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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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Beste seines Wesens ausschließend dem großen Ganzen gehört, so werden der
Taufe des Bundesoberhandelsgerichts nur die Nächstbetheiligten als Zeugen
beiwohnen, fast geschäftsmäßig still wird die Ceremonie verlausen. Den
grünen Blättern aber, welche der großen geistigen und sittlichen Arbeit unseres
Volkes gern auch in ihre stilleren Werkstätten folgen, ziemt es wohl, selbst
unter dem Waffenlärm dem neuen Organ gemeinsamen Rechtslebens, an das
sich für die friedliche Entwickelung kommender Tage große Hoffnungen knüpfen,
ein freudiges Willkommen zuzurufen.

Mögen ihm die diesseit wie jenseit des Mains gleichmäßig fluthenden
Wogen patriotischer Begeisterung, deren Rauschen die stille Feder übertönt,
eine gute Vorbedeutung sein, daß das norddeutsche Bundesoberhandelsgericht
--l. bald erwachse zu einem deutschen Obergericht!




Skizzen aus der Provinz Posen.
II. Adel und Bauern.

Der polnische Edelmann ist in allen Hauptstädten Europas ein viel und gern
gesehener Gast. Schon der ausgeprägte slavische Typus und der pikante
fremdländische Accent in der Aussprache machen ihn zu einer anziehenden
Persönlichkeit. Sein Wesen hat etwas Bestechendes durch entgegenkommende
Freundlichkeit und durch die Leichtigkeit und Verbindlichkeit seiner Formen.
Er ist kurzum ein vortrefflicher Repräsentant seiner Nation, welcher er durch
sein Auftreten den Beinamen der ritterlichen verschafft hat, und er versteht
sich sehr gut darauf, durch die Freundschaft, die er sich erwirkt, zugleich die
Theilnahme mit dem Unglücke seiner Nation wach zu erhalten.

Die polnischen Gutsbesitzer sind nicht unempfänglich für deutsche Cultur.
Ihre Söhne senden sie vielfach auf die deutschen landwirtschaftlichen Aka¬
demien, von wo diese Schlagwirthschaft. Drainage und Wiesencultur mit¬
gebracht haben. Manch stattlicher Edelhof mit soliden ziegelgedeckten Wirth¬
schaftsgebäuden zeugt von der Tüchtigkeit seines polnischen Eigenthümers.
Freilich der Gefahr der deutschen Besitzer, von der früher die Rede war, durch
ein Uebermaß von Meliorationen ihre Mittel und ihren Credit zu hoch an¬
zuspannen und dadurch zu Grunde zu gehen, unterliegt der Pole nicht. Das
hastige Vorwärtsdrängen des deutschen Besitzers, dessen unermüdliche Thätig¬
keit kennt er nicht. Was ihn vor dem Schicksal so manches Deutschen schützt,
ist keineswegs eine Bedächtigkeit, die ihre Mittel zu Rathe hält, sondern ein
Mangel an Eifer, der fünf grade sein läßt.

Daher gibt es denn auch selten einen polnischen Landsitz, welcher nach
allen Seiten hin das Auge des Beschauers befriedigt. Bald ist es der
morsche Gartenzaun und das wuchernde Unkraut des Gartens, bald der ver-


Beste seines Wesens ausschließend dem großen Ganzen gehört, so werden der
Taufe des Bundesoberhandelsgerichts nur die Nächstbetheiligten als Zeugen
beiwohnen, fast geschäftsmäßig still wird die Ceremonie verlausen. Den
grünen Blättern aber, welche der großen geistigen und sittlichen Arbeit unseres
Volkes gern auch in ihre stilleren Werkstätten folgen, ziemt es wohl, selbst
unter dem Waffenlärm dem neuen Organ gemeinsamen Rechtslebens, an das
sich für die friedliche Entwickelung kommender Tage große Hoffnungen knüpfen,
ein freudiges Willkommen zuzurufen.

Mögen ihm die diesseit wie jenseit des Mains gleichmäßig fluthenden
Wogen patriotischer Begeisterung, deren Rauschen die stille Feder übertönt,
eine gute Vorbedeutung sein, daß das norddeutsche Bundesoberhandelsgericht
—l. bald erwachse zu einem deutschen Obergericht!




Skizzen aus der Provinz Posen.
II. Adel und Bauern.

Der polnische Edelmann ist in allen Hauptstädten Europas ein viel und gern
gesehener Gast. Schon der ausgeprägte slavische Typus und der pikante
fremdländische Accent in der Aussprache machen ihn zu einer anziehenden
Persönlichkeit. Sein Wesen hat etwas Bestechendes durch entgegenkommende
Freundlichkeit und durch die Leichtigkeit und Verbindlichkeit seiner Formen.
Er ist kurzum ein vortrefflicher Repräsentant seiner Nation, welcher er durch
sein Auftreten den Beinamen der ritterlichen verschafft hat, und er versteht
sich sehr gut darauf, durch die Freundschaft, die er sich erwirkt, zugleich die
Theilnahme mit dem Unglücke seiner Nation wach zu erhalten.

