Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Correspondenz aus Bauern.

Nach einer Dauer von mehr als 14 Tagen hat die Adreßdebatte unseres
Abgeordnetenhauses ihr Ende gefunden. Als der Antrag auf Schluß der De¬
batte gestellt wurde, fand sich zur großen Heiterkeit des Hauses, daß noch 22
Mitglieder durch Einzeichnen in die Rednerliste ihr Bedürfniß zu sprechen an den
Tag gelegt hatten. Kein Wunder, wenn dem Lande über diesen rein theo¬
retischen Redeübungen der Geduldfaden riß und man die Herren etwas un¬
galant daran erinnerte, daß im Hinblick auf ihre Diäten Schweigen hier wirk¬
lich Gold sei. Allerdings war es für die linke Seite des Hauses sehr ver-
führerisch, gleich Anfangs ihre unbestreitbare Ueberlegenheit an rednerischen
Talenten zu zeigen; aber die monströse Breite der Verhandlungen kann hier¬
aus allein nicht erklärt werden. Zwei Ursachen möchten wir die Hauptschuld
beimessen. Einmal hat der neue Kammerpräsident Herr von Weiß keinerlei
Talente für den Präsidentenstuhl mitgebracht. Den unerläßlichen Unterschied
zwischen General- und Specialdebatte aufrecht zu erhalten, gelang ihm abso¬
lut nicht, und dadurch war die Möglichkeit geboten, jeden Punkt zweimal zu
besprechen, einmal in der Generaldebatte, das andere Mal in der Special¬
debatte. Von dieser Möglichkeit ist denn in der That der ausgiebigste Ge¬
brauch gemacht worden. Aber auch abgesehen hiervon waren die weitläufigsten
Digressionen erlaubt. So wurde das längst abgethane Schulgesetz einen gan¬
zen Tag lang mit unerträglicher Breitspurigkeit behandelt. -- Andererseits
kann man endlich nicht leugnen, daß unsere Weitschweifigkeit mit den Diä¬
ten in ominösen Zusammenhange steht. Der bayerische Landtag ist seit dem
8. Januar versammelt und das einzige, was er bis Mitte Februar geleistet
hat, ist die Adreßdebatte, so daß nicht einmal die überaus wichtige Frage
über die Gültigkeit der Münchener Wahlen ihre Erledigung gefunden hat.

Was zunächst die persönliche Zusammensetzung der gegenwärtigen Abgeord¬
netenkammer betrifft, so fällt bei den Patrioten die große Anzahl neuer Leute
auf. Daß unter den letzteren besonders hervorragende Köpfe aufgetaucht
wären, hat man bis jetzt nicht beobachtet; doch wird sich dies erst dann recht
beurtheilen lassen, wenn die patriotische Partei auch in den Commissionen
ihr Probestück abgelegt haben wird. An dreisten, schlagfertigen Rednern,
unter welchen wir besonders den Militär - Curaten Lucas auszeichnen möchten,
fehlt es ihnen nicht; allein die meisten derselben haben ihre Vorschule in den
ober- und niederbayrischen Bauern-Vereinen und Versammlungen gemacht,
die augenscheinlich weder für die Ausbildung ihrer Dialectik und noch viel
weniger aber für den Geschmack derselben von Vortheil waren. Die sonst


44*
Correspondenz aus Bauern.

Nach einer Dauer von mehr als 14 Tagen hat die Adreßdebatte unseres
Abgeordnetenhauses ihr Ende gefunden. Als der Antrag auf Schluß der De¬
batte gestellt wurde, fand sich zur großen Heiterkeit des Hauses, daß noch 22
Mitglieder durch Einzeichnen in die Rednerliste ihr Bedürfniß zu sprechen an den
Tag gelegt hatten. Kein Wunder, wenn dem Lande über diesen rein theo¬
retischen Redeübungen der Geduldfaden riß und man die Herren etwas un¬
galant daran erinnerte, daß im Hinblick auf ihre Diäten Schweigen hier wirk¬
lich Gold sei. Allerdings war es für die linke Seite des Hauses sehr ver-
führerisch, gleich Anfangs ihre unbestreitbare Ueberlegenheit an rednerischen
Talenten zu zeigen; aber die monströse Breite der Verhandlungen kann hier¬
aus allein nicht erklärt werden. Zwei Ursachen möchten wir die Hauptschuld
beimessen. Einmal hat der neue Kammerpräsident Herr von Weiß keinerlei
Talente für den Präsidentenstuhl mitgebracht. Den unerläßlichen Unterschied
zwischen General- und Specialdebatte aufrecht zu erhalten, gelang ihm abso¬
lut nicht, und dadurch war die Möglichkeit geboten, jeden Punkt zweimal zu
besprechen, einmal in der Generaldebatte, das andere Mal in der Special¬
debatte. Von dieser Möglichkeit ist denn in der That der ausgiebigste Ge¬
brauch gemacht worden. Aber auch abgesehen hiervon waren die weitläufigsten
Digressionen erlaubt. So wurde das längst abgethane Schulgesetz einen gan¬
zen Tag lang mit unerträglicher Breitspurigkeit behandelt. — Andererseits
kann man endlich nicht leugnen, daß unsere Weitschweifigkeit mit den Diä¬
ten in ominösen Zusammenhange steht. Der bayerische Landtag ist seit dem
8. Januar versammelt und das einzige, was er bis Mitte Februar geleistet
hat, ist die Adreßdebatte, so daß nicht einmal die überaus wichtige Frage
über die Gültigkeit der Münchener Wahlen ihre Erledigung gefunden hat.

