Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

budget vom deutschen Standpunkt aus dadurch gerechtfertigt erscheine? Doch
enthalten wir uns auch hier wieder aller weiteren Reflexionen und consta-
tiren wir einfach: ein Bundesstaat ist das Reich nicht, dessen auswärtige In¬
teressen -- bei den europäischen Großmächten wenigstens -- durch einen
Haupt- und einen Assistenzgesandten vertreten werden.

Aber, wird man uns vielleicht entgegenhalten, was liegt denn daran,
ob das deutsche Reich in die doctrinäre Schablone des Bundesstaates paßt
oder nicht? Solches Raisonnement, welches unter uns leider häufiger ange¬
troffen wird, als man bei dem Volke Lessings dies erwarten sollte, verkennt
die Bedeutung einer wissenschaftlichen Formel, welche das kurz und präcis
sagt, was die Nicht-Fachleute mit mehr Worten und doch schlechter aus¬
drückn. Die weitläufige Bewegung, welche unsere deutsche Entwickelung
insofern gemacht hat, daß wir vom norddeutschen Bundesstaat zum deutschen
Reich mit staatenbündischen Allüren, von einem modernen Staatswesen auf
einem Theil des deutschen Gebiets zu einem mehr mittelalterlichen Staats¬
gebilde auf dem ganzen deutschen Gebiet gelangt sind, wird die bedeutsamsten
Folgen haben.

Nur auf eine derselben wollen wir zum Schluß noch aufmerksam machen.
Es läßt sich jetzt schon mit Gewißheit voraussehen, daß im nächsten deut¬
schen Parlament eine starke und bis in sehr gemäßigte Kreise (Ackermann,
Graf BethusyHue) hineinreichende Partei sich bilden wird, welche eine Re-
form der gegenwärtigen deutschen Verfassung im bundesstaatlichen Geist auf
ihr Programm schreibt. Die bayrische Regierung hat kraft des Verfassungs¬
bündnisses das Recht, den Bestrebungen dieser Partei ihr Veto entgegen¬
zusetzen. Aber dieses Recht wird mit großer Umsicht und vielem Tact ge¬
braucht werden müssen, wenn nicht eine gedeihliche Entwickelung unserer
deutschen Verfassungszustande durch dasselbe gehemmt und die erwähnte Re-
formpartei nicht allmählich in unitarische Tendenzen hineingedrängt
werden soll-




Briefe aus der Sturm" und Drangperwde. III.
is.
Agnes Klinger an Kayser.

Frankfurt d. 18 Aug. 1776.

Verzeihen Sie, daß ich ihren lieben Brief letzt erst beantworte
wegen vielen Geschäften und ander Verrüchtung, die mich davon abbieten


budget vom deutschen Standpunkt aus dadurch gerechtfertigt erscheine? Doch
enthalten wir uns auch hier wieder aller weiteren Reflexionen und consta-
tiren wir einfach: ein Bundesstaat ist das Reich nicht, dessen auswärtige In¬
teressen — bei den europäischen Großmächten wenigstens — durch einen
Haupt- und einen Assistenzgesandten vertreten werden.

Aber, wird man uns vielleicht entgegenhalten, was liegt denn daran,
ob das deutsche Reich in die doctrinäre Schablone des Bundesstaates paßt
oder nicht? Solches Raisonnement, welches unter uns leider häufiger ange¬
troffen wird, als man bei dem Volke Lessings dies erwarten sollte, verkennt
die Bedeutung einer wissenschaftlichen Formel, welche das kurz und präcis
sagt, was die Nicht-Fachleute mit mehr Worten und doch schlechter aus¬
drückn. Die weitläufige Bewegung, welche unsere deutsche Entwickelung
insofern gemacht hat, daß wir vom norddeutschen Bundesstaat zum deutschen
Reich mit staatenbündischen Allüren, von einem modernen Staatswesen auf
einem Theil des deutschen Gebiets zu einem mehr mittelalterlichen Staats¬
gebilde auf dem ganzen deutschen Gebiet gelangt sind, wird die bedeutsamsten
Folgen haben.

Nur auf eine derselben wollen wir zum Schluß noch aufmerksam machen.
Es läßt sich jetzt schon mit Gewißheit voraussehen, daß im nächsten deut¬
schen Parlament eine starke und bis in sehr gemäßigte Kreise (Ackermann,
Graf BethusyHue) hineinreichende Partei sich bilden wird, welche eine Re-
form der gegenwärtigen deutschen Verfassung im bundesstaatlichen Geist auf
ihr Programm schreibt. Die bayrische Regierung hat kraft des Verfassungs¬
bündnisses das Recht, den Bestrebungen dieser Partei ihr Veto entgegen¬
zusetzen. Aber dieses Recht wird mit großer Umsicht und vielem Tact ge¬
braucht werden müssen, wenn nicht eine gedeihliche Entwickelung unserer
deutschen Verfassungszustande durch dasselbe gehemmt und die erwähnte Re-
formpartei nicht allmählich in unitarische Tendenzen hineingedrängt
werden soll-




Briefe aus der Sturm» und Drangperwde. III.
is.
Agnes Klinger an Kayser.

Frankfurt d. 18 Aug. 1776.

