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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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5 Ein Fnflnachtsscherz.

Friedrich Ferdinand Graf von Beust. Sein Leben und vornehmlich staats¬
männisches Wirken von Dr. Friedrich W. Ebeling, Herzog!. Sachs. Archivrath.
Erster Band. Mit Porträt in Stahlstich. Leipzig 1870.

Leuten von der Feder will es nicht auftehn, mit der Zipfelkappe und
Pritsche sich dem Genusse eines der landesüblichen "Fastnachtsulke" hinzugeben
und doch haben auch sie. wie alle andern Menschenkinder, ein unverjährbares
Anrecht auf Spaß d. h. darauf sich wenigstens einmal im Jahr gründlich zu er-
lustiren. Der Widerstreit zwischen den gaukelnden Gebilden der Faschingslust
draußen und der kahlen Nüchternheit der Studirstube erzeugt aber, wie be¬
kannt, leicht Sentimentalität, Melancholie, sogar Weltschmerz. Auch der
Schreiber dieser Zeilen war schon ziemlich weit auf dieser verhängnißvollen
Klimax vorgerückt, als ihn auf einmal ein Buch, und zwar ein dickes und
funkelnagelneues Buch in die echteste Carnevalsstimmung entführte. Selbst¬
verständlich hat er aus selbigem Buche nichts, auch gar nichts gelernt, was
man so lernen heißt, aber darauf kommt es gar nicht an, weder für ihn, den
Leser, noch für das Buch. Warum sollte dasselbe nicht seine Mission erfüllt
haben, wenn es auch nur Einen gründlich von allem Schmerz und aller
Schwerblütigkeit curirt hat und warum sollte es nicht viele davon curiren?

Denn gibt es etwas Spaßhafteres, als ein Buch von zwei dicken Bänden
zur Verherrlichung eines noch leibhaftig unter uns wandelnden Heroen be¬
stimmt, das mit einem gründlichen, absoluten Fiasco ebendesselben, d. h. mit
dem Jahre 1866 schließt und ihn auch dann noch ruhig, als wäre nichts ge¬
schehen, fort essen, trinken, schlafen, auch wohl Staatsgeschäfte treiben läßt?
Wir sind zu gut geschult, um nicht volle Ehrfurcht vor der Tragik eines
Heldenlebens zu empfinden, aber dann muß es auch tragisch enden, d. h. der
Held muß, wenn er Alles, was er angefangen, gründlich verpfuscht hat, mit
Strick. Dolch oder auf irgend eine andere erschütternde Weise sich von uns
verabschieden. Ein bankerotter Held, der noch einmal seinen Laden aufmacht,
nachdem er ihm von Gerichtswegen versiegelt worden, mag sür sich selbst
das bessere Theil erwählt haben, denn jene gewaltsamen Katastrophen sind
nicht Jedermanns Liebhaberei: aber ein Trauerspiel kann man nicht daraus
machen, kaum ein Kotzebuesches Rührei. Hier aber ists aus tragische Effecte
abgesehen, das zeigt schon Sprache und Stil, auch wenn es der Verfasser
nicht ausdrücklich und oft uns zu Gemüthe führt. Sein Held ist der gute
Genius Deutschlands, der im Kampfe mit dem Satanas -- selbstverständlich
trägt dieser die schwarzweiße Cocaroe, oder ist, seitdem die alte ganz schwarze
Montur orthodoxer Zeiten nicht mehr gelten soll, auch ganz und gar in


5 Ein Fnflnachtsscherz.

Friedrich Ferdinand Graf von Beust. Sein Leben und vornehmlich staats¬
männisches Wirken von Dr. Friedrich W. Ebeling, Herzog!. Sachs. Archivrath.
Erster Band. Mit Porträt in Stahlstich. Leipzig 1870.

Leuten von der Feder will es nicht auftehn, mit der Zipfelkappe und
Pritsche sich dem Genusse eines der landesüblichen „Fastnachtsulke" hinzugeben
und doch haben auch sie. wie alle andern Menschenkinder, ein unverjährbares
Anrecht auf Spaß d. h. darauf sich wenigstens einmal im Jahr gründlich zu er-
lustiren. Der Widerstreit zwischen den gaukelnden Gebilden der Faschingslust
draußen und der kahlen Nüchternheit der Studirstube erzeugt aber, wie be¬
kannt, leicht Sentimentalität, Melancholie, sogar Weltschmerz. Auch der
Schreiber dieser Zeilen war schon ziemlich weit auf dieser verhängnißvollen
Klimax vorgerückt, als ihn auf einmal ein Buch, und zwar ein dickes und
funkelnagelneues Buch in die echteste Carnevalsstimmung entführte. Selbst¬
verständlich hat er aus selbigem Buche nichts, auch gar nichts gelernt, was
man so lernen heißt, aber darauf kommt es gar nicht an, weder für ihn, den
Leser, noch für das Buch. Warum sollte dasselbe nicht seine Mission erfüllt
haben, wenn es auch nur Einen gründlich von allem Schmerz und aller
Schwerblütigkeit curirt hat und warum sollte es nicht viele davon curiren?