Was zunächst die persönliche Zusammensetzung der gegenwärtigen Abgeord¬
netenkammer betrifft, so fällt bei den Patrioten die große Anzahl neuer Leute
auf. Daß unter den letzteren besonders hervorragende Köpfe aufgetaucht
wären, hat man bis jetzt nicht beobachtet; doch wird sich dies erst dann recht
beurtheilen lassen, wenn die patriotische Partei auch in den Commissionen
ihr Probestück abgelegt haben wird. An dreisten, schlagfertigen Rednern,
unter welchen wir besonders den Militär - Curaten Lucas auszeichnen möchten,
fehlt es ihnen nicht; allein die meisten derselben haben ihre Vorschule in den
ober- und niederbayrischen Bauern-Vereinen und Versammlungen gemacht,
die augenscheinlich weder für die Ausbildung ihrer Dialectik und noch viel
weniger aber für den Geschmack derselben von Vortheil waren. Die sonst


44*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/123441"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Correspondenz aus Bauern.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_974"> Nach einer Dauer von mehr als 14 Tagen hat die Adreßdebatte unseres<lb/>
Abgeordnetenhauses ihr Ende gefunden. Als der Antrag auf Schluß der De¬<lb/>
batte gestellt wurde, fand sich zur großen Heiterkeit des Hauses, daß noch 22<lb/>
Mitglieder durch Einzeichnen in die Rednerliste ihr Bedürfniß zu sprechen an den<lb/>
Tag gelegt hatten. Kein Wunder, wenn dem Lande über diesen rein theo¬<lb/>
retischen Redeübungen der Geduldfaden riß und man die Herren etwas un¬<lb/>
galant daran erinnerte, daß im Hinblick auf ihre Diäten Schweigen hier wirk¬<lb/>
lich Gold sei. Allerdings war es für die linke Seite des Hauses sehr ver-<lb/>
führerisch, gleich Anfangs ihre unbestreitbare Ueberlegenheit an rednerischen<lb/>
Talenten zu zeigen; aber die monströse Breite der Verhandlungen kann hier¬<lb/>
aus allein nicht erklärt werden. Zwei Ursachen möchten wir die Hauptschuld<lb/>
beimessen. Einmal hat der neue Kammerpräsident Herr von Weiß keinerlei<lb/>
Talente für den Präsidentenstuhl mitgebracht. Den unerläßlichen Unterschied<lb/>
zwischen General- und Specialdebatte aufrecht zu erhalten, gelang ihm abso¬<lb/>
lut nicht, und dadurch war die Möglichkeit geboten, jeden Punkt zweimal zu<lb/>
besprechen, einmal in der Generaldebatte, das andere Mal in der Special¬<lb/>
debatte. Von dieser Möglichkeit ist denn in der That der ausgiebigste Ge¬<lb/>
brauch gemacht worden. Aber auch abgesehen hiervon waren die weitläufigsten<lb/>
Digressionen erlaubt. So wurde das längst abgethane Schulgesetz einen gan¬<lb/>
zen Tag lang mit unerträglicher Breitspurigkeit behandelt. &#x2014; Andererseits<lb/>
kann man endlich nicht leugnen, daß unsere Weitschweifigkeit mit den Diä¬<lb/>
ten in ominösen Zusammenhange steht. Der bayerische Landtag ist seit dem<lb/>
8. Januar versammelt und das einzige, was er bis Mitte Februar geleistet<lb/>
hat, ist die Adreßdebatte, so daß nicht einmal die überaus wichtige Frage<lb/>
über die Gültigkeit der Münchener Wahlen ihre Erledigung gefunden hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_975" next="#ID_976"> Was zunächst die persönliche Zusammensetzung der gegenwärtigen Abgeord¬<lb/>
netenkammer betrifft, so fällt bei den Patrioten die große Anzahl neuer Leute<lb/>
auf. Daß unter den letzteren besonders hervorragende Köpfe aufgetaucht<lb/>
wären, hat man bis jetzt nicht beobachtet; doch wird sich dies erst dann recht<lb/>
beurtheilen lassen, wenn die patriotische Partei auch in den Commissionen<lb/>
