Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

neue Gesetz ausgearbeitet. Darauf wurden die Gutachten der Sachverstän¬
digen und Interessenten eingeholt, dazu im vergangenen Jahre eine Anzahl
derselben als berathende Commission nach Berlin einberufe". Die Aus¬
stellungen und Vorschläge derselben haben vielfache Berücksichtigung gefunden.
Nirgend vielleicht war die Beschäftigung mit dem neuen Gesetz so angelegent¬
lich als in Leipzig, und wir dürfen wohl sagen, daß bei den Privatbesprechungen
und Verhandlungen darüber in unseren Kreisen das Interesse der Schrift¬
steller und die Culturinteressen des Volkes nicht weniger gewürdigt wurden,
als die Verkehrsinteressen der Buchhändler.

Die Ueberzeugung, daß der Urheber einer Schrift oder eines Kunstwerks
ein Eigenthumsrecht an seinem geistigen Funde auch dann noch behalte,
wenn er denselben auf mechanische Weise vervielfältigen läßt, hat sich seit der Er¬
findung des Bücherdrucks sehr allmälig entwickelt. Seit Gutenberg zürnten der
Schriftsteller und der Verleger dem frechen Nachdrucker, der ihnen Werth und
Lohn ihrer Arbeit verringerte, schon im 16ten Jahrhundert suchten sie sich
durch Privilegien zu schützen, welche sie erflehten oder erkauften. Und lange,
bevor die Gesetzgebung der einzelnen Staaten ihre Zugehörigen im Inland
gegen Nachdruck zu schützen suchte, wurde der Nachdruck durch die sittliche
Empfindung der Besseren als ein Unrecht und Diebstahl verurtheilt. Mit
jeder Zunahme der literarischen Sicherheit nahm auch die Solidität und der
Anstand des buchhändlerischen Verkehrs zu, stieg Unabhängigkeit und An¬
sehen der Volkslehrer, welche durch ihre geistige Production aus weite
Kreise wirkten. Erst die Anerkennung der Autorrechte durch das Ge¬
setz gab dem Schriftsteller seine volle Ehre, weil sie ihm die gesunden
öeonomischen Grundlagen für seine Existenz zutheilte, welche der Ar¬
beiter für, kräftiges Schaffen nöthig hat. So lange das Autorrecht
nicht anerkannt war, mußte der Versasser, wenn er nicht zufällig
in armem Lande ein reicher Mann war, seine Existenzmittel auf einem
Seitenwege von seinem Buche holen. Da ihn der Verleger und das Publi-
cum nicht bezahlen konnten, suchte er sich vornehme Gönner, denen er sein
Werk widmete oder in geschriebenen Briefen zu Füßen legte. Wer ein
Buch so empfing, für den war es Anstandspflicht, dem Autor ein -- immer¬
hin ansehnliches -- Geschenk zu machen. Der Knechtssinn und die Speichel¬
leckerei, welche in den Druckwerken vom 16. bis in das 18. Jahrhundert sich
so widerlich breit machen, und welche ihre entsittlichende Einwirkung aus das
lesende Publicum zur Schande Deutschlands so lange ausgeübt haben, kamen
zum großen Theil daher, daß der Autor genöthigt war. ein Schmarotzer zu
sein, und für einige Goldstücke sein Lebelang reichen Gönnern Weihrauch
zu streuen. Der höfische Verderb der protestantischen Kirche nach Luther,
die Charakterschwäche der Dichter von Opitz bis auf Gellert mit ihren un-


neue Gesetz ausgearbeitet. Darauf wurden die Gutachten der Sachverstän¬
digen und Interessenten eingeholt, dazu im vergangenen Jahre eine Anzahl
derselben als berathende Commission nach Berlin einberufe». Die Aus¬
stellungen und Vorschläge derselben haben vielfache Berücksichtigung gefunden.
Nirgend vielleicht war die Beschäftigung mit dem neuen Gesetz so angelegent¬
lich als in Leipzig, und wir dürfen wohl sagen, daß bei den Privatbesprechungen
und Verhandlungen darüber in unseren Kreisen das Interesse der Schrift¬
steller und die Culturinteressen des Volkes nicht weniger gewürdigt wurden,
als die Verkehrsinteressen der Buchhändler.

