Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

weit. -- Den Hauptinhalt des Jahrbuchs für deutsche Literaturbestrebungen
bilden, wie billig, lyrische Ergüsse: das Liebeslied hat hier seine üppigsten
und zahlreichsten Triumphe gefeiert: "Antonie", "Marie", "Geheimniß",
"Liebeslieder I--XII" von Lupul, "Liebeslieder I--XII" von Simginowicz,
"Liebesgrüße", "Jugendliebe", "Dir", "Zu Dir", "Rosenzeit", "Frauenschön¬
heit", "einer Verlorenen" lauten die Inschriften an den Thüren, welche in die¬
ses Heiligthum führen. Daß der Cultus der Natur ebenso reichlich vertreten
ist. bezeugen die "sternenlose Nacht" .In der Laube". "Am Meer", "Im
Wäldchen von Horecza", "Am Pruth", "Dnjester-Klänge" u. s. w., die düstere
Zerrissenheit des modemen Poetenbewußtseins Gedickte mit den vielversprechen¬
den Aufschriften "Erwarte nichts!", "Faust's Kirchgang", "An Lenau's
Grabe" und ein Gedicht "Am Dom", das mit den gotteslästerlichen, aber
tiefsinnigen Worten schließt:


"Laß fahren dahin, laß fahren
Die schöne Märchenwelt,
Was taugen uns alle die Dome,
Wenn uns der Glaube fehlt".

Ein Kritiker, der auf der Höhe der Zeit stünde, könnte von den Buchen¬
blättern noch Mancherlei berichten, namentlich dem in Prosa geschriebenen
Theil derselben, der die Novelle "David, der Bocher", die "Criminalnovelle aus
der Moldau," Gottesfügung, die Bärengeschichten u. s. w. enthält. -- We^
die,Bukowina aber Nichts mehr als ein von Rumänen und Ruthenen bewohne
Land bedeutet, das als Tummelplatz zweier Spielarten barbarischen National-
dünkelö von Interesse ist, dem fehlt das Zeug dieser Oase inmitten "auf das
Reale, Praktische, Prosaische reflectirender Verhältnisse" den gehörigen Reiz
abzugewinnen. -- Welche Zukunft wohl diesen durch kaiserlich königliche
Hände gepflanzten östreichisch-deutschen "Nationalbestrebungen" beschieder.
sein mag? Wird auch hier dem poetischen ein politisches Vaterland folgen
oder wird schon die nächste Zukunft die Herausgeber des Bukowinaer Volks¬
kalenders davon überzeugen, daß sie kein Volk haben und keines sind und
daß das deutsche Vaterland nicht allenthalben zu finden ist, wo die deutsche
Zunge klingt, daß auch das Schwarzenberg-Bach'sche Gesammtvaterland ein
Traum ohne Realität war? Ist die deutsch-östreichische Beamtenarbeit, die
sich für Culturarbeit hielt, hier ebenso rettungslos verloren, wie in Galizien?




Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Wuartttl,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im März 1870.Die Werlagshemdlung.




Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Hertig. -- Druck von Hüthel 6 Legler in Leipzig.

weit. — Den Hauptinhalt des Jahrbuchs für deutsche Literaturbestrebungen
bilden, wie billig, lyrische Ergüsse: das Liebeslied hat hier seine üppigsten
und zahlreichsten Triumphe gefeiert: „Antonie", „Marie", „Geheimniß",
„Liebeslieder I—XII" von Lupul, „Liebeslieder I—XII" von Simginowicz,
„Liebesgrüße", „Jugendliebe", „Dir", „Zu Dir", „Rosenzeit", „Frauenschön¬
heit", „einer Verlorenen" lauten die Inschriften an den Thüren, welche in die¬
ses Heiligthum führen. Daß der Cultus der Natur ebenso reichlich vertreten
ist. bezeugen die „sternenlose Nacht" .In der Laube". „Am Meer", „Im
Wäldchen von Horecza", „Am Pruth", „Dnjester-Klänge" u. s. w., die düstere
Zerrissenheit des modemen Poetenbewußtseins Gedickte mit den vielversprechen¬
den Aufschriften „Erwarte nichts!", „Faust's Kirchgang", „An Lenau's
Grabe" und ein Gedicht „Am Dom", das mit den gotteslästerlichen, aber
tiefsinnigen Worten schließt:


„Laß fahren dahin, laß fahren
Die schöne Märchenwelt,
Was taugen uns alle die Dome,
Wenn uns der Glaube fehlt".