ihr Probestück abgelegt haben wird. An dreisten, schlagfertigen Rednern,<lb/>
unter welchen wir besonders den Militär - Curaten Lucas auszeichnen möchten,<lb/>
fehlt es ihnen nicht; allein die meisten derselben haben ihre Vorschule in den<lb/>
ober- und niederbayrischen Bauern-Vereinen und Versammlungen gemacht,<lb/>
die augenscheinlich weder für die Ausbildung ihrer Dialectik und noch viel<lb/>
weniger aber für den Geschmack derselben von Vortheil waren. Die sonst</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 44*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] Correspondenz aus Bauern. Nach einer Dauer von mehr als 14 Tagen hat die Adreßdebatte unseres Abgeordnetenhauses ihr Ende gefunden. Als der Antrag auf Schluß der De¬ batte gestellt wurde, fand sich zur großen Heiterkeit des Hauses, daß noch 22 Mitglieder durch Einzeichnen in die Rednerliste ihr Bedürfniß zu sprechen an den Tag gelegt hatten. Kein Wunder, wenn dem Lande über diesen rein theo¬ retischen Redeübungen der Geduldfaden riß und man die Herren etwas un¬ galant daran erinnerte, daß im Hinblick auf ihre Diäten Schweigen hier wirk¬ lich Gold sei. Allerdings war es für die linke Seite des Hauses sehr ver- führerisch, gleich Anfangs ihre unbestreitbare Ueberlegenheit an rednerischen Talenten zu zeigen; aber die monströse Breite der Verhandlungen kann hier¬ aus allein nicht erklärt werden. Zwei Ursachen möchten wir die Hauptschuld beimessen. Einmal hat der neue Kammerpräsident Herr von Weiß keinerlei Talente für den Präsidentenstuhl mitgebracht. Den unerläßlichen Unterschied zwischen General- und Specialdebatte aufrecht zu erhalten, gelang ihm abso¬ lut nicht, und dadurch war die Möglichkeit geboten, jeden Punkt zweimal zu besprechen, einmal in der Generaldebatte, das andere Mal in der Special¬ debatte. Von dieser Möglichkeit ist denn in der That der ausgiebigste Ge¬ brauch gemacht worden. Aber auch abgesehen hiervon waren die weitläufigsten Digressionen erlaubt. So wurde das längst abgethane Schulgesetz einen gan¬ zen Tag lang mit unerträglicher Breitspurigkeit behandelt. — Andererseits kann man endlich nicht leugnen, daß unsere Weitschweifigkeit mit den Diä¬ ten in ominösen Zusammenhange steht. Der bayerische Landtag ist seit dem 8. Januar versammelt und das einzige, was er bis Mitte Februar geleistet hat, ist die Adreßdebatte, so daß nicht einmal die überaus wichtige Frage über die Gültigkeit der Münchener Wahlen ihre Erledigung gefunden hat. Was zunächst die persönliche Zusammensetzung der gegenwärtigen Abgeord¬ netenkammer betrifft, so fällt bei den Patrioten die große Anzahl neuer Leute auf. Daß unter den letzteren besonders hervorragende Köpfe aufgetaucht wären, hat man bis jetzt nicht beobachtet; doch wird sich dies erst dann recht beurtheilen lassen, wenn die patriotische Partei auch in den Commissionen ihr Probestück abgelegt haben wird. An dreisten, schlagfertigen Rednern, unter welchen wir besonders den Militär - Curaten Lucas auszeichnen möchten, fehlt es ihnen nicht; allein die meisten derselben haben ihre Vorschule in den ober- und niederbayrischen Bauern-Vereinen und Versammlungen gemacht, die augenscheinlich weder für die Ausbildung ihrer Dialectik und noch viel weniger aber für den Geschmack derselben von Vortheil waren. Die sonst 44*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 29, 1870, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341811_123087/353>, abgerufen am 26.06.2024.