Die Ueberzeugung, daß der Urheber einer Schrift oder eines Kunstwerks
ein Eigenthumsrecht an seinem geistigen Funde auch dann noch behalte,
wenn er denselben auf mechanische Weise vervielfältigen läßt, hat sich seit der Er¬
findung des Bücherdrucks sehr allmälig entwickelt. Seit Gutenberg zürnten der
Schriftsteller und der Verleger dem frechen Nachdrucker, der ihnen Werth und
Lohn ihrer Arbeit verringerte, schon im 16ten Jahrhundert suchten sie sich
durch Privilegien zu schützen, welche sie erflehten oder erkauften. Und lange,
bevor die Gesetzgebung der einzelnen Staaten ihre Zugehörigen im Inland
gegen Nachdruck zu schützen suchte, wurde der Nachdruck durch die sittliche
Empfindung der Besseren als ein Unrecht und Diebstahl verurtheilt. Mit
jeder Zunahme der literarischen Sicherheit nahm auch die Solidität und der
Anstand des buchhändlerischen Verkehrs zu, stieg Unabhängigkeit und An¬
sehen der Volkslehrer, welche durch ihre geistige Production aus weite
Kreise wirkten. Erst die Anerkennung der Autorrechte durch das Ge¬
setz gab dem Schriftsteller seine volle Ehre, weil sie ihm die gesunden
öeonomischen Grundlagen für seine Existenz zutheilte, welche der Ar¬
beiter für, kräftiges Schaffen nöthig hat. So lange das Autorrecht
nicht anerkannt war, mußte der Versasser, wenn er nicht zufällig
in armem Lande ein reicher Mann war, seine Existenzmittel auf einem
Seitenwege von seinem Buche holen. Da ihn der Verleger und das Publi-
cum nicht bezahlen konnten, suchte er sich vornehme Gönner, denen er sein
Werk widmete oder in geschriebenen Briefen zu Füßen legte. Wer ein
Buch so empfing, für den war es Anstandspflicht, dem Autor ein — immer¬
hin ansehnliches — Geschenk zu machen. Der Knechtssinn und die Speichel¬
leckerei, welche in den Druckwerken vom 16. bis in das 18. Jahrhundert sich
so widerlich breit machen, und welche ihre entsittlichende Einwirkung aus das
lesende Publicum zur Schande Deutschlands so lange ausgeübt haben, kamen
zum großen Theil daher, daß der Autor genöthigt war. ein Schmarotzer zu
sein, und für einige Goldstücke sein Lebelang reichen Gönnern Weihrauch
zu streuen. Der höfische Verderb der protestantischen Kirche nach Luther,
die Charakterschwäche der Dichter von Opitz bis auf Gellert mit ihren un-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0400" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123488"/>
          <p xml:id="ID_1144" prev="#ID_1143"> neue Gesetz ausgearbeitet. Darauf wurden die Gutachten der Sachverstän¬<lb/>
digen und Interessenten eingeholt, dazu im vergangenen Jahre eine Anzahl<lb/>
derselben als berathende Commission nach Berlin einberufe». Die Aus¬<lb/>
stellungen und Vorschläge derselben haben vielfache Berücksichtigung gefunden.<lb/>
Nirgend vielleicht war die Beschäftigung mit dem neuen Gesetz so angelegent¬<lb/>
lich als in Leipzig, und wir dürfen wohl sagen, daß bei den Privatbesprechungen<lb/>
und Verhandlungen darüber in unseren Kreisen das Interesse der Schrift¬<lb/>
steller und die Culturinteressen des Volkes nicht weniger gewürdigt wurden,<lb/>
als die Verkehrsinteressen der Buchhändler.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1145" next="#ID_1146"> Die Ueberzeugung, daß der Urheber einer Schrift oder eines Kunstwerks<lb/>
ein Eigenthumsrecht an seinem geistigen Funde auch dann noch behalte,<lb/>
wenn er denselben auf mechanische Weise vervielfältigen läßt, hat sich seit der Er¬<lb/>
findung des Bücherdrucks sehr allmälig entwickelt. Seit Gutenberg zürnten der<lb/>
Schriftsteller und der Verleger dem frechen Nachdrucker, der ihnen Werth und<lb/>
Lohn ihrer Arbeit verringerte, schon im 16ten Jahrhundert suchten sie sich<lb/>
durch Privilegien zu schützen, welche sie erflehten oder erkauften. Und lange,<lb/>
bevor die Gesetzgebung der einzelnen Staaten ihre Zugehörigen im Inland<lb/>
gegen Nachdruck zu schützen suchte, wurde der Nachdruck durch die sittliche<lb/>
Empfindung der Besseren als ein Unrecht und Diebstahl verurtheilt. Mit<lb/>
jeder Zunahme der literarischen Sicherheit nahm auch die Solidität und der<lb/>
Anstand des buchhändlerischen Verkehrs zu, stieg Unabhängigkeit und An¬<lb/>
sehen der Volkslehrer, welche durch ihre geistige Production aus weite<lb/>
Kreise wirkten. Erst die Anerkennung der Autorrechte durch das Ge¬<lb/>
setz gab dem Schriftsteller seine volle Ehre, weil sie ihm die gesunden<lb/>
