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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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der für die Opposition wie für das Kaiserthum, daß ein Rochefort mit seiner
"Laterne" ganz Frankreich Monate lang in fieberhafter Aufregung hielt, durch
die Furcht, die er nach allen Seiten hin einflößte, das Bündniß zwischen
Napoleon und den gemäßigten Liberalen zu Wege brachte und so die par¬
lamentarische Aera einleitete, deren Ende ihres Ursprungs würdig war.

Das Kaiserthum ist an seinen parlamentarischen Experimenten zu Grunde
gegangen, ohne jeden Gewinn für die Freiheit. Der Bonapartismus und
Constitutionalismus waren und blieben unversöhnliche Feinde, und das erste
Zugeständnis; an das konstitutionelle System war das erste Symptom der
Zerbröckelung der kaiserlichen Macht. Aber trotz ihrer UnVersöhnlichkeit bilden
beide Systeme doch im Grunde die Vertreter derselben Staatsidee. Die Allmacht
der Staatsgewalt, die Unterdrückung jeder communalen Selbständigkeit, das un¬
antastbare Privilegium der Regierungsinitiative galt dem Liberalismus wie dem
Bonapartismus als Grundlage jedes geordneten Staatswesens. Napoleon war
in dem ersten Jahrzehnt seiner Regierung mächtig genug, um den Staat auf
Grundlage der communalen Selbständigkeit zu regeneriren; auch that er, und das
ist der Ruhm seiner Regierung, für die materielle Wohlfahrt der Landbevöl¬
kerung mehr als irgend eine Regierung vor ihm; denn er wollte seine Macht
auf breitester Grundlage, nicht blos auf der Gunst des Pariser Volkes er¬
bauen. Aber die Bevölkerung politisch von der absoluten Vormundschaft des
Staates zu emancipiren, das war ein Gedanke, zu dem er sich nicht zu er¬
heben vermochte. In dieser Beziehung blieb er festgebannt in dem Kreis
der französischen Staatsidee. Er duldete keine Selbständigkeit neben sich.
Und nach wie vor entscheidet der Triumph einiger Pariser Demagogen über
das Schicksal Frankreichs.


G. Z.


Aus

Der beispiellose Erfolg der deutschen Waffen hat natürlich in der Stel¬
lung unserer Parteien bei Ausbruch des Kriegs, wie sie in Ur. 31 der Grenz¬
boten skizzirt wurde, manche Verschiebung und Schwenkung zur Folge ge¬
habt. Daß die Deutschgesinnten seit Wörth und Forbach die Häupter ein
wenig stolzer erhoben, war ihnen wohl zu gönnen. Sie hatten unter allen
erdenklichen Verdächtigungen und Anfeindungen die Sache hochgehalten, als


der für die Opposition wie für das Kaiserthum, daß ein Rochefort mit seiner
„Laterne" ganz Frankreich Monate lang in fieberhafter Aufregung hielt, durch
die Furcht, die er nach allen Seiten hin einflößte, das Bündniß zwischen
Napoleon und den gemäßigten Liberalen zu Wege brachte und so die par¬
lamentarische Aera einleitete, deren Ende ihres Ursprungs würdig war.

Das Kaiserthum ist an seinen parlamentarischen Experimenten zu Grunde
gegangen, ohne jeden Gewinn für die Freiheit. Der Bonapartismus und
Constitutionalismus waren und blieben unversöhnliche Feinde, und das erste
Zugeständnis; an das konstitutionelle System war das erste Symptom der
Zerbröckelung der kaiserlichen Macht. Aber trotz ihrer UnVersöhnlichkeit bilden
beide Systeme doch im Grunde die Vertreter derselben Staatsidee. Die Allmacht
der Staatsgewalt, die Unterdrückung jeder communalen Selbständigkeit, das un¬
antastbare Privilegium der Regierungsinitiative galt dem Liberalismus wie dem
Bonapartismus als Grundlage jedes geordneten Staatswesens. Napoleon war
in dem ersten Jahrzehnt seiner Regierung mächtig genug, um den Staat auf
Grundlage der communalen Selbständigkeit zu regeneriren; auch that er, und das
ist der Ruhm seiner Regierung, für die materielle Wohlfahrt der Landbevöl¬
kerung mehr als irgend eine Regierung vor ihm; denn er wollte seine Macht
auf breitester Grundlage, nicht blos auf der Gunst des Pariser Volkes er¬
bauen. Aber die Bevölkerung politisch von der absoluten Vormundschaft des
Staates zu emancipiren, das war ein Gedanke, zu dem er sich nicht zu er¬
heben vermochte. In dieser Beziehung blieb er festgebannt in dem Kreis
der französischen Staatsidee. Er duldete keine Selbständigkeit neben sich.
Und nach wie vor entscheidet der Triumph einiger Pariser Demagogen über
das Schicksal Frankreichs.


