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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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neben zählt die eigentliche Regierungspartei über 20 Abgeordnete, ein Zu¬
wachs, der um so begreiflicher erscheint, als das Volk offenbar der ewigen
Agitation der Volkpartei müde geworden ist. Uebrigens haben deutsche und
Regierungs-Partei durchaus einträchtig zusammengewirkt, und man dürfte
in der loyalen Haltung der Regierung während der Wahlen zugleich einen
Beweis dasür sehen, daß dieselbe entschlossen ist. ehrlich in die Bahn der
neuen Bundespolitik einzutreten. Die vereinigte Linke, Klerikale und Radi¬
kale, ist auf 15--20 Stimmen zusammengeschmolzen, und so ist mit dem Aus¬
fall der Wahlen auch das Schicksal des Anschlußvertrags in der Kammer
entschieden. Unter den Volksabgeordneten allein ist die zur Annahme erfor¬
derliche Zweidrittelsmehrheit vorhanden, und dazu kommen noch die etliche
20 privilegirten Stimmen der Ritter- und Prälatenbank, die gleichfalls alle
dem Anschluß gesichert sind. Die Ritterschaft hat in ihren Wahlen vollends
alle zweifelhaften "großdeutschen" Elemente entfernt und ausschließlich national
gewählt, wenn man nicht etwa den Frhrn. v. Varnbüler ausnehmen will,
der aber gleichfalls für den Vertrag stimmen wird.

So ist denn durch diese Wahlen eine durchgreifende Aenderung in un¬
serm Parteiwesen herbeigeführt. Die deutsche Partei, bisher eine kleine Min¬
derheit, ist heute zur stärksten Partei geworden, und wenn damit der Anschluß
an den norddeutschen Bund entschieden ist, so wird zugleich die Rückwirkung
auf das innere politische Leben des Einzelstaates die wohlthätigste sein.
Württemberg wird es in Bälde erfahren, daß durch den staatlichen Anschluß
an Deutschland auch seine inneren Einrichtungen gedeihlicher sich entwickeln
können, als dies unter den ewigen Hemmnissen eines erbitterten und frucht¬
losen Parteigezänks möglich war. Und so schließt denn das gewaltige Jahr,
das uns in Sturm und Wetter die deutsche Einheit bringt, unter den erfreu"
lichen Anzeichen ab, daß auch den einzelnen Gliedern neues frisches Leben
/. zuströmen wird aus ihrer Verbindung zum neuen Reich!




Kriegsbericht.
Die Beschießung von Paris.

Das Bombardement von Paris wird nach den hartnäckigen Kämpfen
an der Marne vom 29. Nov. bis zum 2. Dec. in ganz Deutschland mit Un¬
geduld gefordert. Unter den Gründen, mit welchen man die Verzögerung zu
erklären sucht, sind die am eifrigsten umhergetragen worden, welche die Be¬
denken unserer Armeeleitung auf die Einwirkung deutscher und fremder
Fürstinnen zurückführen. Dies ist unwahres und thörichtes Geschwätz, und sollte
nirgend geglaubt werden, wo man Vertrauen zu der Einsicht und zu dem
Gewissen unseres Overcommando's haben will. Hoffentlich ist der Tag nicht
fern, wo der Generalstab des Hauptquartiers selbst eine kurze aber aus¬
reichende Motivirung seiner Dispositionen geben wird -- nach der Ueber¬
gabe. Bis dahin möge, was man nicht aussprechen kann, der deutsche Lefer
sich selbst deuten, wenn er folgenden Thatsachen Beachtung gönnt.-- Der
Ring, in welchem die Forts Paris schützend umschließen, hat 6^/,--7 deutsche
Meilen Kreisumsang, der Ring, in welchem unsere Batterien die Forts mit
der Stadt einschließen könnten, würde -- abgesehen von der Terrainbeschaffen-


neben zählt die eigentliche Regierungspartei über 20 Abgeordnete, ein Zu¬
wachs, der um so begreiflicher erscheint, als das Volk offenbar der ewigen
Agitation der Volkpartei müde geworden ist. Uebrigens haben deutsche und
Regierungs-Partei durchaus einträchtig zusammengewirkt, und man dürfte
in der loyalen Haltung der Regierung während der Wahlen zugleich einen
Beweis dasür sehen, daß dieselbe entschlossen ist. ehrlich in die Bahn der
neuen Bundespolitik einzutreten. Die vereinigte Linke, Klerikale und Radi¬
kale, ist auf 15—20 Stimmen zusammengeschmolzen, und so ist mit dem Aus¬
fall der Wahlen auch das Schicksal des Anschlußvertrags in der Kammer
entschieden. Unter den Volksabgeordneten allein ist die zur Annahme erfor¬
derliche Zweidrittelsmehrheit vorhanden, und dazu kommen noch die etliche
20 privilegirten Stimmen der Ritter- und Prälatenbank, die gleichfalls alle
dem Anschluß gesichert sind. Die Ritterschaft hat in ihren Wahlen vollends
alle zweifelhaften „großdeutschen" Elemente entfernt und ausschließlich national
gewählt, wenn man nicht etwa den Frhrn. v. Varnbüler ausnehmen will,
der aber gleichfalls für den Vertrag stimmen wird.

So ist denn durch diese Wahlen eine durchgreifende Aenderung in un¬
serm Parteiwesen herbeigeführt. Die deutsche Partei, bisher eine kleine Min¬
derheit, ist heute zur stärksten Partei geworden, und wenn damit der Anschluß
an den norddeutschen Bund entschieden ist, so wird zugleich die Rückwirkung
auf das innere politische Leben des Einzelstaates die wohlthätigste sein.
Württemberg wird es in Bälde erfahren, daß durch den staatlichen Anschluß
an Deutschland auch seine inneren Einrichtungen gedeihlicher sich entwickeln
können, als dies unter den ewigen Hemmnissen eines erbitterten und frucht¬
losen Parteigezänks möglich war. Und so schließt denn das gewaltige Jahr,
das uns in Sturm und Wetter die deutsche Einheit bringt, unter den erfreu«
lichen Anzeichen ab, daß auch den einzelnen Gliedern neues frisches Leben
/. zuströmen wird aus ihrer Verbindung zum neuen Reich!




Kriegsbericht.
Die Beschießung von Paris.

Das Bombardement von Paris wird nach den hartnäckigen Kämpfen
an der Marne vom 29. Nov. bis zum 2. Dec. in ganz Deutschland mit Un¬
geduld gefordert. Unter den Gründen, mit welchen man die Verzögerung zu
erklären sucht, sind die am eifrigsten umhergetragen worden, welche die Be¬
denken unserer Armeeleitung auf die Einwirkung deutscher und fremder
Fürstinnen zurückführen. Dies ist unwahres und thörichtes Geschwätz, und sollte
nirgend geglaubt werden, wo man Vertrauen zu der Einsicht und zu dem
Gewissen unseres Overcommando's haben will. Hoffentlich ist der Tag nicht
fern, wo der Generalstab des Hauptquartiers selbst eine kurze aber aus¬
reichende Motivirung seiner Dispositionen geben wird — nach der Ueber¬
gabe. Bis dahin möge, was man nicht aussprechen kann, der deutsche Lefer
sich selbst deuten, wenn er folgenden Thatsachen Beachtung gönnt.— Der
Ring, in welchem die Forts Paris schützend umschließen, hat 6^/,—7 deutsche
Meilen Kreisumsang, der Ring, in welchem unsere Batterien die Forts mit
der Stadt einschließen könnten, würde — abgesehen von der Terrainbeschaffen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/482>, abgerufen am 22.12.2024.