Verzeihen Sie, daß ich ihren lieben Brief letzt erst beantworte
wegen vielen Geschäften und ander Verrüchtung, die mich davon abbieten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/125212"/>
          <p xml:id="ID_1542" prev="#ID_1541"> budget vom deutschen Standpunkt aus dadurch gerechtfertigt erscheine? Doch<lb/>
enthalten wir uns auch hier wieder aller weiteren Reflexionen und consta-<lb/>
tiren wir einfach: ein Bundesstaat ist das Reich nicht, dessen auswärtige In¬<lb/>
teressen &#x2014; bei den europäischen Großmächten wenigstens &#x2014; durch einen<lb/>
Haupt- und einen Assistenzgesandten vertreten werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1543"> Aber, wird man uns vielleicht entgegenhalten, was liegt denn daran,<lb/>
ob das deutsche Reich in die doctrinäre Schablone des Bundesstaates paßt<lb/>
oder nicht? Solches Raisonnement, welches unter uns leider häufiger ange¬<lb/>
troffen wird, als man bei dem Volke Lessings dies erwarten sollte, verkennt<lb/>
die Bedeutung einer wissenschaftlichen Formel, welche das kurz und präcis<lb/>
sagt, was die Nicht-Fachleute mit mehr Worten und doch schlechter aus¬<lb/>
drückn. Die weitläufige Bewegung, welche unsere deutsche Entwickelung<lb/>
insofern gemacht hat, daß wir vom norddeutschen Bundesstaat zum deutschen<lb/>
Reich mit staatenbündischen Allüren, von einem modernen Staatswesen auf<lb/>
einem Theil des deutschen Gebiets zu einem mehr mittelalterlichen Staats¬<lb/>
gebilde auf dem ganzen deutschen Gebiet gelangt sind, wird die bedeutsamsten<lb/>
Folgen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1544"> Nur auf eine derselben wollen wir zum Schluß noch aufmerksam machen.<lb/>
Es läßt sich jetzt schon mit Gewißheit voraussehen, daß im nächsten deut¬<lb/>
schen Parlament eine starke und bis in sehr gemäßigte Kreise (Ackermann,<lb/>
Graf BethusyHue) hineinreichende Partei sich bilden wird, welche eine Re-<lb/>
form der gegenwärtigen deutschen Verfassung im bundesstaatlichen Geist auf<lb/>
ihr Programm schreibt. Die bayrische Regierung hat kraft des Verfassungs¬<lb/>
bündnisses das Recht, den Bestrebungen dieser Partei ihr Veto entgegen¬<lb/>
zusetzen. Aber dieses Recht wird mit großer Umsicht und vielem Tact ge¬<lb/>
braucht werden müssen, wenn nicht eine gedeihliche Entwickelung unserer<lb/>
deutschen Verfassungszustande durch dasselbe gehemmt und die erwähnte Re-<lb/>
formpartei nicht allmählich in unitarische Tendenzen hineingedrängt<lb/>
werden soll-</p><lb/>
          <note type="byline"/><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Briefe aus der Sturm» und Drangperwde. III.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> is.<lb/>
Agnes Klinger an Kayser.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1545"> Frankfurt d. 18 Aug. 1776.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1546" next="#ID_1547"> Verzeihen Sie, daß  ich ihren lieben Brief letzt erst beantworte<lb/>
wegen vielen Geschäften und ander Verrüchtung, die mich davon abbieten</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] budget vom deutschen Standpunkt aus dadurch gerechtfertigt erscheine? Doch enthalten wir uns auch hier wieder aller weiteren Reflexionen und consta- tiren wir einfach: ein Bundesstaat ist das Reich nicht, dessen auswärtige In¬ teressen — bei den europäischen Großmächten wenigstens — durch einen Haupt- und einen Assistenzgesandten vertreten werden. Aber, wird man uns vielleicht entgegenhalten, was liegt denn daran, ob das deutsche Reich in die doctrinäre Schablone des Bundesstaates paßt oder nicht? Solches Raisonnement, welches unter uns leider häufiger ange¬ troffen wird, als man bei dem Volke Lessings dies erwarten sollte, verkennt die Bedeutung einer wissenschaftlichen Formel, welche das kurz und präcis sagt, was die Nicht-Fachleute mit mehr Worten und doch schlechter aus¬ drückn. Die weitläufige Bewegung, welche unsere deutsche Entwickelung insofern gemacht hat, daß wir vom norddeutschen Bundesstaat zum deutschen Reich mit staatenbündischen Allüren, von einem modernen Staatswesen auf einem Theil des deutschen Gebiets zu einem mehr mittelalterlichen Staats¬ gebilde auf dem ganzen deutschen Gebiet gelangt sind, wird die bedeutsamsten Folgen haben. Nur auf eine derselben wollen wir zum Schluß noch aufmerksam machen. Es läßt sich jetzt schon mit Gewißheit voraussehen, daß im nächsten deut¬ schen Parlament eine starke und bis in sehr gemäßigte Kreise (Ackermann, Graf BethusyHue) hineinreichende Partei sich bilden wird, welche eine Re- form der gegenwärtigen deutschen Verfassung im bundesstaatlichen Geist auf ihr Programm schreibt. Die bayrische Regierung hat kraft des Verfassungs¬ bündnisses das Recht, den Bestrebungen dieser Partei ihr Veto entgegen¬ zusetzen. Aber dieses Recht wird mit großer Umsicht und vielem Tact ge¬ braucht werden müssen, wenn nicht eine gedeihliche Entwickelung unserer deutschen Verfassungszustande durch dasselbe gehemmt und die erwähnte Re- formpartei nicht allmählich in unitarische Tendenzen hineingedrängt werden soll- Briefe aus der Sturm» und Drangperwde. III. is. Agnes Klinger an Kayser. Frankfurt d. 18 Aug. 1776. Verzeihen Sie, daß ich ihren lieben Brief letzt erst beantworte wegen vielen Geschäften und ander Verrüchtung, die mich davon abbieten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/506>, abgerufen am 22.12.2024.