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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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der mit einer unter unsrer Mitwirkung eingesetzten Regierung abgeschlossen
gewesen wäre, niemals als bindend anerkannt. Wir glauben auch, daß, ehe
nicht die militärische Widerstandskraft Frankreichs vollkommen ftebrochen ist,
wir kein Interesse haben, ihm wieder zu einer geordneten Regierung zu
verhelfen.




Aus Gaziern.

Wenn es wahr ist, was der Dichter sagt: "Des Lebens ungemischte
Freude ward keinem Sterblichen zu Theil", so sind wir Bayern im höchsten
Grade sterblich. In den Jubel, der den hochherzigen Entschluß unseres Königs
am 16. Juli begrüßte, mischte sich die Sorge um die Haltung unsrer Volks¬
vertreter. Als am 19. Juli auch diese den verlangten Credit bewilligten,
fehlte es nicht an schwarzsehenden Gemüthern, welche vom Standpunkte der
national-deutschen Frage aus dies als einen Pyrrhussieg betrachteten, und
sich durch die entscheidende durchaus particularistisch gehaltene Rede des Kriegs¬
ministers für die Zukunft ernstlich beunruhigt fühlten. Und als nun die
herzeifreuenden Nachrichten von der Tapferkeit und Kriegstüchtigkeit auch
unsrer Truppen eintrafen, Häuser und Straßen sich mit grünem Laube und
wehenden Fahnen schmückten, da erschien wohl Manchem das Fehlen des
Schwarzweißroth als ein Symbol für die mächtig erstarkte particuläre Ge¬
sinnung, für ein bayrisches Selbstgefühl, das -- man wird es uns zugestehen --
seit Jahrhunderten nicht so entschiedene Berechtigung hatte, wie heute. --
Sedan bezeichnete auch für unsre nationale Stimmung den Höhepunkt, und
das Barometer unsrer Begeisterung ist seitdem allgemach bis auf veränderlich
herabgesunken. Denn während es Anfangs schien, als solle Bayern mit
fliegenden Fahnen in den Bund eintreten, so begann man allmählich sich
der ungewohnten Geltung bewußt zu werden und entsann sich dessen, daß
"wir Bayern freiheitlich dem Norden voraus sind", daß es unveräußerliche
Kronrechte gibt, daß wir Alles haben was zu einem Reiche gehört, Bürger
und Soldaten, eine Reichsraths- und eine Abgeordnetenkammer, welche seit
geraumer Zeit in ihrer Majorität dem Volke manche ernste und heitere
Augenblicke, der Regierung nicht wenig sorgenvolle Stunden bereitet hatte.
Es ist nicht zu verwundern, daß der größte Theil unsrer Bevölkerung, zu¬
frieden mit den Lorbeeren, die die Gegenwart brachte, die Zukunft wieder
aus den Augen verlor, so erfolgreich auch der durch die rührige Fortschritts¬
partei hervorgerufene Adressensturm das ganze Land selbst bis in die ent¬
legensten Wohnsitze des autochthonen Ultramontanismus durchwehte. Die
Kapitulation von Metz ging hier ohne sonderlichen Eindruck zu machen
vorüber.

Doch fehlte es nicht an kleinen besorgnißerweckenden Anzeichen. Die
Ernennung des Herrn von Schrenk zum Gesandten in Wien überraschte.
Seine frühere diplomatische Thätigkeit war ihm unvergessen, und auch ohne
die Lichtblicke die, wenn wir recht berichtet sind, durch die handschriftlichen
Studien des Hauptquartiers in jüngster Zeit auf seine Bestrebungen fallen,
wußte man ungefähr, wessen man sich von ihm zu versehen hatte. Auch daß
der Name von der Pfordten wieder auftauchte, erregte manch sorgenschweres
Kopfschütteln. Am bedenklichsten aber war ohne Zweifel, daß die Regierung


der mit einer unter unsrer Mitwirkung eingesetzten Regierung abgeschlossen
gewesen wäre, niemals als bindend anerkannt. Wir glauben auch, daß, ehe
nicht die militärische Widerstandskraft Frankreichs vollkommen ftebrochen ist,
wir kein Interesse haben, ihm wieder zu einer geordneten Regierung zu
verhelfen.




