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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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war nahezu soweit hergestellt, daß sie dem Bahnversehre wieder übergeben
werden konnte, als ich den überrheinischen Boden verließ.


Th. H.


Aus Schwaben.

Der Eintritt Württembergs in den neuen deutschen Bund ist Hier¬
zuland nicht grade mit großem Enthusiasmus aufgenommen worden. Da
und dort wurde die neubeschaffte schwarz-weiß-rothe Fahne auf den Giebel
des Hauses gesteckt. In einigen Orten erlaubte sich die nationale Partei ein
Freudenbanket zu feiern, wozu ihr bekanntlich in Württemberg bislang selten
Anlaß gegeben war. Die bürgerlichen Collegien der Stadt Stuttgart rich¬
teten an den König eine Dankadresse, welche jetzt huldvoller aufgenommen
wurde als jene Adresse der Landesversammlung, die um den Anschluß an
den norddeutschen Bund bat zu einer Zeit, da die allerhöchsten Entschlüsse
in der Stuttgarter Königsburg noch nicht völlig gereift waren. Im Uebri-
gen verursachte das Ereigniß, über welches doch seit vier Jahren -- so lange
es in unerreichbarer Ferne stand -- so heftige Fehde geführt worden war
nun da es eintrat, nur geringe Bewegung. Fast von allen Seiten stand
man zunächst kühl der Sache gegenüber, verstimmt durch die ermüdende Ge¬
schichte der Vorverhandlungen. Zwar waren zum Enthusiasmus geneigte
Gemüther schon durch die norddeutsche Bundesverfassung nicht verwöhnt, die
Prosa hatte sich damals sehr ersprießlich erwiesen, und man hatte gelernt,
bei politischen Verfassungen mehr auf Solidität als auf angenehmes Aeußere
zu halten, Aber die Art, wie nun jetzt der Handel betrieben wird, und von
den wohlbemessenen Paragraphen der Nordbundesverfassung theils im In¬
teresse der fürstlichen Souveränetäten, theils in dem des Sondernutzens der
einzelnen Vaterländer heruntergefeilscht wurde, war doch allzu unerquicklich.
In dieser Beziehung war die Oeffentlichkeit hinderlich, welcher sich heutzutage
auch die vertraulicheren Verhandlungen der Diplomatie nicht mehr entziehen
können. Denn nicht mehr die diplomatischen Acte allein, sondern auch ihre
mühselige Vorgeschichte mit allen mehr oder minder erfreulichen Details,
mit allen Zögerungen, Einwürfen und Hemmnissen pflegt sich heutzutag der
öffentlichen Kenntniß und Kritik preiszugeben und beeinträchtigt im Voraus
auch den Eindruck großer Dinge. Auch die Befriedigten vermißten doch den
großen Wurf, der einem solchen Werk gezieme. Die deutsche Partei, die sich


war nahezu soweit hergestellt, daß sie dem Bahnversehre wieder übergeben
werden konnte, als ich den überrheinischen Boden verließ.


Th. H.


Aus Schwaben.

Der Eintritt Württembergs in den neuen deutschen Bund ist Hier¬
zuland nicht grade mit großem Enthusiasmus aufgenommen worden. Da
und dort wurde die neubeschaffte schwarz-weiß-rothe Fahne auf den Giebel
des Hauses gesteckt. In einigen Orten erlaubte sich die nationale Partei ein
Freudenbanket zu feiern, wozu ihr bekanntlich in Württemberg bislang selten
Anlaß gegeben war. Die bürgerlichen Collegien der Stadt Stuttgart rich¬
teten an den König eine Dankadresse, welche jetzt huldvoller aufgenommen
wurde als jene Adresse der Landesversammlung, die um den Anschluß an
den norddeutschen Bund bat zu einer Zeit, da die allerhöchsten Entschlüsse
in der Stuttgarter Königsburg noch nicht völlig gereift waren. Im Uebri-
gen verursachte das Ereigniß, über welches doch seit vier Jahren — so lange
es in unerreichbarer Ferne stand — so heftige Fehde geführt worden war
nun da es eintrat, nur geringe Bewegung. Fast von allen Seiten stand
man zunächst kühl der Sache gegenüber, verstimmt durch die ermüdende Ge¬
schichte der Vorverhandlungen. Zwar waren zum Enthusiasmus geneigte
Gemüther schon durch die norddeutsche Bundesverfassung nicht verwöhnt, die
Prosa hatte sich damals sehr ersprießlich erwiesen, und man hatte gelernt,
bei politischen Verfassungen mehr auf Solidität als auf angenehmes Aeußere
zu halten, Aber die Art, wie nun jetzt der Handel betrieben wird, und von
den wohlbemessenen Paragraphen der Nordbundesverfassung theils im In¬
teresse der fürstlichen Souveränetäten, theils in dem des Sondernutzens der
einzelnen Vaterländer heruntergefeilscht wurde, war doch allzu unerquicklich.
In dieser Beziehung war die Oeffentlichkeit hinderlich, welcher sich heutzutage
auch die vertraulicheren Verhandlungen der Diplomatie nicht mehr entziehen
können. Denn nicht mehr die diplomatischen Acte allein, sondern auch ihre
mühselige Vorgeschichte mit allen mehr oder minder erfreulichen Details,
mit allen Zögerungen, Einwürfen und Hemmnissen pflegt sich heutzutag der
öffentlichen Kenntniß und Kritik preiszugeben und beeinträchtigt im Voraus
auch den Eindruck großer Dinge. Auch die Befriedigten vermißten doch den
großen Wurf, der einem solchen Werk gezieme. Die deutsche Partei, die sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/477>, abgerufen am 22.12.2024.