Die polnischen Gutsbesitzer sind nicht unempfänglich für deutsche Cultur.
Ihre Söhne senden sie vielfach auf die deutschen landwirtschaftlichen Aka¬
demien, von wo diese Schlagwirthschaft. Drainage und Wiesencultur mit¬
gebracht haben. Manch stattlicher Edelhof mit soliden ziegelgedeckten Wirth¬
schaftsgebäuden zeugt von der Tüchtigkeit seines polnischen Eigenthümers.
Freilich der Gefahr der deutschen Besitzer, von der früher die Rede war, durch
ein Uebermaß von Meliorationen ihre Mittel und ihren Credit zu hoch an¬
zuspannen und dadurch zu Grunde zu gehen, unterliegt der Pole nicht. Das
hastige Vorwärtsdrängen des deutschen Besitzers, dessen unermüdliche Thätig¬
keit kennt er nicht. Was ihn vor dem Schicksal so manches Deutschen schützt,
ist keineswegs eine Bedächtigkeit, die ihre Mittel zu Rathe hält, sondern ein
Mangel an Eifer, der fünf grade sein läßt.

Daher gibt es denn auch selten einen polnischen Landsitz, welcher nach
allen Seiten hin das Auge des Beschauers befriedigt. Bald ist es der
morsche Gartenzaun und das wuchernde Unkraut des Gartens, bald der ver-


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[0211] Beste seines Wesens ausschließend dem großen Ganzen gehört, so werden der Taufe des Bundesoberhandelsgerichts nur die Nächstbetheiligten als Zeugen beiwohnen, fast geschäftsmäßig still wird die Ceremonie verlausen. Den grünen Blättern aber, welche der großen geistigen und sittlichen Arbeit unseres Volkes gern auch in ihre stilleren Werkstätten folgen, ziemt es wohl, selbst unter dem Waffenlärm dem neuen Organ gemeinsamen Rechtslebens, an das sich für die friedliche Entwickelung kommender Tage große Hoffnungen knüpfen, ein freudiges Willkommen zuzurufen. Mögen ihm die diesseit wie jenseit des Mains gleichmäßig fluthenden Wogen patriotischer Begeisterung, deren Rauschen die stille Feder übertönt, eine gute Vorbedeutung sein, daß das norddeutsche Bundesoberhandelsgericht —l. bald erwachse zu einem deutschen Obergericht! Skizzen aus der Provinz Posen. II. Adel und Bauern. Der polnische Edelmann ist in allen Hauptstädten Europas ein viel und gern gesehener Gast. Schon der ausgeprägte slavische Typus und der pikante fremdländische Accent in der Aussprache machen ihn zu einer anziehenden Persönlichkeit. Sein Wesen hat etwas Bestechendes durch entgegenkommende Freundlichkeit und durch die Leichtigkeit und Verbindlichkeit seiner Formen. Er ist kurzum ein vortrefflicher Repräsentant seiner Nation, welcher er durch sein Auftreten den Beinamen der ritterlichen verschafft hat, und er versteht sich sehr gut darauf, durch die Freundschaft, die er sich erwirkt, zugleich die Theilnahme mit dem Unglücke seiner Nation wach zu erhalten. Die polnischen Gutsbesitzer sind nicht unempfänglich für deutsche Cultur. Ihre Söhne senden sie vielfach auf die deutschen landwirtschaftlichen Aka¬ demien, von wo diese Schlagwirthschaft. Drainage und Wiesencultur mit¬ gebracht haben. Manch stattlicher Edelhof mit soliden ziegelgedeckten Wirth¬ schaftsgebäuden zeugt von der Tüchtigkeit seines polnischen Eigenthümers. Freilich der Gefahr der deutschen Besitzer, von der früher die Rede war, durch ein Uebermaß von Meliorationen ihre Mittel und ihren Credit zu hoch an¬ zuspannen und dadurch zu Grunde zu gehen, unterliegt der Pole nicht. Das hastige Vorwärtsdrängen des deutschen Besitzers, dessen unermüdliche Thätig¬ keit kennt er nicht. Was ihn vor dem Schicksal so manches Deutschen schützt, ist keineswegs eine Bedächtigkeit, die ihre Mittel zu Rathe hält, sondern ein Mangel an Eifer, der fünf grade sein läßt. Daher gibt es denn auch selten einen polnischen Landsitz, welcher nach allen Seiten hin das Auge des Beschauers befriedigt. Bald ist es der morsche Gartenzaun und das wuchernde Unkraut des Gartens, bald der ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/211>, abgerufen am 05.07.2024.