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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band.

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nachlässigte Zustand der Hofgebäude und die überall sichtbare Unordnung,
welche an die verrufene polnische Wirthschaft erinnern. Das Herrenhaus,
oft weitläuftig und schloßartig angelegt, steht bisweilen noch so unfertig da
wie man es vor Jahren aus irgend welchen Gründen hat stehen lassen. Es
beleidigt das Auge des Besitzers nicht, daß der Haupteingang, an welchem
die projectirte Rampe immer noch fehlt, mit alten Bietern verschlagen ist,
ihm genügt der Seiteneingang, wohin über einen schmutzigen Hof hinweg
der Diener den Besucher verweist. In dem Salon findet dieser denn auch
wohl die Tapeten in Stücken von den Wänden herabhängen, und beim
Niederlassen auf einen der Plüschfauteuils sieht er sich von einer aufsteigen"
den dichten Staubwolke umgeben.

Bemerkenswerth ist unter den polnischen Edelleuten der Gegensatz von
verschwenderischer Lebensweise und einer Sparsamkeit, die mehr als dies ist.
Die goldene Mitte findet man selten. Und zwar fällt jener Gegensatz zumeist mit
dem Gegensatze von Jung und Alt zusammen. Die Alten sind bedacht, durch
frugales Leben und Zusammenhalten des Erworbenen den Besitz fortwäh¬
rend zu mehren. Sie sind es denn auch, die am meisten an alten Wirth¬
schaftsmethoden festhalten. Jede Neuerung ist zu kostspielig. Große Güter
lassen sie durch Vögte verwalten und ihren Wirthschaftsbeawten gewähren
sie ein so kärgliches Einkommen, daß diese, um sich bezahlt zu machen, sich
auf den Unterschleif angewiesen sehen. Nichtsdestoweniger und trotz des
mangelhaften Ertrages ihrer Güter breiten sie ihren Besitz immer mehr aus
und gewinnen so dem polnischen Grundbesitz wieder, was dieser auf der an¬
deren Seite durch die Ueppigkeit und Verschwendungssucht des jungen Adels
verliert. Schöne Pferde, kostbare Weine, Spiel und Maitressenwirthschaft
ruiniren den jungen Polen nur zu leicht. Nicht daß die Zeiten andere ge¬
worden wären. Die Alten waren einst, was die Jungen jetzt sind, und
diese werden das sein, was die Alten waren, -- wenn sie nicht inzwischen
zu Grunde gehen. Wenn die Leidenschaften der Jugend dahin sind, so bleibt
der Besitz als das einzige Erstrebenswerthe zurück. Denn eine nur auf das
Aeußerliche gerichtete französirende Erziehung, eine höchst oberflächliche Bil¬
dung hat sie die Güter des Geistes nicht kennen und schätzen gelehrt.

Der Adel ist derjenige Stand unter den Polen, der nicht nur vieles
hinzuzulernen, sondern noch mehr zu vergessen hat. Will er sühnen, was er
einst gegen seine Nation verschuldet, will er sich wahrhaft um diese verdient
machen, so bleibt ihm nichts übrig, als seine Sonderstellung aufzugeben, un¬
umwunden die Gleichberechtigung des Bürgers und des Bauern anzuerkennen.
Ist es zu viel verlangt, daß der Adel dem Wohle der Nation sein Standes¬
interesse opfern und für die Vorrechte der Geburt den Ruhm eintauschen soll,
der Lehrer und Erzieher seines Volkes zu sein?

Es gibt unter unseren Edelleuten charaktervolle und einsichtige Männer,


nachlässigte Zustand der Hofgebäude und die überall sichtbare Unordnung,
welche an die verrufene polnische Wirthschaft erinnern. Das Herrenhaus,
oft weitläuftig und schloßartig angelegt, steht bisweilen noch so unfertig da
wie man es vor Jahren aus irgend welchen Gründen hat stehen lassen. Es
beleidigt das Auge des Besitzers nicht, daß der Haupteingang, an welchem
die projectirte Rampe immer noch fehlt, mit alten Bietern verschlagen ist,
ihm genügt der Seiteneingang, wohin über einen schmutzigen Hof hinweg
der Diener den Besucher verweist. In dem Salon findet dieser denn auch
wohl die Tapeten in Stücken von den Wänden herabhängen, und beim
Niederlassen auf einen der Plüschfauteuils sieht er sich von einer aufsteigen«
den dichten Staubwolke umgeben.

Bemerkenswerth ist unter den polnischen Edelleuten der Gegensatz von
verschwenderischer Lebensweise und einer Sparsamkeit, die mehr als dies ist.
Die goldene Mitte findet man selten. Und zwar fällt jener Gegensatz zumeist mit
dem Gegensatze von Jung und Alt zusammen. Die Alten sind bedacht, durch
frugales Leben und Zusammenhalten des Erworbenen den Besitz fortwäh¬
rend zu mehren. Sie sind es denn auch, die am meisten an alten Wirth¬
schaftsmethoden festhalten. Jede Neuerung ist zu kostspielig. Große Güter
lassen sie durch Vögte verwalten und ihren Wirthschaftsbeawten gewähren
sie ein so kärgliches Einkommen, daß diese, um sich bezahlt zu machen, sich
auf den Unterschleif angewiesen sehen. Nichtsdestoweniger und trotz des
mangelhaften Ertrages ihrer Güter breiten sie ihren Besitz immer mehr aus
und gewinnen so dem polnischen Grundbesitz wieder, was dieser auf der an¬
deren Seite durch die Ueppigkeit und Verschwendungssucht des jungen Adels
verliert. Schöne Pferde, kostbare Weine, Spiel und Maitressenwirthschaft
ruiniren den jungen Polen nur zu leicht. Nicht daß die Zeiten andere ge¬
worden wären. Die Alten waren einst, was die Jungen jetzt sind, und
diese werden das sein, was die Alten waren, — wenn sie nicht inzwischen
zu Grunde gehen. Wenn die Leidenschaften der Jugend dahin sind, so bleibt
der Besitz als das einzige Erstrebenswerthe zurück. Denn eine nur auf das
Aeußerliche gerichtete französirende Erziehung, eine höchst oberflächliche Bil¬
dung hat sie die Güter des Geistes nicht kennen und schätzen gelehrt.

Der Adel ist derjenige Stand unter den Polen, der nicht nur vieles
hinzuzulernen, sondern noch mehr zu vergessen hat. Will er sühnen, was er
einst gegen seine Nation verschuldet, will er sich wahrhaft um diese verdient
machen, so bleibt ihm nichts übrig, als seine Sonderstellung aufzugeben, un¬
umwunden die Gleichberechtigung des Bürgers und des Bauern anzuerkennen.
Ist es zu viel verlangt, daß der Adel dem Wohle der Nation sein Standes¬
interesse opfern und für die Vorrechte der Geburt den Ruhm eintauschen soll,
der Lehrer und Erzieher seines Volkes zu sein?

Es gibt unter unseren Edelleuten charaktervolle und einsichtige Männer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, II. Semeter. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_124151/212>, abgerufen am 05.07.2024.