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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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rechtigten und 23,933 Abstimmenden 28,743 für die Annexion, 160 mit Nein,
30 Stimmen waren ungültig. Am 29. Mai 1860 bestätigte die Deputirten-
kammer Italiens die in Folge dieses Plebiscits perfecte Annexion Nizzas an
Frankreich mit 223 gegen 36 Stimmen; 26 enthielten sich der Abstimmung.

Soweit die Denkschrift des Nizza-Comites. Ueber ihre praktische Bedeu¬
tung haben wir uns schon oben ausgesprochen. Die Achtung vor den Be¬
strebungen des Comite's würde bei allen Verständigen noch erheblich erhöht
werden, wenn dasselbe sich entschließen könnte, der thörichten Alternative zu
entsagen, welche es an die gütige Laune der Weltgeschichte stellt: Nizza näm¬
lich entweder an Italien zurückzugeben oder zum selbständigen Freistaat zu
machen. Man sollte meinen, das Schicksal habe nun schwer genug auf den
ehrlichen Italienern Nizzas gelastet, um ihnen das carnevalistische Behagen
an solch humoristischen Staatsgebilden für immer zu verleiden. Für ein
republikanisches Seitenstück zum Fürstenthum Monaco hat das neunzehnte
Jahrhundert schlechterdings keine Geburtsstätte.

Das Eine aber verfolgen auch wir Deutschen in dieser Denkschrift mit
zorniger Theilnahme: die schamlose Verhöhnung aller Ehre der italienischen
Station, aller Vertragstreue, die Frankreich sich Italien gegenüber herausnahm. An
zahlreichen Stellen der Darstellung drängt sich uns die Frage auf: "Aber konnte
die italienische Regierung solche Demüthigung dulden? Warum schritt sie
nicht unbarmherzig ein wider das landesverrätherische und völkerrechtswidrige
Treiben auf ihrem Boden ?" Die Antwort ist einfach. Jede Beschwerde bei Frank¬
reich wäre nutzlos gewesen, jede Selbsthilfe hätte zu noch empfindlicherer De¬
müthigung geführt. Was mußte ein Mann wie Cavour unter solchen Ver¬
hältnissen leiden! Vielleicht ist die Erinnerung an diese Thatsachen kräftig
genug, um die Italiener allmählich darüber aufzuklären, wo sie die Feinde,
wo die Freunde ihrer Ehre und Größe zu suchen haben.


H. B.


Ms Asch Geistesleben.

Wahrhaft erschütternd klingen die ^Worte, mit denen Hegel den eben
erschienenen zweiten ^- und letzten Band der Straßburger Städte¬
chroniken einleitet -- sie sind kurzgesagt die Todesanzeige all der reichen
Schätze, die im Bombardement von Straßburg zu Grunde gegangen. Un¬
wiederbringlich verloren ist uns so manche werthvolle Handschrift, verloren
u. A. die lange Reihe von Originalhandschriften der Chroniken aus dem


rechtigten und 23,933 Abstimmenden 28,743 für die Annexion, 160 mit Nein,
30 Stimmen waren ungültig. Am 29. Mai 1860 bestätigte die Deputirten-
kammer Italiens die in Folge dieses Plebiscits perfecte Annexion Nizzas an
Frankreich mit 223 gegen 36 Stimmen; 26 enthielten sich der Abstimmung.

Soweit die Denkschrift des Nizza-Comites. Ueber ihre praktische Bedeu¬
tung haben wir uns schon oben ausgesprochen. Die Achtung vor den Be¬
strebungen des Comite's würde bei allen Verständigen noch erheblich erhöht
werden, wenn dasselbe sich entschließen könnte, der thörichten Alternative zu
entsagen, welche es an die gütige Laune der Weltgeschichte stellt: Nizza näm¬
lich entweder an Italien zurückzugeben oder zum selbständigen Freistaat zu
machen. Man sollte meinen, das Schicksal habe nun schwer genug auf den
ehrlichen Italienern Nizzas gelastet, um ihnen das carnevalistische Behagen
an solch humoristischen Staatsgebilden für immer zu verleiden. Für ein
republikanisches Seitenstück zum Fürstenthum Monaco hat das neunzehnte
Jahrhundert schlechterdings keine Geburtsstätte.

Das Eine aber verfolgen auch wir Deutschen in dieser Denkschrift mit
zorniger Theilnahme: die schamlose Verhöhnung aller Ehre der italienischen
Station, aller Vertragstreue, die Frankreich sich Italien gegenüber herausnahm. An
zahlreichen Stellen der Darstellung drängt sich uns die Frage auf: „Aber konnte
die italienische Regierung solche Demüthigung dulden? Warum schritt sie
nicht unbarmherzig ein wider das landesverrätherische und völkerrechtswidrige
Treiben auf ihrem Boden ?" Die Antwort ist einfach. Jede Beschwerde bei Frank¬
reich wäre nutzlos gewesen, jede Selbsthilfe hätte zu noch empfindlicherer De¬
müthigung geführt. Was mußte ein Mann wie Cavour unter solchen Ver¬
hältnissen leiden! Vielleicht ist die Erinnerung an diese Thatsachen kräftig
genug, um die Italiener allmählich darüber aufzuklären, wo sie die Feinde,
wo die Freunde ihrer Ehre und Größe zu suchen haben.


H. B.


Ms Asch Geistesleben.

Wahrhaft erschütternd klingen die ^Worte, mit denen Hegel den eben
erschienenen zweiten ^- und letzten Band der Straßburger Städte¬
chroniken einleitet — sie sind kurzgesagt die Todesanzeige all der reichen
Schätze, die im Bombardement von Straßburg zu Grunde gegangen. Un¬
wiederbringlich verloren ist uns so manche werthvolle Handschrift, verloren
u. A. die lange Reihe von Originalhandschriften der Chroniken aus dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/139>, abgerufen am 28.06.2024.