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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band.

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Die politische Lage.

Die vergangene Woche hat die Spannung gelöst, mit welcher die Ab¬
stimmungen des deutschen Zollparlaments über den Tarif, die der französischen
Wähler über die kaiserliche Politik erwartet wurden. Uns Deutschen ist die
Freude geworden, daß die Tagsatzung der Nord- und Südstaaten mit einem
befriedigenden Compromiß endete, alle Mitglieder seien dankbar gerühmt,
welche mit Selbstüberwindung zu diesem guten Resultat beigetragen haben,
vor andern die süddeutsche Fraction der nationalen, deren versöhnende Ein¬
wirkung auf die Freihändler im Bunde sich geltend machte. Die Gefahr war
groß, daß auch dieses letzte Zollparlament vor Neuwahlen ohne befriedigen¬
des Resultat verlaufen würde. Die pessimistische Auffassung, welche solchen
Ausfall wünschte, war nicht nur bei den Feinden des Bundes vorhanden, auch
bei bundestreuen Norddeutschen. Bei liberalen Norddeutschen, weil sie entweder
entschlossene Freihändler sind, oder weil sie das Ungenügende der jetzigen Bun¬
desmaschinerie durch Resultatlosigkeit der Arbeiten bloszulegen wünschen.
Beide Auffassungen verdienten eine große Zurückweisung. Unter den Poli¬
tikern von der Partei des Freihandels ehren wir einige unserer tüchtigsten
Männer, aber die Mehrzahl der Coterie steht in Gefahr durch Flachheit und
doktrinären Eigensinn eine unbequeme Kritik gegen sich herauszufordern. Und
ebenso ist eine Besserung unserer Bundesorganisation gegenwärtig zuerst von
gesteigerten Zumuthungen an die bereits wirksame Bundesgewalt zu hoffen,
und deshalb ist es ein unpatriotisches und schlechtes Mittel die Nichtigkeit
aller Bundeseinrichtungen bewirken zu wollen.

Durch sieben Millionen französischer Stimmen ist gegen IV2 Million
die Herrschaft des Kaisers Napoleon aufs Neue bestätigt. Der "Ja" sind
mehr, als die Anhänger Napoleons selbst gehofft haben, aber daß nicht nur
Paris, auch andere große Städte in ihrer Majorität mit "Nein" stimmten,
und daß im Heere sich mehr als 40,000 Stimmen gegen den Kaiser aus-
sprachen, das sind doch Umstände, welche den Bonapartisten eine reine Freude
nicht aufkommen lassen. Uns hat das Jahr 1866 so zu Frankreich gestellt,
daß der Kaiser noch jetzt außer Stande ist, ein engeres Zusammengehen mit
der Politik des Berliner Cabinets zu wünschen. Er ist wohl im Innern über,
zeugt, daß der Einschluß der Südstaaten in den Bund auf die Länge nicht
durch Frankreich verhindert werden kann, er wird in Sorge um sein An¬
sehen bei Heer und Volk ein friedliches Zusammenwachsen der deutschen In¬
teressen ertragen, aber er wird einem großen Ausbruch der Eifersucht in


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Die politische Lage.

Die vergangene Woche hat die Spannung gelöst, mit welcher die Ab¬
stimmungen des deutschen Zollparlaments über den Tarif, die der französischen
Wähler über die kaiserliche Politik erwartet wurden. Uns Deutschen ist die
Freude geworden, daß die Tagsatzung der Nord- und Südstaaten mit einem
befriedigenden Compromiß endete, alle Mitglieder seien dankbar gerühmt,
welche mit Selbstüberwindung zu diesem guten Resultat beigetragen haben,
vor andern die süddeutsche Fraction der nationalen, deren versöhnende Ein¬
wirkung auf die Freihändler im Bunde sich geltend machte. Die Gefahr war
groß, daß auch dieses letzte Zollparlament vor Neuwahlen ohne befriedigen¬
des Resultat verlaufen würde. Die pessimistische Auffassung, welche solchen
Ausfall wünschte, war nicht nur bei den Feinden des Bundes vorhanden, auch
bei bundestreuen Norddeutschen. Bei liberalen Norddeutschen, weil sie entweder
entschlossene Freihändler sind, oder weil sie das Ungenügende der jetzigen Bun¬
desmaschinerie durch Resultatlosigkeit der Arbeiten bloszulegen wünschen.
Beide Auffassungen verdienten eine große Zurückweisung. Unter den Poli¬
tikern von der Partei des Freihandels ehren wir einige unserer tüchtigsten
Männer, aber die Mehrzahl der Coterie steht in Gefahr durch Flachheit und
doktrinären Eigensinn eine unbequeme Kritik gegen sich herauszufordern. Und
ebenso ist eine Besserung unserer Bundesorganisation gegenwärtig zuerst von
gesteigerten Zumuthungen an die bereits wirksame Bundesgewalt zu hoffen,
und deshalb ist es ein unpatriotisches und schlechtes Mittel die Nichtigkeit
aller Bundeseinrichtungen bewirken zu wollen.