Ein Kritiker, der auf der Höhe der Zeit stünde, könnte von den Buchen¬
blättern noch Mancherlei berichten, namentlich dem in Prosa geschriebenen
Theil derselben, der die Novelle „David, der Bocher", die „Criminalnovelle aus
der Moldau," Gottesfügung, die Bärengeschichten u. s. w. enthält. — We^
die,Bukowina aber Nichts mehr als ein von Rumänen und Ruthenen bewohne
Land bedeutet, das als Tummelplatz zweier Spielarten barbarischen National-
dünkelö von Interesse ist, dem fehlt das Zeug dieser Oase inmitten „auf das
Reale, Praktische, Prosaische reflectirender Verhältnisse" den gehörigen Reiz
abzugewinnen. — Welche Zukunft wohl diesen durch kaiserlich königliche
Hände gepflanzten östreichisch-deutschen „Nationalbestrebungen" beschieder.
sein mag? Wird auch hier dem poetischen ein politisches Vaterland folgen
oder wird schon die nächste Zukunft die Herausgeber des Bukowinaer Volks¬
kalenders davon überzeugen, daß sie kein Volk haben und keines sind und
daß das deutsche Vaterland nicht allenthalben zu finden ist, wo die deutsche
Zunge klingt, daß auch das Schwarzenberg-Bach'sche Gesammtvaterland ein
Traum ohne Realität war? Ist die deutsch-östreichische Beamtenarbeit, die
sich für Culturarbeit hielt, hier ebenso rettungslos verloren, wie in Galizien?




Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Wuartttl,
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬
ziehen ist.
Leipzig, im März 1870.Die Werlagshemdlung.




Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.
Verlag von F. L. Hertig. — Druck von Hüthel 6 Legler in Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123574"/>
            <p xml:id="ID_1365" prev="#ID_1364"> weit. &#x2014; Den Hauptinhalt des Jahrbuchs für deutsche Literaturbestrebungen<lb/>
bilden, wie billig, lyrische Ergüsse: das Liebeslied hat hier seine üppigsten<lb/>
und zahlreichsten Triumphe gefeiert: &#x201E;Antonie", &#x201E;Marie", &#x201E;Geheimniß",<lb/>
&#x201E;Liebeslieder I&#x2014;XII" von Lupul, &#x201E;Liebeslieder I&#x2014;XII" von Simginowicz,<lb/>
&#x201E;Liebesgrüße", &#x201E;Jugendliebe", &#x201E;Dir", &#x201E;Zu Dir", &#x201E;Rosenzeit", &#x201E;Frauenschön¬<lb/>
heit", &#x201E;einer Verlorenen" lauten die Inschriften an den Thüren, welche in die¬<lb/>
ses Heiligthum führen. Daß der Cultus der Natur ebenso reichlich vertreten<lb/>
ist. bezeugen die &#x201E;sternenlose Nacht" .In der Laube". &#x201E;Am Meer", &#x201E;Im<lb/>
Wäldchen von Horecza", &#x201E;Am Pruth", &#x201E;Dnjester-Klänge" u. s. w., die düstere<lb/>
Zerrissenheit des modemen Poetenbewußtseins Gedickte mit den vielversprechen¬<lb/>
den Aufschriften &#x201E;Erwarte nichts!", &#x201E;Faust's Kirchgang", &#x201E;An Lenau's<lb/>
Grabe" und ein Gedicht &#x201E;Am Dom", das mit den gotteslästerlichen, aber<lb/>
tiefsinnigen Worten schließt:</p><lb/>
            <quote>
              <lg xml:id="POEMID_3" type="poem">
                <l> &#x201E;Laß fahren dahin, laß fahren<lb/>
Die schöne Märchenwelt,<lb/>
Was taugen uns alle die Dome,<lb/>
Wenn uns der Glaube fehlt".</l>
              </lg>
            </quote><lb/>
            <p xml:id="ID_1366"> Ein Kritiker, der auf der Höhe der Zeit stünde, könnte von den Buchen¬<lb/>
blättern noch Mancherlei berichten, namentlich dem in Prosa geschriebenen<lb/>
Theil derselben, der die Novelle &#x201E;David, der Bocher", die &#x201E;Criminalnovelle aus<lb/>
der Moldau," Gottesfügung, die Bärengeschichten u. s. w. enthält. &#x2014; We^<lb/>
die,Bukowina aber Nichts mehr als ein von Rumänen und Ruthenen bewohne<lb/>
Land bedeutet, das als Tummelplatz zweier Spielarten barbarischen National-<lb/>
dünkelö von Interesse ist, dem fehlt das Zeug dieser Oase inmitten &#x201E;auf das<lb/>
Reale, Praktische, Prosaische reflectirender Verhältnisse" den gehörigen Reiz<lb/>
abzugewinnen. &#x2014; Welche Zukunft wohl diesen durch kaiserlich königliche<lb/>
Hände gepflanzten östreichisch-deutschen &#x201E;Nationalbestrebungen" beschieder.<lb/>
sein mag? Wird auch hier dem poetischen ein politisches Vaterland folgen<lb/>
oder wird schon die nächste Zukunft die Herausgeber des Bukowinaer Volks¬<lb/>
kalenders davon überzeugen, daß sie kein Volk haben und keines sind und<lb/>
daß das deutsche Vaterland nicht allenthalben zu finden ist, wo die deutsche<lb/>
Zunge klingt, daß auch das Schwarzenberg-Bach'sche Gesammtvaterland ein<lb/>
Traum ohne Realität war? Ist die deutsch-östreichische Beamtenarbeit, die<lb/>
sich für Culturarbeit hielt, hier ebenso rettungslos verloren, wie in Galizien?</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="advertisement">
                <p> Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Wuartttl,<lb/>
welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬<lb/>
ziehen ist.<lb/>
Leipzig, im März 1870.Die Werlagshemdlung.</p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <note type="byline"> Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt.<lb/>
Verlag von F. L. Hertig. &#x2014; Druck von Hüthel 6 Legler in Leipzig.</note><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0486] weit. — Den Hauptinhalt des Jahrbuchs für deutsche Literaturbestrebungen bilden, wie billig, lyrische Ergüsse: das Liebeslied hat hier seine üppigsten und zahlreichsten Triumphe gefeiert: „Antonie", „Marie", „Geheimniß", „Liebeslieder I—XII" von Lupul, „Liebeslieder I—XII" von Simginowicz, „Liebesgrüße", „Jugendliebe", „Dir", „Zu Dir", „Rosenzeit", „Frauenschön¬ heit", „einer Verlorenen" lauten die Inschriften an den Thüren, welche in die¬ ses Heiligthum führen. Daß der Cultus der Natur ebenso reichlich vertreten ist. bezeugen die „sternenlose Nacht" .In der Laube". „Am Meer", „Im Wäldchen von Horecza", „Am Pruth", „Dnjester-Klänge" u. s. w., die düstere Zerrissenheit des modemen Poetenbewußtseins Gedickte mit den vielversprechen¬ den Aufschriften „Erwarte nichts!", „Faust's Kirchgang", „An Lenau's Grabe" und ein Gedicht „Am Dom", das mit den gotteslästerlichen, aber tiefsinnigen Worten schließt: „Laß fahren dahin, laß fahren Die schöne Märchenwelt, Was taugen uns alle die Dome, Wenn uns der Glaube fehlt". Ein Kritiker, der auf der Höhe der Zeit stünde, könnte von den Buchen¬ blättern noch Mancherlei berichten, namentlich dem in Prosa geschriebenen Theil derselben, der die Novelle „David, der Bocher", die „Criminalnovelle aus der Moldau," Gottesfügung, die Bärengeschichten u. s. w. enthält. — We^ die,Bukowina aber Nichts mehr als ein von Rumänen und Ruthenen bewohne Land bedeutet, das als Tummelplatz zweier Spielarten barbarischen National- dünkelö von Interesse ist, dem fehlt das Zeug dieser Oase inmitten „auf das Reale, Praktische, Prosaische reflectirender Verhältnisse" den gehörigen Reiz abzugewinnen. — Welche Zukunft wohl diesen durch kaiserlich königliche Hände gepflanzten östreichisch-deutschen „Nationalbestrebungen" beschieder. sein mag? Wird auch hier dem poetischen ein politisches Vaterland folgen oder wird schon die nächste Zukunft die Herausgeber des Bukowinaer Volks¬ kalenders davon überzeugen, daß sie kein Volk haben und keines sind und daß das deutsche Vaterland nicht allenthalben zu finden ist, wo die deutsche Zunge klingt, daß auch das Schwarzenberg-Bach'sche Gesammtvaterland ein Traum ohne Realität war? Ist die deutsch-östreichische Beamtenarbeit, die sich für Culturarbeit hielt, hier ebenso rettungslos verloren, wie in Galizien? Mit Ur. beginnt diese Zeitschrift ein neues Wuartttl, welches durch alle Buchhandlungen und Postämter zu be¬ ziehen ist. Leipzig, im März 1870.Die Werlagshemdlung. Verantwortliche Redacteure: Gustav Freytag u. Julius Eckardt. Verlag von F. L. Hertig. — Druck von Hüthel 6 Legler in Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/486
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/486>, abgerufen am 26.06.2024.