maß.
ii.
(Schluß.)

In der heiter gestimmten Gegenwart übersah Goethe die ernsteren Er¬
innerungen an die Vergangenheit des Landes nicht; auch für die geschicht¬
lichen Gestaltungen zeigt hier der Dichter des Egmont einen offenen Blick.


anrichten zu lassen. Nein, seine politische Ehrlichkeit und seine Börse gestatte¬
ten ihm nicht, über eine Tasse Cafe, (mit Cognac) hinauszugehen, und der Ur-
wähler, dem das noch nicht genügte, bekam einen derben Händedruck und
eine Rede mit in den Kauf, welche ihm ein oetroi- und steuerfreies, ja selbst
polizeiloses Elysium in bestimmteste Aussicht stellte, sobald erst Herr Ganesco
Mitglied des gesetzgebenden Körpers sein würde.

In jene Zeit fällt auch seine Verbindung mit Rouher, der einen von
Scrupeln ziemlich freien und sonst anstelligen Mann eben brauchte, um seinen
intimen Feind, den Präsidenten des gesetzgebenden Körpers, Schneider, an
dessen verwundbarster Stelle, in den Eisenwerken des Creuzot, zu fassen. Herr
Ganesco hatte just das „Parlament" mit ägyptisch-türkisch-russischem Gelde (eine
höchst achtbare und einheitliche Trinität) ins Leben gerufen, als die Strikes in Creu¬
zot ausbrachen, und natürlich das „Parlament" für die Socialisten und ihre
Führer mit Feuer und Flamme gegen das große Capital und seine officiellen
Vertreter eintrat. Rouher, der damals Schneidern seine politische Thätig¬
keit verleiden und diesen als seinen gefährlichsten Gegner außerhalb Paris
beschäftigen wollte, ließ Tag für Tag mehre Tausend Exemplare des plötzlich
socialistisch gewordenen Ganesco'schen „Parlament" in jenem Fabrikdistriete
vertheilen; nur war er schlau genug, den Hals hierzu nicht selbst herzugeben,
sondern die Herren Pereire mit dem Beutel eintreten zu lassen, da diese einen
Act der Privatrache an Schneider auszuüben hatten, -welcher sie bekanntlich,
den Pouger-Guertier'schen Keulenschlägen gegenüber, in der Kammer ohne den
sonst landesüblichen, präsidentiellen Schutz gelassen hatte.

Neben diesen Intriguen gingen noch hundert andere her, deren Aufzäh¬
lung für jetzt zu weit führen würde; — aber das Kleeblatt Baragnon — De-
branz — Ganesco — gehört zu den Namen, die wie an einem Pegel den
niedrigsten Purikt der öffentlichen Moral während des zweiten Kaiserreichs
für Mit- und Nachwelt markiren.




Koethe und das Maß.
ii.
(Schluß.)

