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Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band.

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Die deutsche Krankenpflege im HabaKspital zu Aanzig.
Schluß.

Hatte unser Professor Alles, was die ärztliche Behandlung und Pflege
der Verwundeten betraf, mit wunderbarer Schnelligkeit vortrefflich in Stand
gesetzt, so schleppte sich das Departement der Verpflegungsangelegenheiten oder
von Küche und Keller in den ersten Wochen wie eine ewige Krankheit fort.
Man konnte da man che drastische Scene beobachten. In der Halle beschäftigt,
hörte ich einen Freudenschrei, sah nach der Richtung, woher er gekommen,
und erblickte unsere Pflegerin, die sich unbemerkt glaubend, ein kleines graues
Töpfchen mit unbeschreiblicher Rührung emporhielt. Man muß in Feindes¬
land sein, von allem Verkehr abgeschnitten, Hunderte von hingeschlachteten
Opfern darben sehen, und muß, glaube ich, auch ein Mutterherz haben, um
die Empfindung zu verstehen, dessen Ausdruck ich sah. -- Eine geöffnete Kiste
stand vor ihr und ließ den Zusammenhang errathen. Vielleicht war es con-
densirte Milch in der kuharmen Zeit. Doch, zu sentimentalen Hingebungen
blieb keine Zeit im Tabakspital. Eine Nonne eilte herbei und rief hastig:
"Elf ham's in der Küchen 's Feuer ausgeh'n lassen; kann schon gar kein
Leinsamenüberschlag mehr bekommen". Fort ging's mit Sturmeseile über
den Hof, ich folgte, und hörte, wie das Küchenpersonal achselzuckend erklärte,
es seien weder Kohlen noch Holz mehr da; das Feuer war erloschen, der
Heerd kalt, das Essen nicht fertig, Wärter und Nonnen standen umher, die
Einen wollten heißes Wasser, die Anderen Thee oder sonst was haben, wozu
Feuer Grundbedingung blieb. "Habt Ihr ein menschliches Herz im Leib?"
rief unsere Pflegerin und bot 10 Frs. für einen Korb Holz, worauf das
Brennmaterial wie durch Zauberkraft herbeigebracht wurde. Neue Schwer¬
verwundete kamen an, und während sie hinaufgetragen wurden, rückte eine
große Anzahl Leichtverwundeter an, die durch Hunger mehr noch, als durch
ihre Wunden entkräftet, mühsam sich in den Hof herein schleppten. Da wir
in unserem Flügel nicht Raum genug hatten, traf Professor Heine die An¬
ordnung, daß Simonin eine Anzahl unter seines Obhut nahm. Oft schon
hatten wir Kranke, die irrthümlich in unser Spital gewiesen worden waren,
mit Nahrung versehen, bevor wir sie weiter bringen ließen. Darüber sollten wir
eines Tages die Vorwürfe des Hausmeisters hören, welcher zu diesem Zweck
in die "Halle" kam. und theilweise unwahre Beschuldigungen sich erlaubte.
Unsere Pflegerin wies ihn nach Gebühr zurecht; gab ihm zu erwägen, daß
Tausende von seiner Nation in Deutschland verpflegt würden, und jeder ehren¬
werthe Franzose so unwürdige Reden verdammen müsse. Ein höhnisches


Die deutsche Krankenpflege im HabaKspital zu Aanzig.
Schluß.

