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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band.

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Carl Tochter.

In einer Stunde, in welcher die deutschen Heere Metz und Paris bereits
fest umklammert hielten, verschied auf seinem Schmerzenslager am 14. October
Abends 9 Uhr ein treuer und würdiger Sohn seines Vaterlandes, eine Zierde
seines Berufs, Carl Tochter. Es war ihm noch beschieden, den Triumph
der deutschen Sache zu sehen, der er mit allen seinen Gefühlen angehörte, an
welcher er mit seiner besten Kraft gearbeitet hat. Die Endlichkeit alles mensch¬
lichen Wirkens macht eine Darlegung seines Lebens unmöglich in einem Zeit¬
punkt, in welchem der Sinn einer großen Nation auf die Wiedergeburt des
Gesammtvaterlandes gerichtet ist. Ruhigere Zeiten und geübtere Federn wer¬
den dereinst seine öffentliche Thätigkeit nach Gebühr würdigen. Wir statten
aber einen schuldigen Dank ab, wenn wir diesem tiefbewegten Leben schon
heute ein schlichtes Gedenkblatt widmen.

Carl Tochter war am 22. April 1820 in Kiel geboren und kam 1835
nach Berlin, als sein Vater, der gelehrte Theologe, an Schleiermachers Stelle
hierher berufen wurde. Er verließ als xrimus omnium das Werdersche Gym¬
nasium, um von Michaelis 1838--41 seine Rechtsstudien in Berlin und
Heidelberg, hier als einer der ersten Schüler Vangerow's, zu vollenden. Nach¬
dem er die üblichen Vorstufen des Richteramts in Schwedt, Naumburg und
beim Kammergericht durchlaufen, hat er nach bestandenen Assessor-Examen
zwei Jahre bei dem Kammergericht gearbeitet, sah sich aber im Winter 1847/48
durch eine Brustkrankheit genöthigt, einen längeren Aufenthalt in Meran,
Venedig und Florenz zu nehmen, von wo er im April 1648 nach Berlin
zurückkehrte. Die bald darauf folgende Reorganisation der Gerichte führte
ihn 1849--33 als Kreisrichter nach Wittstock. von da an das Stadtgericht
zu Berlin, bei welchem er als Stadtgerichtsrath im Jahre 1868 seinen Ab¬
schied genommen hat. Es schien, als ob die Einförmigkeit des preußischen
Richterberufs, die Neigung zur Häuslichkeit, die vielseitige wissenschaftliche
Bildung diese milde, freundliche Natur, diesen zarten Körperbau zu einem
glücklichen Stillleben bestimmt hätte. Aber gerade das Zusammentreffen seiner
Vorbildung mit bedeutungsvollen Eigenschaften des Charakters haben Tochter


Grenzboten IV. 1870. 21
Carl Tochter.

In einer Stunde, in welcher die deutschen Heere Metz und Paris bereits
fest umklammert hielten, verschied auf seinem Schmerzenslager am 14. October
Abends 9 Uhr ein treuer und würdiger Sohn seines Vaterlandes, eine Zierde
seines Berufs, Carl Tochter. Es war ihm noch beschieden, den Triumph
der deutschen Sache zu sehen, der er mit allen seinen Gefühlen angehörte, an
welcher er mit seiner besten Kraft gearbeitet hat. Die Endlichkeit alles mensch¬
lichen Wirkens macht eine Darlegung seines Lebens unmöglich in einem Zeit¬
punkt, in welchem der Sinn einer großen Nation auf die Wiedergeburt des
Gesammtvaterlandes gerichtet ist. Ruhigere Zeiten und geübtere Federn wer¬
den dereinst seine öffentliche Thätigkeit nach Gebühr würdigen. Wir statten
aber einen schuldigen Dank ab, wenn wir diesem tiefbewegten Leben schon
heute ein schlichtes Gedenkblatt widmen.