öeonomischen Grundlagen für seine Existenz zutheilte, welche der Ar¬<lb/>
beiter für, kräftiges Schaffen nöthig hat. So lange das Autorrecht<lb/>
nicht anerkannt war, mußte der Versasser, wenn er nicht zufällig<lb/>
in armem Lande ein reicher Mann war, seine Existenzmittel auf einem<lb/>
Seitenwege von seinem Buche holen. Da ihn der Verleger und das Publi-<lb/>
cum nicht bezahlen konnten, suchte er sich vornehme Gönner, denen er sein<lb/>
Werk widmete oder in geschriebenen Briefen zu Füßen legte. Wer ein<lb/>
Buch so empfing, für den war es Anstandspflicht, dem Autor ein &#x2014; immer¬<lb/>
hin ansehnliches &#x2014; Geschenk zu machen. Der Knechtssinn und die Speichel¬<lb/>
leckerei, welche in den Druckwerken vom 16. bis in das 18. Jahrhundert sich<lb/>
so widerlich breit machen, und welche ihre entsittlichende Einwirkung aus das<lb/>
lesende Publicum zur Schande Deutschlands so lange ausgeübt haben, kamen<lb/>
zum großen Theil daher, daß der Autor genöthigt war. ein Schmarotzer zu<lb/>
sein, und für einige Goldstücke sein Lebelang reichen Gönnern Weihrauch<lb/>
zu streuen. Der höfische Verderb der protestantischen Kirche nach Luther,<lb/>
die Charakterschwäche der Dichter von Opitz bis auf Gellert mit ihren un-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0400] neue Gesetz ausgearbeitet. Darauf wurden die Gutachten der Sachverstän¬ digen und Interessenten eingeholt, dazu im vergangenen Jahre eine Anzahl derselben als berathende Commission nach Berlin einberufe». Die Aus¬ stellungen und Vorschläge derselben haben vielfache Berücksichtigung gefunden. Nirgend vielleicht war die Beschäftigung mit dem neuen Gesetz so angelegent¬ lich als in Leipzig, und wir dürfen wohl sagen, daß bei den Privatbesprechungen und Verhandlungen darüber in unseren Kreisen das Interesse der Schrift¬ steller und die Culturinteressen des Volkes nicht weniger gewürdigt wurden, als die Verkehrsinteressen der Buchhändler. Die Ueberzeugung, daß der Urheber einer Schrift oder eines Kunstwerks ein Eigenthumsrecht an seinem geistigen Funde auch dann noch behalte, wenn er denselben auf mechanische Weise vervielfältigen läßt, hat sich seit der Er¬ findung des Bücherdrucks sehr allmälig entwickelt. Seit Gutenberg zürnten der Schriftsteller und der Verleger dem frechen Nachdrucker, der ihnen Werth und Lohn ihrer Arbeit verringerte, schon im 16ten Jahrhundert suchten sie sich durch Privilegien zu schützen, welche sie erflehten oder erkauften. Und lange, bevor die Gesetzgebung der einzelnen Staaten ihre Zugehörigen im Inland gegen Nachdruck zu schützen suchte, wurde der Nachdruck durch die sittliche Empfindung der Besseren als ein Unrecht und Diebstahl verurtheilt. Mit jeder Zunahme der literarischen Sicherheit nahm auch die Solidität und der Anstand des buchhändlerischen Verkehrs zu, stieg Unabhängigkeit und An¬ sehen der Volkslehrer, welche durch ihre geistige Production aus weite Kreise wirkten. Erst die Anerkennung der Autorrechte durch das Ge¬ setz gab dem Schriftsteller seine volle Ehre, weil sie ihm die gesunden öeonomischen Grundlagen für seine Existenz zutheilte, welche der Ar¬ beiter für, kräftiges Schaffen nöthig hat. So lange das Autorrecht nicht anerkannt war, mußte der Versasser, wenn er nicht zufällig in armem Lande ein reicher Mann war, seine Existenzmittel auf einem Seitenwege von seinem Buche holen. Da ihn der Verleger und das Publi- cum nicht bezahlen konnten, suchte er sich vornehme Gönner, denen er sein Werk widmete oder in geschriebenen Briefen zu Füßen legte. Wer ein Buch so empfing, für den war es Anstandspflicht, dem Autor ein — immer¬ hin ansehnliches — Geschenk zu machen. Der Knechtssinn und die Speichel¬ leckerei, welche in den Druckwerken vom 16. bis in das 18. Jahrhundert sich so widerlich breit machen, und welche ihre entsittlichende Einwirkung aus das lesende Publicum zur Schande Deutschlands so lange ausgeübt haben, kamen zum großen Theil daher, daß der Autor genöthigt war. ein Schmarotzer zu sein, und für einige Goldstücke sein Lebelang reichen Gönnern Weihrauch zu streuen. Der höfische Verderb der protestantischen Kirche nach Luther, die Charakterschwäche der Dichter von Opitz bis auf Gellert mit ihren un-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/400
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/400>, abgerufen am 29.06.2024.