Hatte unser Professor Alles, was die ärztliche Behandlung und Pflege
der Verwundeten betraf, mit wunderbarer Schnelligkeit vortrefflich in Stand
gesetzt, so schleppte sich das Departement der Verpflegungsangelegenheiten oder
von Küche und Keller in den ersten Wochen wie eine ewige Krankheit fort.
Man konnte da man che drastische Scene beobachten. In der Halle beschäftigt,
hörte ich einen Freudenschrei, sah nach der Richtung, woher er gekommen,
und erblickte unsere Pflegerin, die sich unbemerkt glaubend, ein kleines graues
Töpfchen mit unbeschreiblicher Rührung emporhielt. Man muß in Feindes¬
land sein, von allem Verkehr abgeschnitten, Hunderte von hingeschlachteten
Opfern darben sehen, und muß, glaube ich, auch ein Mutterherz haben, um
die Empfindung zu verstehen, dessen Ausdruck ich sah. — Eine geöffnete Kiste
stand vor ihr und ließ den Zusammenhang errathen. Vielleicht war es con-
densirte Milch in der kuharmen Zeit. Doch, zu sentimentalen Hingebungen
blieb keine Zeit im Tabakspital. Eine Nonne eilte herbei und rief hastig:
„Elf ham's in der Küchen 's Feuer ausgeh'n lassen; kann schon gar kein
Leinsamenüberschlag mehr bekommen". Fort ging's mit Sturmeseile über
den Hof, ich folgte, und hörte, wie das Küchenpersonal achselzuckend erklärte,
es seien weder Kohlen noch Holz mehr da; das Feuer war erloschen, der
Heerd kalt, das Essen nicht fertig, Wärter und Nonnen standen umher, die
Einen wollten heißes Wasser, die Anderen Thee oder sonst was haben, wozu
Feuer Grundbedingung blieb. „Habt Ihr ein menschliches Herz im Leib?"
rief unsere Pflegerin und bot 10 Frs. für einen Korb Holz, worauf das
Brennmaterial wie durch Zauberkraft herbeigebracht wurde. Neue Schwer¬
verwundete kamen an, und während sie hinaufgetragen wurden, rückte eine
große Anzahl Leichtverwundeter an, die durch Hunger mehr noch, als durch
ihre Wunden entkräftet, mühsam sich in den Hof herein schleppten. Da wir
in unserem Flügel nicht Raum genug hatten, traf Professor Heine die An¬
ordnung, daß Simonin eine Anzahl unter seines Obhut nahm. Oft schon
hatten wir Kranke, die irrthümlich in unser Spital gewiesen worden waren,
mit Nahrung versehen, bevor wir sie weiter bringen ließen. Darüber sollten wir
eines Tages die Vorwürfe des Hausmeisters hören, welcher zu diesem Zweck
in die „Halle" kam. und theilweise unwahre Beschuldigungen sich erlaubte.
Unsere Pflegerin wies ihn nach Gebühr zurecht; gab ihm zu erwägen, daß
Tausende von seiner Nation in Deutschland verpflegt würden, und jeder ehren¬
werthe Franzose so unwürdige Reden verdammen müsse. Ein höhnisches


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[0125] Die deutsche Krankenpflege im HabaKspital zu Aanzig. Schluß. Hatte unser Professor Alles, was die ärztliche Behandlung und Pflege der Verwundeten betraf, mit wunderbarer Schnelligkeit vortrefflich in Stand gesetzt, so schleppte sich das Departement der Verpflegungsangelegenheiten oder von Küche und Keller in den ersten Wochen wie eine ewige Krankheit fort. Man konnte da man che drastische Scene beobachten. In der Halle beschäftigt, hörte ich einen Freudenschrei, sah nach der Richtung, woher er gekommen, und erblickte unsere Pflegerin, die sich unbemerkt glaubend, ein kleines graues Töpfchen mit unbeschreiblicher Rührung emporhielt. Man muß in Feindes¬ land sein, von allem Verkehr abgeschnitten, Hunderte von hingeschlachteten Opfern darben sehen, und muß, glaube ich, auch ein Mutterherz haben, um die Empfindung zu verstehen, dessen Ausdruck ich sah. — Eine geöffnete Kiste stand vor ihr und ließ den Zusammenhang errathen. Vielleicht war es con- densirte Milch in der kuharmen Zeit. Doch, zu sentimentalen Hingebungen blieb keine Zeit im Tabakspital. Eine Nonne eilte herbei und rief hastig: „Elf ham's in der Küchen 's Feuer ausgeh'n lassen; kann schon gar kein Leinsamenüberschlag mehr bekommen". Fort ging's mit Sturmeseile über den Hof, ich folgte, und hörte, wie das Küchenpersonal achselzuckend erklärte, es seien weder Kohlen noch Holz mehr da; das Feuer war erloschen, der Heerd kalt, das Essen nicht fertig, Wärter und Nonnen standen umher, die Einen wollten heißes Wasser, die Anderen Thee oder sonst was haben, wozu Feuer Grundbedingung blieb. „Habt Ihr ein menschliches Herz im Leib?" rief unsere Pflegerin und bot 10 Frs. für einen Korb Holz, worauf das Brennmaterial wie durch Zauberkraft herbeigebracht wurde. Neue Schwer¬ verwundete kamen an, und während sie hinaufgetragen wurden, rückte eine große Anzahl Leichtverwundeter an, die durch Hunger mehr noch, als durch ihre Wunden entkräftet, mühsam sich in den Hof herein schleppten. Da wir in unserem Flügel nicht Raum genug hatten, traf Professor Heine die An¬ ordnung, daß Simonin eine Anzahl unter seines Obhut nahm. Oft schon hatten wir Kranke, die irrthümlich in unser Spital gewiesen worden waren, mit Nahrung versehen, bevor wir sie weiter bringen ließen. Darüber sollten wir eines Tages die Vorwürfe des Hausmeisters hören, welcher zu diesem Zweck in die „Halle" kam. und theilweise unwahre Beschuldigungen sich erlaubte. Unsere Pflegerin wies ihn nach Gebühr zurecht; gab ihm zu erwägen, daß Tausende von seiner Nation in Deutschland verpflegt würden, und jeder ehren¬ werthe Franzose so unwürdige Reden verdammen müsse. Ein höhnisches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 30, 1871, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341813_125243/125>, abgerufen am 28.06.2024.