Carl Tochter war am 22. April 1820 in Kiel geboren und kam 1835
nach Berlin, als sein Vater, der gelehrte Theologe, an Schleiermachers Stelle
hierher berufen wurde. Er verließ als xrimus omnium das Werdersche Gym¬
nasium, um von Michaelis 1838—41 seine Rechtsstudien in Berlin und
Heidelberg, hier als einer der ersten Schüler Vangerow's, zu vollenden. Nach¬
dem er die üblichen Vorstufen des Richteramts in Schwedt, Naumburg und
beim Kammergericht durchlaufen, hat er nach bestandenen Assessor-Examen
zwei Jahre bei dem Kammergericht gearbeitet, sah sich aber im Winter 1847/48
durch eine Brustkrankheit genöthigt, einen längeren Aufenthalt in Meran,
Venedig und Florenz zu nehmen, von wo er im April 1648 nach Berlin
zurückkehrte. Die bald darauf folgende Reorganisation der Gerichte führte
ihn 1849—33 als Kreisrichter nach Wittstock. von da an das Stadtgericht
zu Berlin, bei welchem er als Stadtgerichtsrath im Jahre 1868 seinen Ab¬
schied genommen hat. Es schien, als ob die Einförmigkeit des preußischen
Richterberufs, die Neigung zur Häuslichkeit, die vielseitige wissenschaftliche
Bildung diese milde, freundliche Natur, diesen zarten Körperbau zu einem
glücklichen Stillleben bestimmt hätte. Aber gerade das Zusammentreffen seiner
Vorbildung mit bedeutungsvollen Eigenschaften des Charakters haben Tochter


Grenzboten IV. 1870. 21
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[0169] Carl Tochter. In einer Stunde, in welcher die deutschen Heere Metz und Paris bereits fest umklammert hielten, verschied auf seinem Schmerzenslager am 14. October Abends 9 Uhr ein treuer und würdiger Sohn seines Vaterlandes, eine Zierde seines Berufs, Carl Tochter. Es war ihm noch beschieden, den Triumph der deutschen Sache zu sehen, der er mit allen seinen Gefühlen angehörte, an welcher er mit seiner besten Kraft gearbeitet hat. Die Endlichkeit alles mensch¬ lichen Wirkens macht eine Darlegung seines Lebens unmöglich in einem Zeit¬ punkt, in welchem der Sinn einer großen Nation auf die Wiedergeburt des Gesammtvaterlandes gerichtet ist. Ruhigere Zeiten und geübtere Federn wer¬ den dereinst seine öffentliche Thätigkeit nach Gebühr würdigen. Wir statten aber einen schuldigen Dank ab, wenn wir diesem tiefbewegten Leben schon heute ein schlichtes Gedenkblatt widmen. Carl Tochter war am 22. April 1820 in Kiel geboren und kam 1835 nach Berlin, als sein Vater, der gelehrte Theologe, an Schleiermachers Stelle hierher berufen wurde. Er verließ als xrimus omnium das Werdersche Gym¬ nasium, um von Michaelis 1838—41 seine Rechtsstudien in Berlin und Heidelberg, hier als einer der ersten Schüler Vangerow's, zu vollenden. Nach¬ dem er die üblichen Vorstufen des Richteramts in Schwedt, Naumburg und beim Kammergericht durchlaufen, hat er nach bestandenen Assessor-Examen zwei Jahre bei dem Kammergericht gearbeitet, sah sich aber im Winter 1847/48 durch eine Brustkrankheit genöthigt, einen längeren Aufenthalt in Meran, Venedig und Florenz zu nehmen, von wo er im April 1648 nach Berlin zurückkehrte. Die bald darauf folgende Reorganisation der Gerichte führte ihn 1849—33 als Kreisrichter nach Wittstock. von da an das Stadtgericht zu Berlin, bei welchem er als Stadtgerichtsrath im Jahre 1868 seinen Ab¬ schied genommen hat. Es schien, als ob die Einförmigkeit des preußischen Richterberufs, die Neigung zur Häuslichkeit, die vielseitige wissenschaftliche Bildung diese milde, freundliche Natur, diesen zarten Körperbau zu einem glücklichen Stillleben bestimmt hätte. Aber gerade das Zusammentreffen seiner Vorbildung mit bedeutungsvollen Eigenschaften des Charakters haben Tochter Grenzboten IV. 1870. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124705/169>, abgerufen am 22.12.2024.