Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutsche Nordpoljnhrt.

Die tapfern Männer, welche am 16. Juni 1869 auf zwei Schiffen die
Weser verließen, um im Eise des Nordpolarmeeres auf wissenschaftliche Err
deckungen auszugehen, sind heimgekehrt. Als sie davon segelten, standen
König Wilhelm von Preußen und seine großen Rathgeber theilnehmend, guter
Wünsche voll am menschen gefüllten Gestade; heute können Wenige ihres
Empfanges achten, denn mit Staunen und bewunderndem Entzücken hören
unsere Nordpolsucher, zu welchen Großthaten der greise königliche Held mit
seinen Staatsmännern, Feldherren und Heerscharen über den Rhein gezogen
ist. Und doch kommen jene keineswegs mit leeren Händen. Auch sie haben
des deutschen Namens werth gelitten und gekämpft, um ein würdiges öffent¬
liches Ziel zu erreichen.

Ihre Schicksale sind freilich sehr verschiedenartig ausgefallen. Schon am
20. Juli 1869 wurde die "Hansa" definitiv von der "Germania" getrennt, und
erst nach vollendeter Fahrt in Bremen sahen die Kameraden sich wieder.
Die "Hansa", ein Segelschiff, fror früh im September im Eise fest, ohne
Grönlands Ostküste, das nächste Ziel der Expedition, erreicht zu haben; am
19. October sank sie unter. Ihre Bemannung hatte sich inzwischen aus Stein¬
kohle, die sie für den Dampfer "Germania" zur Aushilfe an Bord hatte,
ein Haus auf einem großen Eisfelde von etwa sieben Seemeilen Geviertin¬
halt erbaut. So lange dieses Obdach erhalten blieb, ging es ihr leidlich.
Sie schwamm mit dem Eise nach Süden fast so behaglich wie im Schiffe.
Aber im Januar begann die große Eisscholle sich in kleine zu zerbröckeln.
Während die Kälte größer und das Wetter schlechter als je war, mußten
die Schiffbrüchigen aus ihrem Hause.^das mit seinem gefrorenen Fundament
zerbarst, erst in die Boote zurückkriechen, dann sich ein neues Haus auf dem
Reste des ursprünglichen Eisfeldes erbauen. Zweihundert Tage brachten sie
so auf schwimmendem Eise zu. Dann kam der Frühling, und sie konnten in
dem lichter werdenden Meere daran denken, die Boote zu besteigen, um zu den
Ansiedlungen des südwestlichen Grönland oder nach Island zu gelangen. Aber
noch warteten ihrer ungeheuere Anstrengungen, nämlich um die Boote übers
Eis hinweg in freies Fahrwasser zu schieben. Am 13. Juni endlich landeten
sie in Friedrichsthal, einer Missionsniederlassung an der Südspitze von Grön¬
land, wo zwei deutsche Missionen sie an der Sprache erkannten und freudig
bewillkommten; am 22. Juni bestiegen sie in der Colonie Julianehaab die
dänische Brig "Constance", erreichten mit dieser am 1. September Kopen¬
hagen -- wo sie vom Lootsen die großen Neuigkeiten des Tages erfuhren --
und am 7. September Bremen.


Deutsche Nordpoljnhrt.

Die tapfern Männer, welche am 16. Juni 1869 auf zwei Schiffen die
Weser verließen, um im Eise des Nordpolarmeeres auf wissenschaftliche Err
deckungen auszugehen, sind heimgekehrt. Als sie davon segelten, standen
König Wilhelm von Preußen und seine großen Rathgeber theilnehmend, guter
Wünsche voll am menschen gefüllten Gestade; heute können Wenige ihres
Empfanges achten, denn mit Staunen und bewunderndem Entzücken hören
unsere Nordpolsucher, zu welchen Großthaten der greise königliche Held mit
seinen Staatsmännern, Feldherren und Heerscharen über den Rhein gezogen
ist. Und doch kommen jene keineswegs mit leeren Händen. Auch sie haben
des deutschen Namens werth gelitten und gekämpft, um ein würdiges öffent¬
liches Ziel zu erreichen.

