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Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

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abgeführt haben, beweist, daß die materielle Lage der niederen Volksclassen
sich seit dem letzten Jahrhundert nicht nur relativ, sondern absolut beträcht¬
lich verbessert hat und daß die durch den Pauperismus aufgeworfene sociale
Frage nicht sowohl als Product der durch den Jndustrtalismus ungünstig ver¬
änderten Wirthschaftsverhältnifse, denn als Resultat verfeinerter sittlicher For¬
derungen und geläuterter humaner Anschauungen anzusehen ist.




Der Ueichstag und das Gesetz über das litcrarifthe Eigenthum.

Der Gesetzentwurf, welcher die Urheberrechte an Werken der Wissen¬
schuft und Kunst sichern und begrenzen soll, hat an dem Tage, an wel¬
chem er d"in Reichstag vorgelegt wurde, nicht die freudige Ausnahme gefun¬
den, die er zu beanspruchen hat. Denn wir dürfen ohne Uebertreibung
sagen, daß keine unter allen Vorlagen, welche bis jetzt der Vertretung unserer
Nation gemacht wurden, so vielseitig und gründlich- erwogen und verhandelt
worden ist, als diese. Sie ist das Resultat eines 30jährigen Kampfes, wel¬
chen die Schriftsteller und Buchhändler Deutschlands geführt haben für ge¬
sunde national-öconomische Verhältnisse ihres Verkehrs, für Ehre und Unab¬
hängigkeit des schriftstellerischen Berufes, für alle geschäftlichen Grundlagen
unserer Volksbildung und nationalen Cultur. Dieser lange Kampf wurde
geführt gegen den Egoismus der Buchhändler, gegen die unberechtigten An¬
sprüche der Schriftsteller, vor allem g-egen die Rechtlosigkeit, die Kleinstaaterei,
die verschiedenen Gesetzgebungen der einzelnen Bundesstaaten, den Mangel an
gutem Willen und an Verständniß bei den einzelnen Regierungen.

Die Bundesacte vom Jahre 1815 hatte der Bundesversammlung die
Verpflichtung auferlegt, sich bet ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung
gleichförmiger Verfügungen über Preßfreiheit, Autorrechte und Nachdruck zu
beschäftigen. Der Bund war nach mehr als fünfzig Jahren dieser Verpflich¬
tung bei seiner letzten Zusammenkunft noch nicht nachgekommen. Die An¬
läufe, welche ex ab und zu gemacht, waren immerhin eine -Wohlthat; leider
wurde die zweideutige Fassung seiner Beschlüsse in der Regel Quelle neuer
Verwirrungen. -- Im Jahre 18S7 hatte die sächsische Regierung einen Ge¬
setzentwurf zu Stande gebracht, der auf die preußischen und sächsischen Ge¬
setze begründet -war, aber -es gelang ihr nicht, den Entwurf in Trankfurt zum
Gesetz machen zu lassen.

Endlich erfüllte der norddeutsche Bund Forderung und Wunsch, die durch
ein Menschenalter vergeblich gearbeitet hatten. Ein Jahr nach Gründung
des Bundes war auf Grundlage' des sächsischen Entwurfes von 1867 das


Äicnjbolen I. 1870. so

abgeführt haben, beweist, daß die materielle Lage der niederen Volksclassen
sich seit dem letzten Jahrhundert nicht nur relativ, sondern absolut beträcht¬
lich verbessert hat und daß die durch den Pauperismus aufgeworfene sociale
Frage nicht sowohl als Product der durch den Jndustrtalismus ungünstig ver¬
änderten Wirthschaftsverhältnifse, denn als Resultat verfeinerter sittlicher For¬
derungen und geläuterter humaner Anschauungen anzusehen ist.




Der Ueichstag und das Gesetz über das litcrarifthe Eigenthum.

Der Gesetzentwurf, welcher die Urheberrechte an Werken der Wissen¬
schuft und Kunst sichern und begrenzen soll, hat an dem Tage, an wel¬
chem er d«in Reichstag vorgelegt wurde, nicht die freudige Ausnahme gefun¬
den, die er zu beanspruchen hat. Denn wir dürfen ohne Uebertreibung
sagen, daß keine unter allen Vorlagen, welche bis jetzt der Vertretung unserer
Nation gemacht wurden, so vielseitig und gründlich- erwogen und verhandelt
worden ist, als diese. Sie ist das Resultat eines 30jährigen Kampfes, wel¬
chen die Schriftsteller und Buchhändler Deutschlands geführt haben für ge¬
sunde national-öconomische Verhältnisse ihres Verkehrs, für Ehre und Unab¬
hängigkeit des schriftstellerischen Berufes, für alle geschäftlichen Grundlagen
unserer Volksbildung und nationalen Cultur. Dieser lange Kampf wurde
geführt gegen den Egoismus der Buchhändler, gegen die unberechtigten An¬
sprüche der Schriftsteller, vor allem g-egen die Rechtlosigkeit, die Kleinstaaterei,
die verschiedenen Gesetzgebungen der einzelnen Bundesstaaten, den Mangel an
gutem Willen und an Verständniß bei den einzelnen Regierungen.