Durch sieben Millionen französischer Stimmen ist gegen IV2 Million
die Herrschaft des Kaisers Napoleon aufs Neue bestätigt. Der „Ja" sind
mehr, als die Anhänger Napoleons selbst gehofft haben, aber daß nicht nur
Paris, auch andere große Städte in ihrer Majorität mit „Nein" stimmten,
und daß im Heere sich mehr als 40,000 Stimmen gegen den Kaiser aus-
sprachen, das sind doch Umstände, welche den Bonapartisten eine reine Freude
nicht aufkommen lassen. Uns hat das Jahr 1866 so zu Frankreich gestellt,
daß der Kaiser noch jetzt außer Stande ist, ein engeres Zusammengehen mit
der Politik des Berliner Cabinets zu wünschen. Er ist wohl im Innern über,
zeugt, daß der Einschluß der Südstaaten in den Bund auf die Länge nicht
durch Frankreich verhindert werden kann, er wird in Sorge um sein An¬
sehen bei Heer und Volk ein friedliches Zusammenwachsen der deutschen In¬
teressen ertragen, aber er wird einem großen Ausbruch der Eifersucht in


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[0281] Die politische Lage. Die vergangene Woche hat die Spannung gelöst, mit welcher die Ab¬ stimmungen des deutschen Zollparlaments über den Tarif, die der französischen Wähler über die kaiserliche Politik erwartet wurden. Uns Deutschen ist die Freude geworden, daß die Tagsatzung der Nord- und Südstaaten mit einem befriedigenden Compromiß endete, alle Mitglieder seien dankbar gerühmt, welche mit Selbstüberwindung zu diesem guten Resultat beigetragen haben, vor andern die süddeutsche Fraction der nationalen, deren versöhnende Ein¬ wirkung auf die Freihändler im Bunde sich geltend machte. Die Gefahr war groß, daß auch dieses letzte Zollparlament vor Neuwahlen ohne befriedigen¬ des Resultat verlaufen würde. Die pessimistische Auffassung, welche solchen Ausfall wünschte, war nicht nur bei den Feinden des Bundes vorhanden, auch bei bundestreuen Norddeutschen. Bei liberalen Norddeutschen, weil sie entweder entschlossene Freihändler sind, oder weil sie das Ungenügende der jetzigen Bun¬ desmaschinerie durch Resultatlosigkeit der Arbeiten bloszulegen wünschen. Beide Auffassungen verdienten eine große Zurückweisung. Unter den Poli¬ tikern von der Partei des Freihandels ehren wir einige unserer tüchtigsten Männer, aber die Mehrzahl der Coterie steht in Gefahr durch Flachheit und doktrinären Eigensinn eine unbequeme Kritik gegen sich herauszufordern. Und ebenso ist eine Besserung unserer Bundesorganisation gegenwärtig zuerst von gesteigerten Zumuthungen an die bereits wirksame Bundesgewalt zu hoffen, und deshalb ist es ein unpatriotisches und schlechtes Mittel die Nichtigkeit aller Bundeseinrichtungen bewirken zu wollen. Durch sieben Millionen französischer Stimmen ist gegen IV2 Million die Herrschaft des Kaisers Napoleon aufs Neue bestätigt. Der „Ja" sind mehr, als die Anhänger Napoleons selbst gehofft haben, aber daß nicht nur Paris, auch andere große Städte in ihrer Majorität mit „Nein" stimmten, und daß im Heere sich mehr als 40,000 Stimmen gegen den Kaiser aus- sprachen, das sind doch Umstände, welche den Bonapartisten eine reine Freude nicht aufkommen lassen. Uns hat das Jahr 1866 so zu Frankreich gestellt, daß der Kaiser noch jetzt außer Stande ist, ein engeres Zusammengehen mit der Politik des Berliner Cabinets zu wünschen. Er ist wohl im Innern über, zeugt, daß der Einschluß der Südstaaten in den Bund auf die Länge nicht durch Frankreich verhindert werden kann, er wird in Sorge um sein An¬ sehen bei Heer und Volk ein friedliches Zusammenwachsen der deutschen In¬ teressen ertragen, aber er wird einem großen Ausbruch der Eifersucht in 35*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123619/281>, abgerufen am 27.07.2024.