Ihre Schicksale sind freilich sehr verschiedenartig ausgefallen. Schon am
20. Juli 1869 wurde die „Hansa" definitiv von der „Germania" getrennt, und
erst nach vollendeter Fahrt in Bremen sahen die Kameraden sich wieder.
Die „Hansa", ein Segelschiff, fror früh im September im Eise fest, ohne
Grönlands Ostküste, das nächste Ziel der Expedition, erreicht zu haben; am
19. October sank sie unter. Ihre Bemannung hatte sich inzwischen aus Stein¬
kohle, die sie für den Dampfer „Germania" zur Aushilfe an Bord hatte,
ein Haus auf einem großen Eisfelde von etwa sieben Seemeilen Geviertin¬
halt erbaut. So lange dieses Obdach erhalten blieb, ging es ihr leidlich.
Sie schwamm mit dem Eise nach Süden fast so behaglich wie im Schiffe.
Aber im Januar begann die große Eisscholle sich in kleine zu zerbröckeln.
Während die Kälte größer und das Wetter schlechter als je war, mußten
die Schiffbrüchigen aus ihrem Hause.^das mit seinem gefrorenen Fundament
zerbarst, erst in die Boote zurückkriechen, dann sich ein neues Haus auf dem
Reste des ursprünglichen Eisfeldes erbauen. Zweihundert Tage brachten sie
so auf schwimmendem Eise zu. Dann kam der Frühling, und sie konnten in
dem lichter werdenden Meere daran denken, die Boote zu besteigen, um zu den
Ansiedlungen des südwestlichen Grönland oder nach Island zu gelangen. Aber
noch warteten ihrer ungeheuere Anstrengungen, nämlich um die Boote übers
Eis hinweg in freies Fahrwasser zu schieben. Am 13. Juni endlich landeten
sie in Friedrichsthal, einer Missionsniederlassung an der Südspitze von Grön¬
land, wo zwei deutsche Missionen sie an der Sprache erkannten und freudig
bewillkommten; am 22. Juni bestiegen sie in der Colonie Julianehaab die
dänische Brig „Constance", erreichten mit dieser am 1. September Kopen¬
hagen — wo sie vom Lootsen die großen Neuigkeiten des Tages erfuhren —
und am 7. September Bremen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0029" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/124735"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Deutsche Nordpoljnhrt.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_63"> Die tapfern Männer, welche am 16. Juni 1869 auf zwei Schiffen die<lb/>
Weser verließen, um im Eise des Nordpolarmeeres auf wissenschaftliche Err<lb/>
deckungen auszugehen, sind heimgekehrt. Als sie davon segelten, standen<lb/>
König Wilhelm von Preußen und seine großen Rathgeber theilnehmend, guter<lb/>
Wünsche voll am menschen gefüllten Gestade; heute können Wenige ihres<lb/>
Empfanges achten, denn mit Staunen und bewunderndem Entzücken hören<lb/>
unsere Nordpolsucher, zu welchen Großthaten der greise königliche Held mit<lb/>
seinen Staatsmännern, Feldherren und Heerscharen über den Rhein gezogen<lb/>
ist. Und doch kommen jene keineswegs mit leeren Händen. Auch sie haben<lb/>
des deutschen Namens werth gelitten und gekämpft, um ein würdiges öffent¬<lb/>
liches Ziel zu erreichen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_64"> Ihre Schicksale sind freilich sehr verschiedenartig ausgefallen. Schon am<lb/>
20. Juli 1869 wurde die &#x201E;Hansa" definitiv von der &#x201E;Germania" getrennt, und<lb/>
erst nach vollendeter Fahrt in Bremen sahen die Kameraden sich wieder.<lb/>
Die &#x201E;Hansa", ein Segelschiff, fror früh im September im Eise fest, ohne<lb/>
Grönlands Ostküste, das nächste Ziel der Expedition, erreicht zu haben; am<lb/>
19. October sank sie unter. Ihre Bemannung hatte sich inzwischen aus Stein¬<lb/>
kohle, die sie für den Dampfer &#x201E;Germania" zur Aushilfe an Bord hatte,<lb/>
ein Haus auf einem großen Eisfelde von etwa sieben Seemeilen Geviertin¬<lb/>
halt erbaut. So lange dieses Obdach erhalten blieb, ging es ihr leidlich.<lb/>
Sie schwamm mit dem Eise nach Süden fast so behaglich wie im Schiffe.<lb/>
Aber im Januar begann die große Eisscholle sich in kleine zu zerbröckeln.<lb/>
Während die Kälte größer und das Wetter schlechter als je war, mußten<lb/>