Aus Gaziern.

Wenn es wahr ist, was der Dichter sagt: „Des Lebens ungemischte
Freude ward keinem Sterblichen zu Theil", so sind wir Bayern im höchsten
Grade sterblich. In den Jubel, der den hochherzigen Entschluß unseres Königs
am 16. Juli begrüßte, mischte sich die Sorge um die Haltung unsrer Volks¬
vertreter. Als am 19. Juli auch diese den verlangten Credit bewilligten,
fehlte es nicht an schwarzsehenden Gemüthern, welche vom Standpunkte der
national-deutschen Frage aus dies als einen Pyrrhussieg betrachteten, und
sich durch die entscheidende durchaus particularistisch gehaltene Rede des Kriegs¬
ministers für die Zukunft ernstlich beunruhigt fühlten. Und als nun die
herzeifreuenden Nachrichten von der Tapferkeit und Kriegstüchtigkeit auch
unsrer Truppen eintrafen, Häuser und Straßen sich mit grünem Laube und
wehenden Fahnen schmückten, da erschien wohl Manchem das Fehlen des
Schwarzweißroth als ein Symbol für die mächtig erstarkte particuläre Ge¬
sinnung, für ein bayrisches Selbstgefühl, das — man wird es uns zugestehen —
seit Jahrhunderten nicht so entschiedene Berechtigung hatte, wie heute. —
Sedan bezeichnete auch für unsre nationale Stimmung den Höhepunkt, und
das Barometer unsrer Begeisterung ist seitdem allgemach bis auf veränderlich
herabgesunken. Denn während es Anfangs schien, als solle Bayern mit
fliegenden Fahnen in den Bund eintreten, so begann man allmählich sich
der ungewohnten Geltung bewußt zu werden und entsann sich dessen, daß
„wir Bayern freiheitlich dem Norden voraus sind", daß es unveräußerliche
Kronrechte gibt, daß wir Alles haben was zu einem Reiche gehört, Bürger
und Soldaten, eine Reichsraths- und eine Abgeordnetenkammer, welche seit
geraumer Zeit in ihrer Majorität dem Volke manche ernste und heitere
Augenblicke, der Regierung nicht wenig sorgenvolle Stunden bereitet hatte.
Es ist nicht zu verwundern, daß der größte Theil unsrer Bevölkerung, zu¬
frieden mit den Lorbeeren, die die Gegenwart brachte, die Zukunft wieder
aus den Augen verlor, so erfolgreich auch der durch die rührige Fortschritts¬
partei hervorgerufene Adressensturm das ganze Land selbst bis in die ent¬
legensten Wohnsitze des autochthonen Ultramontanismus durchwehte. Die
Kapitulation von Metz ging hier ohne sonderlichen Eindruck zu machen
vorüber.

Doch fehlte es nicht an kleinen besorgnißerweckenden Anzeichen. Die
Ernennung des Herrn von Schrenk zum Gesandten in Wien überraschte.
Seine frühere diplomatische Thätigkeit war ihm unvergessen, und auch ohne
die Lichtblicke die, wenn wir recht berichtet sind, durch die handschriftlichen
Studien des Hauptquartiers in jüngster Zeit auf seine Bestrebungen fallen,
wußte man ungefähr, wessen man sich von ihm zu versehen hatte. Auch daß
der Name von der Pfordten wieder auftauchte, erregte manch sorgenschweres
Kopfschütteln. Am bedenklichsten aber war ohne Zweifel, daß die Regierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/325>, abgerufen am 22.12.2024.