Die Bundesacte vom Jahre 1815 hatte der Bundesversammlung die
Verpflichtung auferlegt, sich bet ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung
gleichförmiger Verfügungen über Preßfreiheit, Autorrechte und Nachdruck zu
beschäftigen. Der Bund war nach mehr als fünfzig Jahren dieser Verpflich¬
tung bei seiner letzten Zusammenkunft noch nicht nachgekommen. Die An¬
läufe, welche ex ab und zu gemacht, waren immerhin eine -Wohlthat; leider
wurde die zweideutige Fassung seiner Beschlüsse in der Regel Quelle neuer
Verwirrungen. — Im Jahre 18S7 hatte die sächsische Regierung einen Ge¬
setzentwurf zu Stande gebracht, der auf die preußischen und sächsischen Ge¬
setze begründet -war, aber -es gelang ihr nicht, den Entwurf in Trankfurt zum
Gesetz machen zu lassen.

Endlich erfüllte der norddeutsche Bund Forderung und Wunsch, die durch
ein Menschenalter vergeblich gearbeitet hatten. Ein Jahr nach Gründung
des Bundes war auf Grundlage' des sächsischen Entwurfes von 1867 das


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[0399] abgeführt haben, beweist, daß die materielle Lage der niederen Volksclassen sich seit dem letzten Jahrhundert nicht nur relativ, sondern absolut beträcht¬ lich verbessert hat und daß die durch den Pauperismus aufgeworfene sociale Frage nicht sowohl als Product der durch den Jndustrtalismus ungünstig ver¬ änderten Wirthschaftsverhältnifse, denn als Resultat verfeinerter sittlicher For¬ derungen und geläuterter humaner Anschauungen anzusehen ist. Der Ueichstag und das Gesetz über das litcrarifthe Eigenthum. Der Gesetzentwurf, welcher die Urheberrechte an Werken der Wissen¬ schuft und Kunst sichern und begrenzen soll, hat an dem Tage, an wel¬ chem er d«in Reichstag vorgelegt wurde, nicht die freudige Ausnahme gefun¬ den, die er zu beanspruchen hat. Denn wir dürfen ohne Uebertreibung sagen, daß keine unter allen Vorlagen, welche bis jetzt der Vertretung unserer Nation gemacht wurden, so vielseitig und gründlich- erwogen und verhandelt worden ist, als diese. Sie ist das Resultat eines 30jährigen Kampfes, wel¬ chen die Schriftsteller und Buchhändler Deutschlands geführt haben für ge¬ sunde national-öconomische Verhältnisse ihres Verkehrs, für Ehre und Unab¬ hängigkeit des schriftstellerischen Berufes, für alle geschäftlichen Grundlagen unserer Volksbildung und nationalen Cultur. Dieser lange Kampf wurde geführt gegen den Egoismus der Buchhändler, gegen die unberechtigten An¬ sprüche der Schriftsteller, vor allem g-egen die Rechtlosigkeit, die Kleinstaaterei, die verschiedenen Gesetzgebungen der einzelnen Bundesstaaten, den Mangel an gutem Willen und an Verständniß bei den einzelnen Regierungen. Die Bundesacte vom Jahre 1815 hatte der Bundesversammlung die Verpflichtung auferlegt, sich bet ihrer ersten Zusammenkunft mit Abfassung gleichförmiger Verfügungen über Preßfreiheit, Autorrechte und Nachdruck zu beschäftigen. Der Bund war nach mehr als fünfzig Jahren dieser Verpflich¬ tung bei seiner letzten Zusammenkunft noch nicht nachgekommen. Die An¬ läufe, welche ex ab und zu gemacht, waren immerhin eine -Wohlthat; leider wurde die zweideutige Fassung seiner Beschlüsse in der Regel Quelle neuer Verwirrungen. — Im Jahre 18S7 hatte die sächsische Regierung einen Ge¬ setzentwurf zu Stande gebracht, der auf die preußischen und sächsischen Ge¬ setze begründet -war, aber -es gelang ihr nicht, den Entwurf in Trankfurt zum Gesetz machen zu lassen. Endlich erfüllte der norddeutsche Bund Forderung und Wunsch, die durch ein Menschenalter vergeblich gearbeitet hatten. Ein Jahr nach Gründung des Bundes war auf Grundlage' des sächsischen Entwurfes von 1867 das Äicnjbolen I. 1870. so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/399>, abgerufen am 26.06.2024.