Denn gibt es etwas Spaßhafteres, als ein Buch von zwei dicken Bänden
zur Verherrlichung eines noch leibhaftig unter uns wandelnden Heroen be¬
stimmt, das mit einem gründlichen, absoluten Fiasco ebendesselben, d. h. mit
dem Jahre 1866 schließt und ihn auch dann noch ruhig, als wäre nichts ge¬
schehen, fort essen, trinken, schlafen, auch wohl Staatsgeschäfte treiben läßt?
Wir sind zu gut geschult, um nicht volle Ehrfurcht vor der Tragik eines
Heldenlebens zu empfinden, aber dann muß es auch tragisch enden, d. h. der
Held muß, wenn er Alles, was er angefangen, gründlich verpfuscht hat, mit
Strick. Dolch oder auf irgend eine andere erschütternde Weise sich von uns
verabschieden. Ein bankerotter Held, der noch einmal seinen Laden aufmacht,
nachdem er ihm von Gerichtswegen versiegelt worden, mag sür sich selbst
das bessere Theil erwählt haben, denn jene gewaltsamen Katastrophen sind
nicht Jedermanns Liebhaberei: aber ein Trauerspiel kann man nicht daraus
machen, kaum ein Kotzebuesches Rührei. Hier aber ists aus tragische Effecte
abgesehen, das zeigt schon Sprache und Stil, auch wenn es der Verfasser
nicht ausdrücklich und oft uns zu Gemüthe führt. Sein Held ist der gute
Genius Deutschlands, der im Kampfe mit dem Satanas — selbstverständlich
trägt dieser die schwarzweiße Cocaroe, oder ist, seitdem die alte ganz schwarze
Montur orthodoxer Zeiten nicht mehr gelten soll, auch ganz und gar in


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[0413] 5 Ein Fnflnachtsscherz. Friedrich Ferdinand Graf von Beust. Sein Leben und vornehmlich staats¬ männisches Wirken von Dr. Friedrich W. Ebeling, Herzog!. Sachs. Archivrath. Erster Band. Mit Porträt in Stahlstich. Leipzig 1870. Leuten von der Feder will es nicht auftehn, mit der Zipfelkappe und Pritsche sich dem Genusse eines der landesüblichen „Fastnachtsulke" hinzugeben und doch haben auch sie. wie alle andern Menschenkinder, ein unverjährbares Anrecht auf Spaß d. h. darauf sich wenigstens einmal im Jahr gründlich zu er- lustiren. Der Widerstreit zwischen den gaukelnden Gebilden der Faschingslust draußen und der kahlen Nüchternheit der Studirstube erzeugt aber, wie be¬ kannt, leicht Sentimentalität, Melancholie, sogar Weltschmerz. Auch der Schreiber dieser Zeilen war schon ziemlich weit auf dieser verhängnißvollen Klimax vorgerückt, als ihn auf einmal ein Buch, und zwar ein dickes und funkelnagelneues Buch in die echteste Carnevalsstimmung entführte. Selbst¬ verständlich hat er aus selbigem Buche nichts, auch gar nichts gelernt, was man so lernen heißt, aber darauf kommt es gar nicht an, weder für ihn, den Leser, noch für das Buch. Warum sollte dasselbe nicht seine Mission erfüllt haben, wenn es auch nur Einen gründlich von allem Schmerz und aller Schwerblütigkeit curirt hat und warum sollte es nicht viele davon curiren? Denn gibt es etwas Spaßhafteres, als ein Buch von zwei dicken Bänden zur Verherrlichung eines noch leibhaftig unter uns wandelnden Heroen be¬ stimmt, das mit einem gründlichen, absoluten Fiasco ebendesselben, d. h. mit dem Jahre 1866 schließt und ihn auch dann noch ruhig, als wäre nichts ge¬ schehen, fort essen, trinken, schlafen, auch wohl Staatsgeschäfte treiben läßt? Wir sind zu gut geschult, um nicht volle Ehrfurcht vor der Tragik eines Heldenlebens zu empfinden, aber dann muß es auch tragisch enden, d. h. der Held muß, wenn er Alles, was er angefangen, gründlich verpfuscht hat, mit Strick. Dolch oder auf irgend eine andere erschütternde Weise sich von uns verabschieden. Ein bankerotter Held, der noch einmal seinen Laden aufmacht, nachdem er ihm von Gerichtswegen versiegelt worden, mag sür sich selbst das bessere Theil erwählt haben, denn jene gewaltsamen Katastrophen sind nicht Jedermanns Liebhaberei: aber ein Trauerspiel kann man nicht daraus machen, kaum ein Kotzebuesches Rührei. Hier aber ists aus tragische Effecte abgesehen, das zeigt schon Sprache und Stil, auch wenn es der Verfasser nicht ausdrücklich und oft uns zu Gemüthe führt. Sein Held ist der gute Genius Deutschlands, der im Kampfe mit dem Satanas — selbstverständlich trägt dieser die schwarzweiße Cocaroe, oder ist, seitdem die alte ganz schwarze Montur orthodoxer Zeiten nicht mehr gelten soll, auch ganz und gar in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/413>, abgerufen am 26.06.2024.