In der heiter gestimmten Gegenwart übersah Goethe die ernsteren Er¬
innerungen an die Vergangenheit des Landes nicht; auch für die geschicht¬
lichen Gestaltungen zeigt hier der Dichter des Egmont einen offenen Blick.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0052" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125296"/>
            <p xml:id="ID_178" prev="#ID_177"> anrichten zu lassen. Nein, seine politische Ehrlichkeit und seine Börse gestatte¬<lb/>
ten ihm nicht, über eine Tasse Cafe, (mit Cognac) hinauszugehen, und der Ur-<lb/>
wähler, dem das noch nicht genügte, bekam einen derben Händedruck und<lb/>
eine Rede mit in den Kauf, welche ihm ein oetroi- und steuerfreies, ja selbst<lb/>
polizeiloses Elysium in bestimmteste Aussicht stellte, sobald erst Herr Ganesco<lb/>
Mitglied des gesetzgebenden Körpers sein würde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_179"> In jene Zeit fällt auch seine Verbindung mit Rouher, der einen von<lb/>
Scrupeln ziemlich freien und sonst anstelligen Mann eben brauchte, um seinen<lb/>
intimen Feind, den Präsidenten des gesetzgebenden Körpers, Schneider, an<lb/>
dessen verwundbarster Stelle, in den Eisenwerken des Creuzot, zu fassen. Herr<lb/>
Ganesco hatte just das &#x201E;Parlament" mit ägyptisch-türkisch-russischem Gelde (eine<lb/>
höchst achtbare und einheitliche Trinität) ins Leben gerufen, als die Strikes in Creu¬<lb/>
zot ausbrachen, und natürlich das &#x201E;Parlament" für die Socialisten und ihre<lb/>
Führer mit Feuer und Flamme gegen das große Capital und seine officiellen<lb/>
Vertreter eintrat. Rouher, der damals Schneidern seine politische Thätig¬<lb/>
keit verleiden und diesen als seinen gefährlichsten Gegner außerhalb Paris<lb/>
beschäftigen wollte, ließ Tag für Tag mehre Tausend Exemplare des plötzlich<lb/>
socialistisch gewordenen Ganesco'schen &#x201E;Parlament" in jenem Fabrikdistriete<lb/>
vertheilen; nur war er schlau genug, den Hals hierzu nicht selbst herzugeben,<lb/>
sondern die Herren Pereire mit dem Beutel eintreten zu lassen, da diese einen<lb/>
Act der Privatrache an Schneider auszuüben hatten, -welcher sie bekanntlich,<lb/>
den Pouger-Guertier'schen Keulenschlägen gegenüber, in der Kammer ohne den<lb/>
sonst landesüblichen, präsidentiellen Schutz gelassen hatte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_180"> Neben diesen Intriguen gingen noch hundert andere her, deren Aufzäh¬<lb/>
lung für jetzt zu weit führen würde; &#x2014; aber das Kleeblatt Baragnon &#x2014; De-<lb/>
branz &#x2014; Ganesco &#x2014; gehört zu den Namen, die wie an einem Pegel den<lb/>
niedrigsten Purikt der öffentlichen Moral während des zweiten Kaiserreichs<lb/>
für Mit- und Nachwelt markiren.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Koethe und das Maß.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> ii.<lb/>
(Schluß.)</head><lb/>
            <p xml:id="ID_181"> In der heiter gestimmten Gegenwart übersah Goethe die ernsteren Er¬<lb/>
innerungen an die Vergangenheit des Landes nicht; auch für die geschicht¬<lb/>
lichen Gestaltungen zeigt hier der Dichter des Egmont einen offenen Blick.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0052] anrichten zu lassen. Nein, seine politische Ehrlichkeit und seine Börse gestatte¬ ten ihm nicht, über eine Tasse Cafe, (mit Cognac) hinauszugehen, und der Ur- wähler, dem das noch nicht genügte, bekam einen derben Händedruck und eine Rede mit in den Kauf, welche ihm ein oetroi- und steuerfreies, ja selbst polizeiloses Elysium in bestimmteste Aussicht stellte, sobald erst Herr Ganesco Mitglied des gesetzgebenden Körpers sein würde. In jene Zeit fällt auch seine Verbindung mit Rouher, der einen von Scrupeln ziemlich freien und sonst anstelligen Mann eben brauchte, um seinen intimen Feind, den Präsidenten des gesetzgebenden Körpers, Schneider, an dessen verwundbarster Stelle, in den Eisenwerken des Creuzot, zu fassen. Herr Ganesco hatte just das „Parlament" mit ägyptisch-türkisch-russischem Gelde (eine höchst achtbare und einheitliche Trinität) ins Leben gerufen, als die Strikes in Creu¬ zot ausbrachen, und natürlich das „Parlament" für die Socialisten und ihre Führer mit Feuer und Flamme gegen das große Capital und seine officiellen Vertreter eintrat. Rouher, der damals Schneidern seine politische Thätig¬ keit verleiden und diesen als seinen gefährlichsten Gegner außerhalb Paris beschäftigen wollte, ließ Tag für Tag mehre Tausend Exemplare des plötzlich socialistisch gewordenen Ganesco'schen „Parlament" in jenem Fabrikdistriete vertheilen; nur war er schlau genug, den Hals hierzu nicht selbst herzugeben, sondern die Herren Pereire mit dem Beutel eintreten zu lassen, da diese einen Act der Privatrache an Schneider auszuüben hatten, -welcher sie bekanntlich, den Pouger-Guertier'schen Keulenschlägen gegenüber, in der Kammer ohne den sonst landesüblichen, präsidentiellen Schutz gelassen hatte. Neben diesen Intriguen gingen noch hundert andere her, deren Aufzäh¬ lung für jetzt zu weit führen würde; — aber das Kleeblatt Baragnon — De- branz — Ganesco — gehört zu den Namen, die wie an einem Pegel den niedrigsten Purikt der öffentlichen Moral während des zweiten Kaiserreichs für Mit- und Nachwelt markiren. Koethe und das Maß. ii. (Schluß.) In der heiter gestimmten Gegenwart übersah Goethe die ernsteren Er¬ innerungen an die Vergangenheit des Landes nicht; auch für die geschicht¬ lichen Gestaltungen zeigt hier der Dichter des Egmont einen offenen Blick.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/52
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/52>, abgerufen am 22.07.2024.