G. Z.


Aus

Der beispiellose Erfolg der deutschen Waffen hat natürlich in der Stel¬
lung unserer Parteien bei Ausbruch des Kriegs, wie sie in Ur. 31 der Grenz¬
boten skizzirt wurde, manche Verschiebung und Schwenkung zur Folge ge¬
habt. Daß die Deutschgesinnten seit Wörth und Forbach die Häupter ein
wenig stolzer erhoben, war ihnen wohl zu gönnen. Sie hatten unter allen
erdenklichen Verdächtigungen und Anfeindungen die Sache hochgehalten, als


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[0544] der für die Opposition wie für das Kaiserthum, daß ein Rochefort mit seiner „Laterne" ganz Frankreich Monate lang in fieberhafter Aufregung hielt, durch die Furcht, die er nach allen Seiten hin einflößte, das Bündniß zwischen Napoleon und den gemäßigten Liberalen zu Wege brachte und so die par¬ lamentarische Aera einleitete, deren Ende ihres Ursprungs würdig war. Das Kaiserthum ist an seinen parlamentarischen Experimenten zu Grunde gegangen, ohne jeden Gewinn für die Freiheit. Der Bonapartismus und Constitutionalismus waren und blieben unversöhnliche Feinde, und das erste Zugeständnis; an das konstitutionelle System war das erste Symptom der Zerbröckelung der kaiserlichen Macht. Aber trotz ihrer UnVersöhnlichkeit bilden beide Systeme doch im Grunde die Vertreter derselben Staatsidee. Die Allmacht der Staatsgewalt, die Unterdrückung jeder communalen Selbständigkeit, das un¬ antastbare Privilegium der Regierungsinitiative galt dem Liberalismus wie dem Bonapartismus als Grundlage jedes geordneten Staatswesens. Napoleon war in dem ersten Jahrzehnt seiner Regierung mächtig genug, um den Staat auf Grundlage der communalen Selbständigkeit zu regeneriren; auch that er, und das ist der Ruhm seiner Regierung, für die materielle Wohlfahrt der Landbevöl¬ kerung mehr als irgend eine Regierung vor ihm; denn er wollte seine Macht auf breitester Grundlage, nicht blos auf der Gunst des Pariser Volkes er¬ bauen. Aber die Bevölkerung politisch von der absoluten Vormundschaft des Staates zu emancipiren, das war ein Gedanke, zu dem er sich nicht zu er¬ heben vermochte. In dieser Beziehung blieb er festgebannt in dem Kreis der französischen Staatsidee. Er duldete keine Selbständigkeit neben sich. Und nach wie vor entscheidet der Triumph einiger Pariser Demagogen über das Schicksal Frankreichs. G. Z. Aus Der beispiellose Erfolg der deutschen Waffen hat natürlich in der Stel¬ lung unserer Parteien bei Ausbruch des Kriegs, wie sie in Ur. 31 der Grenz¬ boten skizzirt wurde, manche Verschiebung und Schwenkung zur Folge ge¬ habt. Daß die Deutschgesinnten seit Wörth und Forbach die Häupter ein wenig stolzer erhoben, war ihnen wohl zu gönnen. Sie hatten unter allen erdenklichen Verdächtigungen und Anfeindungen die Sache hochgehalten, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/544>, abgerufen am 27.07.2024.