die Schiffbrüchigen aus ihrem Hause.^das mit seinem gefrorenen Fundament<lb/>
zerbarst, erst in die Boote zurückkriechen, dann sich ein neues Haus auf dem<lb/>
Reste des ursprünglichen Eisfeldes erbauen. Zweihundert Tage brachten sie<lb/>
so auf schwimmendem Eise zu. Dann kam der Frühling, und sie konnten in<lb/>
dem lichter werdenden Meere daran denken, die Boote zu besteigen, um zu den<lb/>
Ansiedlungen des südwestlichen Grönland oder nach Island zu gelangen. Aber<lb/>
noch warteten ihrer ungeheuere Anstrengungen, nämlich um die Boote übers<lb/>
Eis hinweg in freies Fahrwasser zu schieben. Am 13. Juni endlich landeten<lb/>
sie in Friedrichsthal, einer Missionsniederlassung an der Südspitze von Grön¬<lb/>
land, wo zwei deutsche Missionen sie an der Sprache erkannten und freudig<lb/>
bewillkommten; am 22. Juni bestiegen sie in der Colonie Julianehaab die<lb/>
dänische Brig &#x201E;Constance", erreichten mit dieser am 1. September Kopen¬<lb/>
hagen &#x2014; wo sie vom Lootsen die großen Neuigkeiten des Tages erfuhren &#x2014;<lb/>
und am 7. September Bremen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0029] Deutsche Nordpoljnhrt. Die tapfern Männer, welche am 16. Juni 1869 auf zwei Schiffen die Weser verließen, um im Eise des Nordpolarmeeres auf wissenschaftliche Err deckungen auszugehen, sind heimgekehrt. Als sie davon segelten, standen König Wilhelm von Preußen und seine großen Rathgeber theilnehmend, guter Wünsche voll am menschen gefüllten Gestade; heute können Wenige ihres Empfanges achten, denn mit Staunen und bewunderndem Entzücken hören unsere Nordpolsucher, zu welchen Großthaten der greise königliche Held mit seinen Staatsmännern, Feldherren und Heerscharen über den Rhein gezogen ist. Und doch kommen jene keineswegs mit leeren Händen. Auch sie haben des deutschen Namens werth gelitten und gekämpft, um ein würdiges öffent¬ liches Ziel zu erreichen. Ihre Schicksale sind freilich sehr verschiedenartig ausgefallen. Schon am 20. Juli 1869 wurde die „Hansa" definitiv von der „Germania" getrennt, und erst nach vollendeter Fahrt in Bremen sahen die Kameraden sich wieder. Die „Hansa", ein Segelschiff, fror früh im September im Eise fest, ohne Grönlands Ostküste, das nächste Ziel der Expedition, erreicht zu haben; am 19. October sank sie unter. Ihre Bemannung hatte sich inzwischen aus Stein¬ kohle, die sie für den Dampfer „Germania" zur Aushilfe an Bord hatte, ein Haus auf einem großen Eisfelde von etwa sieben Seemeilen Geviertin¬ halt erbaut. So lange dieses Obdach erhalten blieb, ging es ihr leidlich. Sie schwamm mit dem Eise nach Süden fast so behaglich wie im Schiffe. Aber im Januar begann die große Eisscholle sich in kleine zu zerbröckeln. Während die Kälte größer und das Wetter schlechter als je war, mußten die Schiffbrüchigen aus ihrem Hause.^das mit seinem gefrorenen Fundament zerbarst, erst in die Boote zurückkriechen, dann sich ein neues Haus auf dem Reste des ursprünglichen Eisfeldes erbauen. Zweihundert Tage brachten sie so auf schwimmendem Eise zu. Dann kam der Frühling, und sie konnten in dem lichter werdenden Meere daran denken, die Boote zu besteigen, um zu den Ansiedlungen des südwestlichen Grönland oder nach Island zu gelangen. Aber noch warteten ihrer ungeheuere Anstrengungen, nämlich um die Boote übers Eis hinweg in freies Fahrwasser zu schieben. Am 13. Juni endlich landeten sie in Friedrichsthal, einer Missionsniederlassung an der Südspitze von Grön¬ land, wo zwei deutsche Missionen sie an der Sprache erkannten und freudig bewillkommten; am 22. Juni bestiegen sie in der Colonie Julianehaab die dänische Brig „Constance", erreichten mit dieser am 1. September Kopen¬ hagen — wo sie vom Lootsen die großen Neuigkeiten des Tages erfuhren — und am 7. September Bremen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/29
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/29>, abgerufen am 22.12.2024.