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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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Gedanken gewöhnt, daß unsere nationale Einheit ein unabwendbares Verhäng-
niß ist. Doch nur unter der einen Bedingung sind sie geneigt, bei dieser
Ueberzeugung sich zu beruhigen -- wenn die Einheit sich durch den freiwilligen
unbeeinflußten Entschluß der süddeutschen Staaten vollzieht. Angesichts der
heutigen Zustände in Baiern und Würtemberg aber Badens dargebotene
Hand ergreifen, hieße allerdings auf jene beiden einen indirecten Druck aus¬
üben -- es wird wenigstens als ein Druck aufgefaßt werden, es würde doch auf
Preußen den falschen Schein der Begehrlichkeit werfen und so den Umwand¬
lungsprozeß stören, in welchem die öffentliche Meinung des Auslandes im
allgemeinen Interesse wie zu unseren Gunsten begriffen ist.


7-


Das französische Ministerium.

Die neuesten parlamentarischen Siege des französischen Ministeriums
haben vielfach den Eindruck gemacht, als habe dasselbe nunmehr sichere Aussicht,
sich zu halten. Wir glauben, daß die errungenen Majoritäten, die in einer
wirklich parlamentarischen Versammlung von entscheidender Wichtigkeit ge¬
wesen wären und dort dem Ministerium eine unvergleichliche Kraft gegeben
hätten, in der augenblicklichen Constellation Frankreichs wenig mehr bedeu¬
ten, als die Rettung aus einem Sturme, der morgen wieder beginnen kann.

Zunächst haben jene Debatten gezeigt, daß Daru das wirkliche Haupt
des Ministeriums ist. Dasselbe fühlte, daß es seine Existenz gelte, daß Ollivier,
der so manche verschiedene Programme gehabt, der stets behauptet, es gebe ebenso
viele Wege zur Freiheit wie nach Rom, nicht in der Lage sei, dem drohenden
Sturme zu begegnen. Deshalb mußte er zurücktreten und der Mann vor¬
treten, ohne welchen das Cabinet morgen zerfallen würde. Graf Daru ist
ein neues Beispiel dafür, daß nicht Geist und Beredsamkeit, sondern Charakter
den Staatsmann machen und befähigen die Menschen zu regieren. Er las
eine vorher einstudirte Rede vor, die noch dazu nicht von ihm allein verfaßt
war, und doch gab er den Ausschlag, weil man wußte, daß er nicht nach dem


Gedanken gewöhnt, daß unsere nationale Einheit ein unabwendbares Verhäng-
niß ist. Doch nur unter der einen Bedingung sind sie geneigt, bei dieser
Ueberzeugung sich zu beruhigen — wenn die Einheit sich durch den freiwilligen
unbeeinflußten Entschluß der süddeutschen Staaten vollzieht. Angesichts der
heutigen Zustände in Baiern und Würtemberg aber Badens dargebotene
Hand ergreifen, hieße allerdings auf jene beiden einen indirecten Druck aus¬
üben — es wird wenigstens als ein Druck aufgefaßt werden, es würde doch auf
Preußen den falschen Schein der Begehrlichkeit werfen und so den Umwand¬
lungsprozeß stören, in welchem die öffentliche Meinung des Auslandes im
allgemeinen Interesse wie zu unseren Gunsten begriffen ist.


7-


Das französische Ministerium.

Die neuesten parlamentarischen Siege des französischen Ministeriums
haben vielfach den Eindruck gemacht, als habe dasselbe nunmehr sichere Aussicht,
sich zu halten. Wir glauben, daß die errungenen Majoritäten, die in einer
wirklich parlamentarischen Versammlung von entscheidender Wichtigkeit ge¬
wesen wären und dort dem Ministerium eine unvergleichliche Kraft gegeben
hätten, in der augenblicklichen Constellation Frankreichs wenig mehr bedeu¬
ten, als die Rettung aus einem Sturme, der morgen wieder beginnen kann.

Zunächst haben jene Debatten gezeigt, daß Daru das wirkliche Haupt
des Ministeriums ist. Dasselbe fühlte, daß es seine Existenz gelte, daß Ollivier,
der so manche verschiedene Programme gehabt, der stets behauptet, es gebe ebenso
viele Wege zur Freiheit wie nach Rom, nicht in der Lage sei, dem drohenden
Sturme zu begegnen. Deshalb mußte er zurücktreten und der Mann vor¬
treten, ohne welchen das Cabinet morgen zerfallen würde. Graf Daru ist
ein neues Beispiel dafür, daß nicht Geist und Beredsamkeit, sondern Charakter
den Staatsmann machen und befähigen die Menschen zu regieren. Er las
eine vorher einstudirte Rede vor, die noch dazu nicht von ihm allein verfaßt
war, und doch gab er den Ausschlag, weil man wußte, daß er nicht nach dem


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[0422] Gedanken gewöhnt, daß unsere nationale Einheit ein unabwendbares Verhäng- niß ist. Doch nur unter der einen Bedingung sind sie geneigt, bei dieser Ueberzeugung sich zu beruhigen — wenn die Einheit sich durch den freiwilligen unbeeinflußten Entschluß der süddeutschen Staaten vollzieht. Angesichts der heutigen Zustände in Baiern und Würtemberg aber Badens dargebotene Hand ergreifen, hieße allerdings auf jene beiden einen indirecten Druck aus¬ üben — es wird wenigstens als ein Druck aufgefaßt werden, es würde doch auf Preußen den falschen Schein der Begehrlichkeit werfen und so den Umwand¬ lungsprozeß stören, in welchem die öffentliche Meinung des Auslandes im allgemeinen Interesse wie zu unseren Gunsten begriffen ist. 7- Das französische Ministerium. Die neuesten parlamentarischen Siege des französischen Ministeriums haben vielfach den Eindruck gemacht, als habe dasselbe nunmehr sichere Aussicht, sich zu halten. Wir glauben, daß die errungenen Majoritäten, die in einer wirklich parlamentarischen Versammlung von entscheidender Wichtigkeit ge¬ wesen wären und dort dem Ministerium eine unvergleichliche Kraft gegeben hätten, in der augenblicklichen Constellation Frankreichs wenig mehr bedeu¬ ten, als die Rettung aus einem Sturme, der morgen wieder beginnen kann. Zunächst haben jene Debatten gezeigt, daß Daru das wirkliche Haupt des Ministeriums ist. Dasselbe fühlte, daß es seine Existenz gelte, daß Ollivier, der so manche verschiedene Programme gehabt, der stets behauptet, es gebe ebenso viele Wege zur Freiheit wie nach Rom, nicht in der Lage sei, dem drohenden Sturme zu begegnen. Deshalb mußte er zurücktreten und der Mann vor¬ treten, ohne welchen das Cabinet morgen zerfallen würde. Graf Daru ist ein neues Beispiel dafür, daß nicht Geist und Beredsamkeit, sondern Charakter den Staatsmann machen und befähigen die Menschen zu regieren. Er las eine vorher einstudirte Rede vor, die noch dazu nicht von ihm allein verfaßt war, und doch gab er den Ausschlag, weil man wußte, daß er nicht nach dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/422>, abgerufen am 26.06.2024.